Albert Einstein bezeichnete das Phänomen der Quantenverschränkung, bei welchem die Zustandsänderung eines Teilchens auch ein räumlich getrenntes anderes Teilchen beeinflusst, als "spukhafte Fernwirkung". Eine ähnliche Fernwirkung wurde nun auch hinsichtlich der Entwicklung von Europas Wäldern entdeckt.

Bäume aus dem Weltraum beobachten

Dem Phänomen auf die Spur kamen ich und mein Team durch in Kooperation mit der Humboldt-Universität zu Berlin durchgeführte Analysen von Satellitendaten. Mit Hilfe derartiger Informationen ist es möglich, die Waldentwicklung der letzten Jahrzehnte im Detail zu rekonstruieren. Im Speziellen lassen sich natürliche Störungen, also abruptes und großflächiges Absterben von Wäldern durch Einflüsse wie Windwurf oder Borkenkäfer, sehr gut aus dem All beobachten. Störungen sind für die Entwicklung des Waldes besonders bedeutende Prozesse, da sie seinen Aufbau für die kommenden Jahre und Jahrzehnte entscheidend prägen. Ein Nachteil ist jedoch, dass Satelliten nicht zwischen natürlichen und menschlichen Störungen, etwa einem Absterben von Bäumen durch Borkenkäfer und einer Ernte durch den Menschen, unterscheiden können.

Um einen menschlichen Einfluss auf die Analyse ausschließen zu können, bedienten wir uns daher eines Tricks: Wir untersuchten nur Wälder in Schutzgebieten, also Wäldern in welchen keine Bewirtschaftung durchgeführt wird. Ausgewählt wurden Kernzonen von fünf Nationalparks mit hohem Waldanteil in Deutschland (Bayerischer Wald, Berchtesgaden, Harz), Österreich (Kalkalpen) und der Slowakei (Hohe Tatra).

Satellitendaten geben detaillierte und länderübergreifende Auskunft über die Waldentwicklung.
Foto: NASA Goddard Space Flight Center/public domain/Wikimedia Commons

Wälder im Gleichschritt

Die ausgewählten Nationalparks liegen verteilt auf einer Fläche von mehr als 150.000 Quadratkilometern. Die Entfernung zwischen den einzelnen Gebieten beträgt Luftlinie bis zu 800 Kilometer – in etwa das Eineinhalbfache der Distanz zwischen Bodensee und Neusiedlersee. Dennoch konnten wir beobachten, dass in allen Gebieten immer dieselben Jahre die stärksten Störungen aufwiesen.

Wir waren überrascht, als sich bei genauerer Analyse herausstellte, dass sich die einzelnen Gebiete in den vergangenen 30 Jahren weitgehend zeitlich synchron verhalten haben – Mitteleuropas Wälder entwickelten sich quasi im Gleichschritt. Bisher blieb dieses Phänomen unentdeckt, da die lokal oft unterschiedlich erhobenen Daten meist nicht zwischen den Gebieten vergleichbar sind. Aus den standardisierten Satellitendaten konnten wir jedoch drei Störungswellen in den vergangenen drei Jahrzehnten identifizieren, welche jeweils mehrere Jahre andauerten.

Synchrone Störung von Wäldern in Österreich ...
Foto: Rupert Seidl
... Deutschland ...
Foto: Rupert Seidl
... und der Slowakei.
Foto: Rupert Seidl

Klimaextreme als Gleichmacher

Wie auch bei der Quantenverschränkung stellte sich nun vor allem die Frage, woher diese Fernwirkung kommen könnte. Wir testeten dazu eine Reihe von Hypothesen. Dabei stellten sich schnell klimatische Extreme als die wichtigsten auslösenden Faktoren für synchrone Waldentwicklung heraus. Im Speziellen konnten wir zeigen, dass jeder Störungswelle überdurchschnittlich trockene Bedingungen vorausgingen. Weiters konnten extreme Windereignisse als Auslöser identifiziert werden. Sommertrockenheit als auch Sturmsysteme können große Teile von Europa gleichzeitig treffen und dadurch die Waldentwicklung über große Flächen hinweg synchronisieren.

Auswirkungen auf Mensch und Natur

Die damit zum ersten Mal beschriebene klimabedingte Gleichschaltung von Mitteleuropas Wäldern ist in mehrerlei Hinsicht von Bedeutung: In bewirtschafteten Wäldern, welche Holz als Bau- und Brennstoff für den Menschen bereitstellen, bedeuten großflächig auftretende Wellen von Baummortalität große Herausforderungen. Wenn gleichzeitig auf kontinentaler Ebene die Bäume sterben, fehlen schnell die Arbeits- und Marktkapazitäten, um derartige Ereignisse bewältigen zu können. Das hat negative Auswirkungen auf die Bereitstellung des nachwachsenden Rohstoffes Holz. Ein Fortschreiten des Klimawandels verbunden mit verstärkt auftretenden Klimaextremen könnte derartige Probleme in Zukunft weiter verschärfen.

Da vor allem alte Bäume auf Wind und Borkenkäfer anfällig sind, könnten großflächige Störungswellen auch zu einer Homogenisierung des Ökosystems führen, was sich negativ auf die Lebensraumqualität des Waldes auswirken würde. Hier können wir jedoch – zumindest was die vergangene Entwicklung betrifft – Entwarnung geben: Die Störungen der vergangenen drei Jahrzehnte traten zwar überall gleichzeitig auf, ihre Auswirkungen fielen aber lokal sehr unterschiedlich aus. Letztendlich steigern Störungen durch diese lokal unterschiedlichen Ausprägungen sogar die Diversität von Wäldern. (Rupert Seidl, 6.12.2017)