Beim grauen Star verändert die trübe Linse die Brechung des einfallenden Lichts.

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Die Buchstaben verschwimmen vor den Augen, das Lesen strengt immer mehr an. Es braucht jetzt auch mehr Licht, muss heller sein, um die Buchstaben zu erkennen, als früher. Vielleicht eine neue Brille? Der Besuch beim Augenarzt bringt die Ernüchterung, er empfiehlt eine Operation. Denn die Symptome werden durch eine Katarakt verursacht, also einen grauen Star. Die trübe Linse soll durch eine Kunstlinse ersetzt werden. "Wenn einen die Katarakt im Alltag so einschränkt, rate ich zur Operation", sagt Rupert Strauß, Augenarzt am Kepler-Universitätsklinikum in Linz.

Angst vor dem Eingriff sei unbegründet, beruhigt der Mediziner. Die OP sei für Augenärzte ein Routineeingriff. Und die Zukunftsaussichten sind gut: Denn danach kann man nicht nur besser lesen, sondern lebt womöglich auch länger. Das zeigen neue Ergebnisse der Women's Health Initiative (WHI) aus den USA, die seit 1992 gesundheitliche Probleme vor allem älterer Frauen untersucht.

Von den 74.044 Teilnehmerinnen über 65 Jahren, bei denen die Ärzte eine Katarakt diagnostiziert hatten, ließen sich 41.735 eine Kunstlinse einpflanzen, 32.309 wollten nicht operiert werden. Um herauszufinden, wie viele Frauen im Durchschnitt pro Jahr starben, berechneten die Forscher die Zahl der Todesfälle pro 100 Frauen pro Jahr. Das waren bei den Operierten im Schnitt 1,52 und bei den Nichtoperierten 2,56 – statistisch ein deutlicher Unterschied. Auch bei Männern senkt die Operation das Sterberisiko, wie die Autoren zuvor bereits zeigten.

Weniger depressiv

"Mich hat überrascht, wie groß der Effekt ist", sagt Hendrik Scholl, Chefaugenarzt am Unispital Basel. Zwar wisse man durch die Studie nicht, ob der Zusammenhang zufällig sei oder die Operation wirklich zu einem längeren Überleben führt. "Es gibt aber gute Erklärungen, dass das so ist", sagt Scholl und nennt ein Beispiel: Wer schlecht sieht, stolpert häufiger, bricht sich womöglich die Hüfte und stirbt im Spital an einer Lungenentzündung.

Daten belegen die Theorie: So stürzten laut einer Studie aus Birmingham ältere Menschen viel seltener nach einer Katarakt-Operation als vorher. Zudem: Laut Untersuchungen aus Großbritannien und den USA schützt die Operation nicht nur vor Stürzen, sondern die Operierten brechen sich auch seltener die Hüfte. Sie waren außerdem weniger ängstlich und depressiv sowie aktiver und hatten mehr Selbstvertrauen.

Auch die geistige Leistungsfähigkeit wurde durch die OP gesteigert. Operierte schnitten in Hirnleistungstests besser ab, und die Symptome bei Menschen mit Demenz besserten sich. "Mit der Katarakt-Operation kommen die Betroffenen aus einem Teufelskreis heraus", sagt Gregor Hasler, Chefarzt der Psychiatrie an der Uni Bern. "Hört und sieht man als alter Mensch schlechter, bekommt das Gehirn weniger Informationen aus der Umwelt, und das Gehirn wird nicht mehr gefordert", erklärt er. "Dann lässt die Hirnleistung nach, was die Gefahr einer Demenz erhöht. Demente Menschen leben generell nicht so lang."

Typisches Altersproblem

Wer immer unschärfer und wie durch einen Nebel sieht, wenn nachts die entgegenkommenden Autos blenden oder Lichter einen "Strahlenkranz" bilden, sei eine Operation angezeigt, erklären Mediziner. "Man muss das aber immer individuell entscheiden. Wenn jemand kaum liest und es einem nichts ausmacht, etwas verschwommen zu sehen, kann man noch zuwarten", sagt Scholl. Zu lang solle der Eingriff aber nicht aufgeschoben werden, dadurch könne die Linse verhärten, und die OP werde schwieriger.

Eine Katarakt ist ein typisches Altersproblem. "Durch biochemische Prozesse verklumpen, vereinfacht gesagt, Proteine in der Linse, sodass sie trüb wird", erklärt Scholl. Immer wieder gab es Hinweise in Studien, dass eine Ernährung reich an Antioxidantien das Risiko für eine Katarakt verringern könnte. "Das wurde aber in großen Studien nicht bewiesen", sagt Scholl. So ließ sich mit einer bestimmten Kombination an Nahrungsergänzungsmitteln zwar das Risiko für eine altersabhängige Makuladegeneration senken, aber nicht für eine Katarakt.

Andere Forscher versuchen indes den grauen Star mit Medikamenten zu behandeln, etwa indem sie in das Gleichgewicht zwischen Cholesterin und Phospholipiden in der Linse eingreifen oder die Verklumpung der Linsenproteine verhindern wollen. Diese Laborstudien sind von einer Anwendung im Alltag allerdings noch weit entfernt. Aktuell bleibt den Betroffenen daher nur die Operation. (Felicitas Witte, 7.12.2017)