Die österreichische Staatsbürgerschaftsinitiative für Südtiroler riecht nach einer braunen Suppe, die auf den Träumen und Seelenwunden mancher sich enthusiastisch erinnernder Bürger geköchelt wird. Sollte diese Suppe je fertig gekocht werden, würde sie wahrscheinlich in eine Option wie jene von 1939 bis 1943 münden.

Es berührt natürlich einige ehrfürchtige Tiroler, wenn der Gedanke auftaucht, die Südtiroler "heimzuholen". Wohin heim? Ins Reich? Und da stellt sich auch die Frage: Wer ist Südtiroler? Rechtlich gesehen kann man sicher jeden italienischen Staatsbürger als solchen bezeichnen, dessen ordentlicher Wohnsitz in den Provinzen Bozen oder Trient liegt; jawohl, auch Trient, denn das historische Tirol reichte von Kufstein bis südlich von Ala. Die Salurner Klause, die als Sprachgrenze definiert wird, war historisch nie eine Grenze, auch wenn sie sogar vom Wetterbericht des ORF zu einer solchen gemacht wird.

Italienisch im Norden Tirols

Es würde demnach als Nächstes die Sprachzugehörigkeit ins Treffen geführt werden. Deutschsprachige Südtiroler sollten die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten. Da ich seit 1954 – ich war damals zwei Jahre alt – in Innsbruck meinen Hauptwohnsitz habe, erhalte ich monatlich die Zeitschrift "Innsbruck aktuell", die bereits früher schon als "Amtsblatt der Landeshauptstadt Innsbruck" an alle Haushalte dieser Stadt periodisch ausgeliefert wurde. Eine der interessantesten Rubriken war und ist darin "Innsbruck vor 100 Jahren". Darin erfährt man etwa von den Protesten der italienischen Bevölkerung Innsbrucks von damals, die beispielsweise eine eigene Fakultät an der Innsbrucker Universität verlangte. Wo ist diese Bevölkerung jetzt?

Hier wurde offensichtlich aus Revanche für die Zerteilung Tirols Kultur vernichtet, denn die italienischen Namen gibt es in Innsbruck und Umgebung nach wie vor, die Sprache nicht mehr. Und so mancher besitzt noch großelterliche Grundbuchauszüge aus der Monarchie, in denen auch im Norden Tirols die Eintragungen sowohl auf Deutsch als auch auf Italienisch vorgenommen wurden. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ist die italienische Sprache also nach und nach verschwunden.

Logischerweise bestand auch die Südtiroler Bevölkerung zur Zeit der Monarchie zum Teil aus Italienern. Ganz Tirol war immer schon dreisprachig. Die Ladiner wurden leider schon in der Monarchie nur wenig berücksichtigt. Selbstverständlich wurde durch die faschistischen Erlässe von Mussolini, aber sicher auch von außen durch Hitler im Zuge der Option von 1939 bis 1943 und den gleichzeitig angeworbenen Zuzug von Süditalienern nach Südtirol der Anteil der italienischsprachigen Bevölkerung in der Provinz Bozen mutwillig erhöht. Und damit muss einem historisch auch klar werden, dass das Verbrechen, das an den Südtirolern verübt wurde, nicht die Zerteilung Tirols 1919 war. Wer einen Krieg beginnt wie die österreichisch-ungarische Monarchie und diesen auch verliert, wird in der Folge zerteilt. Das Verbrechen begingen Mussolini und sein faschistisches Regime, das wie jenes von Franco in Spanien die Menschen nicht das sein ließ, was sie waren.

Perfekt im Dialekt

Zurück zur Deutschsprachigkeit. In den 1960ern und 1970ern wurden Kinder im Sog der Paketverhandlungen gefragt, welche Muttersprache sie hätten. Sie wussten es bisweilen nicht und waren verlegen, weil diese Fragestellung innerhalb ihrer Familie nicht geklärt war. Ich weiß von diesen Wirrnissen, weil Südtiroler Studentinnen und Studenten aus dieser Zeit mit mir befreundet waren und mir ihre diesbezügliche Verzagtheit erzählten. Zudem hatte ich Studienkollegen, die zwar wussten, dass Italienisch ihre Muttersprache war, sie jedoch deutsche Kindergärten und Schulen besucht hatten und so perfekt den Südtiroler Dialekt sprachen, da ihre Eltern schon damals die Vorteile erahnten, die ihnen aus solchen Kenntnissen zuteilwürden. Heute ist es immer noch so, denn anders kann ich mir nicht erklären, dass einige meiner Nachbarn, die in derselben Straße wie ich ihr Südtiroler Studentenheim bewohnen, im Bus miteinander Italienisch oder Ladinisch sprechen, während sie vor österreichischen Behörden aufgrund ihres Akzents problemlos als Südtiroler gehandelt werden. Soll man nun den "Deutschsprachigen" die österreichische Staatsbürgerschaft verleihen? Ohne Rückfrage über die Sprachzugehörigkeit dieser Menschen geht das nicht.

Jedes deutschnationale Vorgehen würde jedoch zwangsläufig eine italienisch-nationale Antwort nach sich ziehen. Und so käme es zu einer neuerlichen Option. Die Staatsbürgerschaft pauschal zuzuerkennen ginge also nicht. Zweifellos würden sich jedoch bei einer freiwilligen Zuerkennung eines österreichischen Passes für Südtiroler einige italienische Staatsbürger melden, weil sie sich davon Vorteile erwarten würden. Wie aber würden junge, männliche österreichische Staatsbürger, die es immer schon waren, reagieren, gäbe es plötzlich Neo-Österreicher, die von jeglichem Militär- oder Zivildienst befreit wären? So einen Dienst am österreichischen Volk könnte man nämlich einem italienischen Staatsbürger, der in seinem ursprünglichen Land davon befreit wäre, nicht zumuten.

Wozu die österreichische Staatsbürgerschaft?

Schlussendlich bleibt die Frage: Wozu braucht ein Südtiroler beziehungsweise ein deutschsprachiger italienischer Staatsbürger, der durch die Weisheit seiner vormaligen Politiker eine Autonomie der Extraklasse erreicht hat, die österreichische Staatsbürgerschaft? Wohl nur, um verworrene Träume einiger allzu deutsch denkender Tiroler beiderseits des Brenners zu verwirklichen, die ursächlich deutschnationalen, braunen Idealen entstammen, derer sich solche Träumer aber ob ihrer Tiroler Nostalgie oft nicht bewusst werden.

Es ist ein schmaler Grat zwischen "Wir sind auch wer" und "Wir sind etwas Besseres". Es gibt schulische Austauschprojekte, bei denen sich Schüler des gesamten historischen Tirols aller drei Sprachen gegenseitig kennenlernen. Es gibt grenzübergreifende Literatur- und Filminitiativen, universitäre Zusammenarbeit sowie Kulturaustausch anderer Art. Nationalismus hat jedoch noch niemandem genützt. Vor allem aber vernichtet er größere Vorhaben wie das Zusammenleben in einer reichen kulturellen Gesellschaft. Warum können wir uns nicht damit bescheiden, dass Italiener wie Österreicher EU-Bürger sind, denen die wesentlichen Rechte ohnehin überall in Europa garantiert werden? (Otto Licha, 12.12.2017)