Die DNA-Analyse entscheidet zukünftig über ein Therapie. Ein Computer hat sie errechnet. Personalisierung könnte Durchschnittsmedizin ablösen.

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Norbert Bischofberger (61), geboren in Mellau in Vorarlberg, ist Biochemiker. Er war an der Entwicklung von Medikamenten gegen Influenza, HIV und Hepatitis C beteiligt. Er lebt in Kalifornien und ist Executive Vice President und Chief Scientific Officer des Pharmakonzerns Gilead.

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STANDARD: Haben Sie eigentlich Ihr Genom analysieren lassen?

Bischofberger: Selbstverständlich.

STANDARD: War es interessant?

Bischofberger: Ich habe erfahren, dass meine Abstammung deutsch-französisch ist und ich eine um fünf Prozent höhere Wahrscheinlichkeit habe, an Alzheimer zu erkranken, als die Normalbevölkerung. Man hat auch gesehen, dass ich Koriander mag und zu jenen Menschen gehöre, bei denen man riechen kann, wenn sie Spargel gegessen haben.

STANDARD: War es ein Test aus dem Internet?

Bischofberger: Ja. Ich kenne die Gründerin von 23 and Me. Gerade habe ich meiner Schwester ein Testset mitgebracht. Die kosten nur noch rund 150 Dollar.

STANDARD: Die US-Zulassungsbehörde FDA hat vor solchen Tests gewarnt. Wie stehen Sie dazu?

Bischofberger: Vor ein paar Jahren gab es da Einschränkungen. Da durfte etwa eine Frau nicht erfahren, dass sie eine Mutation beim BRCA-Gen und darum ein erhöhtes Brustkrebsrisiko hat. Aber jetzt darf man wieder alles analysieren. Die FDA war nicht sicher, ob es eine gute Idee ist, diese Daten den Individuen zu geben, ohne einen Arzt dazwischenzuschalten. Ich finde das lächerlich. Menschen brauchen keinen Doktor, der ihnen die Information erklärt.

STANDARD: Kann zu viel Wissen nicht auch Angst machen?

Bischofberger: Sicher. Darum muss man sich vorher gut überlegen, was man will. Es gibt Kinder, die über Genanalysen herausfinden, dass ihr Vater nicht ihr wirklicher Vater ist. Aber wenn man es nicht wissen will, soll man auch nicht danach fragen. Es wird niemand zum Test gezwungen.

STANDARD: Wem würden Sie solche Genanalysen empfehlen?

Bischofberger: Ich kenne eine Familie in Palo Alto mit einem Kind, das sich nicht normal entwickelt hat. Sie waren bei vielen Spezialisten. Bei der Genanalyse fanden sie heraus, dass das Kind eine seltene genetische Erkrankung hat.

STANDARD: Wird das die Medizin revolutionieren?

Bischofberger: Ich bin überzeugt, dass Medizin in Zukunft viel spezialisierter und zielgenauer sein wird. Eine Gensequenzierung kostet nur noch 1.000 Dollar, und wir können bereits enorme Datenmengen verarbeiten. Heute orientieren wir uns an Durchschnittswerten. In Zukunft wird zum Beispiel der optimale Blutdruck für ein Individuum passend zu seiner Genetik bestimmt werden.

STANDARD: Wie soll das gehen?

Bischofberger: Google macht gerade eine Studie mit 20.000 Menschen, bei denen alles nur Denkbare gemessen wird. Jeder Patient wird in Zukunft seine individuelle "Baseline" haben und kontinuierlich beobachtet werden. Sein Arzt oder Smartphone wird sagen, wenn sich Werte verändern und es Zeit für eine Behandlung ist.

STANDARD: Wie?

Bischofberger: Über "Wearables" wie Armbänder, Brillen oder Kontaktlinsen. Damit kann man heute schon Blutdruck messen und Bewegungen analysieren. Es gibt Versuche, an Bewegungen Anzeichen von Parkinson zu erkennen.

STANDARD: Computer statt Ärzte?

Bischofberger: Maschinen werden Ärzte nicht ersetzen, aber ihre Arbeit erleichtern. Vor kurzem wurde eine Studie in Nature publiziert. Sie zeigt, dass man keine menschliche Intelligenz mehr braucht, um Computern etwas beizubringen. Sie lernen von alleine. Das ist pure Intelligenz. Das ist die Zukunft.

STANDARD: Ist diese Vorstellung nicht beunruhigend?

Bischofberger: Das finde ich nicht. Es ist eine neue, großartige Welt mit vielen neuen Möglichkeiten.

Standard: Viele Menschen befürchten, dass ihre genetischen Informationen in falsche Hände geraten. Ist Datenschutz überhaupt möglich?

Bischofberger: Datenschutz ist wichtig und auch einfach. Man muss nur die Angaben zu den Personen von den Auswertungen trennen. Bei Tests aus dem Netz gibt nur die IP-Adresse Hinweise auf den Absender, die kann man anonymisieren. Es unterscheidet sich kaum von einem Bankkonto.

STANDARD: Maßgeschneiderte Medizin gilt als Zukunftsvision. Wie weit sind wir?

Bischofberger: Es gibt sie schon in der Onkologie, aber sie ist noch die Ausnahme. Man weiß aber bei manchen Medikamenten, dass sie nur bestimmten Patienten helfen, anderen nicht. Bisher wurde die Medizin in Körperregionen unterteilt – Leber, Darm, Lunge, Magen. In Zukunft werden wir die Patienten nach ihren Genen einteilen.

STANDARD: In den USA wurden soeben zwei Krebstherapien mit maßgeschneiderten Immunzellen zugelassen – zu exorbitanten Preisen.

Bischofberger: Individualisierte Medizin ist noch sehr teuer. Sobald es aber mehr Wettbewerb geben wird, fallen die Preise. Das war bei der Hepatitis-C-Therapie auch so. Anfangs kostete eine Behandlung in den USA 85.000 Dollar, heute nur mehr ein Zehntel.

STANDARD: Diese Preise haben zu großer Aufregung geführt.

Bischofberger: Vielleicht waren wir naiv, aber wir dachten, der Preis sei fair. Die neue Therapie war viel effektiver als die alte, besser verträglich und verursachte nur die Hälfte der Gesamtkosten.

STANDARD: Gesundheitspolitiker haben Sorge, dass die Medikamentenpreise aus dem Ruder laufen.

Bischofberger: Sie vergessen den Nutzen. Wir haben unglaublich wirksame neue Therapien, die kommen aus der Industrie. Politik darf nicht im Weg stehen. Es wäre verrückt, das zu zerstören. (Andrea Fried, 9.12.2017)

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