Wien – Sylvia Hochstöger hätte bis vor kurzem nicht im Traum daran gedacht, dass sie eines Tages Gesicht und Aushängeschild einer Protestbewegung sein wird. Unternehmer gegen Asylbehörden, freie Marktwirtschaft gegen Fremdenrecht: All das ist jetzt auch zu ihrem Kampf geworden.

Hochstöger führt mit ihrem Mann einen Familienbetrieb in Pabneukirchen, einer kleinen Gemeinde in Oberösterreich. Sie ist für die Kfz-Werkstatt verantwortlich, die neben einer Dachdeckerei und Spenglerei zum Unternehmen gehört. Im Ort gibt es eine große Kirche, ein paar Gasthäuser und eine Pizzeria. Nichts also, was großes Interesse weckt.

Seit vergangener Woche ist das anders. Der Betrieb Hochstöger beschäftigt seit etwas mehr als einem Jahr einen Asylwerber aus Afghanistan als Lehrling. Seit der junge Mann einen negativen Asylbescheid in erster Instanz bekommen hat und im Raum steht, dass er abgeschoben werden könnte, hat sich Frau Hochstögers Leben verändert.

Initiative für Asylwerber

Die Unternehmerin hat sich entschlossen, dafür zu kämpfen, dass der 23-jährige Afghane Shinwari bleiben darf. Sie hat eine Pressekonferenz in Linz gegeben und dem ORF erklärt, dass ihr Betrieb händeringend nach Lehrlingen sucht. Sie saß neben dem oberösterreichischen Landesrat für Integration, Rudi Anschober von den Grünen, als dieser eine bundesweite Petition gegen die Abschiebung von Asylwerbern in Lehrberufen präsentierte und daran appellierte, dem Wirtschaftsstandort nicht zu schaden.

Die Unternehmerin Hochstöger mit dem afghanischen Lehrling Shinwari im oberösterreichischen Familienbetrieb.

Unternehmer schreiben Hochstöger seither Mails, um von eigenen ähnlichen Erfahrungen zu erzählen. Sie wollen sich mit ihr vernetzen, um zu überlegen, was man gegen die Abschiebungen tun kann. Frau Hochstöger ist längst nicht mehr allein: Zahlreiche oberösterreichische Betriebe haben sich der Initiative angeschlossen: eine Konditorei, ein Bauunternehmen, eine Elektrofirma, mehrere Hotelleriebetriebe, ein Installateur, Wirtshäuser, ein weiterer Dachdecker.

Sie alle fürchten, ihre Asylwerber-Lehrlinge zu verlieren oder keine mehr zu bekommen. 32 Asylwerber haben in den vergangenen Wochen einen negativen Asylbescheid bekommen. Einer ist von zwei Polizisten aus der Küche abgeführt und nach Islamabad abgeschoben worden.

"Alles andere ist mir zugeflogen"

Von der positiven Stimmung gegenüber Flüchtlingen wie im Herbst 2015, als zehntausende Menschen aus Afghanistan, Syrien und dem Irak ungehindert nach Österreich kamen, ist im öffentlichen Diskurs wenig übriggeblieben. ÖVP und FPÖ haben ihren Wahlerfolg ihrer Grenzen-dicht-Rhetorik und ihrer harten Haltung gegenüber Flüchtlingen mitzuverdanken, sagen Meinungsforscher. Was treibt also Unternehmer aus Pabneukirchen, Dietach, Grein oder Gosau an, dem gesellschaftlichen Klima zu trotzen?

Hochstöger, eine Frau mit schulterlangen Haaren und freundlichem Gesichtsausdruck, sitzt in ihrem Büro über der Werkstatt und erzählt, wie ungewohnt die öffentlichen Auftritte, die Kameras waren. "Ich leite ein Unternehmen. Alles andere ist mir zugeflogen."

Über den Iran und die Türkei

Der Afghane, für den sie sich einsetzt, ist ein schüchterner Mann mit kurzen schwarzen Haaren. Er floh aus Afghanistan, nachdem sein Vater, ein Polizist, von den Taliban ermordet wurde, erzählt er. Als ihn kurze Zeit darauf die radikalislamische Gruppe aufgefordert habe, für sie zu arbeiten, verließ er sein Dorf und das Land. Über den Iran und die Türkei schlug er sich mit Schleppern bis nach Österreich, die sein Onkel bezahlte, durch. Seine Mutter, seine zwei Schwestern und die beiden Brüder ließ er zurück. Shinwari landete 2014 in Traiskirchen.

Asylwerber sind in Österreich vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, Ausnahmen gibt es für Erntehelfer. Die Menschen sind in den Jahren der Warterei oft zum Nichtstun verdonnert. Vor vier Jahren wurden die rigiden Regeln vom Sozialministerium gelockert.

Seither gilt, dass Asylwerber in Mangelberufen, für die sich zu wenige junge Menschen interessieren, eine Lehrstelle annehmen dürfen. Voraussetzung ist, dass sie das 25. Lebensjahr nicht vollendet haben und sich kein geeigneter Österreicher oder bereits integrierter Migrant findet. Der Afghane Shinwari hat über eine Caritas-Betreuerin von der freien Stelle in der Dachdeckerei erfahren. Beim Vorstellungsgespräch zeigte er sich engagiert und bekam den Platz. Die Unternehmerin Hochstöger ist zufrieden mit ihm, er lerne schnell. Sie habe Zeit und Geld in die Ausbildung des jungen Mannes investiert, er nehme niemanden eine Stelle weg. Wenn er nun gehen muss, sei das eine unsinnige Ressourcenverschwendung.

Betriebe suchen Arbeitskräfte

Die Arbeitslosigkeit in Oberösterreich ist schneller und auf einen niedrigeren Stand gesunken als in den meisten anderen Teilen Österreichs. Weil die Wirtschaft wieder wächst, suchen Betriebe mehr Arbeitskräfte. Meldungen über offene Stellen, für die es keine geeigneten Bewerber gibt, häufen sich.

Der Dachdeckerbetrieb Hochstöger kennt dieses Problem schon lange: Die meisten Lehrlinge fangen nach Abschluss der Hauptschule mit 14 oder 15 Jahren eine Lehre an. Die Jungen folgen dabei Modetrends, sagen Arbeitsmarktexperten. Deshalb stehen Ausbildungen in der IT-Branche weit oben auf der Beliebtheitsskala und Dachdecker unten. Auf einer Baustelle zu schuften, bei Hitze und Kälte, ist anstrengend. Dass Dachdecker oft stundenlang gebeugt arbeiten müssen, geht auf Knie und Rücken und macht den Job zusätzlich unattraktiv. Heuer habe sich kein einziger Bewerber für die freie Lehrstelle gemeldet, sagt Hochstöger, obwohl sie auf Lehrlingsmessen war und Hauptschulklassen durch den Betrieb führte.

Aber wie bei den anderen Unternehmen, die der STANDARD an diesem Tag besucht, geht es beim Kampf der Unternehmer nicht nur ums Geld. Zwischen den Betrieben und den Lehrlingen ist über die Monate ein Vertrauensverhältnis entstanden. Dass ihre Mitarbeiter abgeschoben werden sollen, macht viele von ihnen persönlich betroffen. Manche finden es ungerecht, was da geschieht.

Der oberösterreichische Landesrat Rudi Anschober (Grüne) hat eine Petition gestartet damit Asylwerber bis zur Beendigung ihrer Lehre künftig nicht mehr Abgeschoben werden sollen.

Deutschkurse und Behördenfahrten

So ist es auch bei der Unternehmerin Hochstöger. Sie hat Asylwerbern schon früher geholfen, Deutschkurse gegeben, bei Behördenfahrten Taxi gespielt. Für den afghanischen Lehrling Shinwari setzte sie sich schon ein, bevor sein Asylantrag abgelehnt wurde.

Menschen wie er, die sich bemühen und sich integrieren wollen, haben eine Chance verdient, sagt sie. Hochstöger war mit dem Afghanen als Vertrauensperson beim Interview mit den Asylbehörden mit. Sie hat versucht, ihn aufzubauen, nachdem sein negativer Bescheid gekommen war.

Sie hat seine Dokumente feinsäuberlich bei sich im Büro eingeordnet. Einige Stellen im Asylbescheid hat sie gelb unterstrichen. Wenn sie darüber spricht, kommt ihre Verärgerung darüber zum Vorschein. Es sind Stellen wie diese: "Jede mit Vernunft begabte Person" hätte sich nach dem Mordanschlag an dem Vater und der Drohung der Taliban "an die Polizei gewendet, bevor sie den Entschluss fasst, das Land zu verlassen" . Woher will jemand in Österreich wissen, wie eine vernünftige Person in einer solchen Situation in Afghanistan reagiert, fragt sich Hochstöger, seitdem sie das gelesen hat.

Die Wirtin war zunächst skeptisch

Eine knappe Autostunde von Pabneukirchen entfernt sitzt Hermine Hanke in ihrem Wirtshaus. Ständig läutet das Telefon, weil jemand einen Platz reservieren will. Hanke leitet die Stadlkirchner Hofstub'n, ein uriges und angesagtes Gasthaus in Dietach. Zwischen den Telefonaten fragt sich die Wirtin, wie es ihrem früheren Koch Shamid wohl heute geht.

Shamid kam aus Pakistan nach Österreich, er war allein und minderjährig und wurde von einer Hilfsorganisation in Steyr aufgenommen. Hermine Hanke sucht fast ständig Köche und Kellner. Vor etwa zwei Jahren nahm eine Betreuerin Shamid zu einem Vorstellungsgespräch mit. Die Wirtin Hanke war skeptisch, erkundigte sich über den jungen Mann. Als sie "nur Gutes" hörte und er erfolgreich Probe gearbeitet hatte, gab sie ihm die Lehrstelle als Koch.

Aktive Oberösterreicher

Kein Bundesland ist so aktiv dabei, junge Asylwerber in den Arbeitsmarkt zu integrieren wie Oberösterreich. 275 Asylwerber absolvieren derzeit hier eine Lehre. In Kärnten sind es 17, in Niederösterreich 20, in der Steiermark 87. Es gibt in Oberösterreich viele Asylwerber, in dem Land ist die Lehre auch bei Inländern sehr beliebt. Doch das allein, sagen Arbeitsmarktexperten, könne die Differenz nicht erklären.

Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter, Wirtschaftskammer und Gewerkschaft engagieren sich hier stärker für das "Aktion 25" genannte Projekt. Beim Arbeitsmarktservice AMS, das jede der Lehrstellen absegnen muss, gab es die nötige Rückendeckung, um Jobsucher zu vermitteln. Bei der Wirtschaftskammer in Linz heißt es, dass man die Information hatte, dass bei aufrechten Lehrverhältnissen nicht abgeschoben werde. Seit kurzem gelte dies offenbar nicht mehr. Warum, wisse man nicht. Eine solche Zusage habe es nie gegeben, heißt es dagegen auf Anfrage aus dem Innenministerium.

Sicher ist, dass man die jüngsten Vorgänge als einen Angriff auf das Sondermodell Oberösterreich interpretieren könnte.

Im Flieger nach Islamabad

Der Kochlehrling Shamid ist schon weg. Anfang November kam die Polizei und verhaftete ihn an einem Sonntag in der Küche. Shamid wurde bei vollem Haus abgeführt. Wenn Hermine Hanke darüber spricht, sieht man ihr an, wie nahe ihr das geht. "Alle haben geweint, selbst der 50-jährige Koch", sagt sie. "Das war nicht in Ordnung. Menschlich wie wirtschaftlich nicht." Keine 60 Stunden später saß Shamid im Flieger nach Islamabad. Zweimal war sein Asylgesuch abgelehnt worden. Hermine Hanke legte Beschwerde gegen die Verhaftung ein, ihr Anwalt wandte sich an das Bundesverwaltungsgericht. Bisher alles vergeblich. In Islamabad schlage sich Shamid durch – er komme nicht einmal an sein Geld bei der Bank in Österreich, darum habe sie ihm nun etwas geschickt, sagt Frau Hanke.

"Er war erst im zweiten Lehrjahr und hat gekocht wie ein ausgebildeter Koch", sagt die Wirtin. Sie hat ihn als Arbeitnehmer geschätzt, weil er im Gegensatz zu vielen ihrer früheren Lehrlinge auch an seinen freien Wochenenden nachfragte, ob das Gasthaus etwas brauche. Sie hat dem Asylwerber dafür im Alltag geholfen, etwa bei der Versicherung für sein Moped. "Ich bin wie eine Mutter für ihn gewesen."

"Die gut integrierten Menschen müssen gehen"

Jetzt unterstützt auch sie die Initiative gegen die Abschiebung von Lehrlingen. Sie hat auf der Facebook-Seite ihres Gasthauses die Petition gegen Abschiebung gepostet, ihre Geschichte lokalen Medien erzählt. Ob sie nicht Angst hat, dass ihr die Gäste ihren Einsatz übelnehmen? Sie habe im Gasthaus bisher nur positive Reaktionen bekommen, sagt die Wirtin. Was den Menschen abgeht, glaubt sie, sei die Mittelposition: "Zuerst lassen sie alle rein. Und jetzt ist es das Gegenteil, und die gut integrierten Menschen müssen gehen." Auch Frau Hochstöger in Pabneukirchen berichtet, dass viele im Ort sie unterstützen würden. Wie die Bevölkerung in den kleinen Ortschaften genau denkt, kann freilich keiner sagen.

Der Ausblick in die Zukunft ist unsicher, in erster Instanz wurde dem Afghanen Shinwari kein Asyl zugesprochen. Er beruft dagegen.

Außer vielleicht Mario Pabst. Er ist stellvertretender Direktor des schicken Familienhotels Dachsteinkönig in Gosau am Fuß des Dachsteins. Es ist früher Abend, und die Gäste im Restaurant sind gerade mit dem Buffet beschäftigt. Pabst hat zwei afghanische Asylwerber, die hier im Ort wohnten, als Lehrlinge aufgenommen, einen als Koch, einen im Service.

Unterschriften sammeln

Man hatte wegen der Stimmungslage zuerst in der Geschäftsführung diskutiert, ob man den Schritt wagen sollte, dann das Team gefragt. "Wenn wir sie nehmen, muss klar sein, dass sie mit Wertschätzung behandelt werden müssen", sagt Pabst. Seit Juli und August sind die beiden im Betrieb, Pabst war, wie er sagt, hochzufrieden. Vor kurzem haben auch die beiden Afghanen einen negativen Asylbescheid bekommen. Am Weihnachtsmarkt hat man im Ort Unterschriften für sie gesammelt, erzählt Pabst. Mehr als 800 sollen zusammengekommen sein. Beachtlich in einem Ort mit nur 1600 Einwohnern.

Er habe keine Fotos von den Afghanen herumgereicht und nicht ihre Lebensgeschichte erzählt, sagt Pabst. Seine Argumentation war: Die beiden Asylwerber "liegen dem Staat nicht auf der Tasche", haben Arbeit gefunden, Einsatzbereitschaft gezeigt. Warum werden sie bestraft, während andere, die die Mindestsicherung beziehen und nicht arbeiten wollen, bleiben können?

An Pabst lässt sich die Stärke dieser Argumentation der Unternehmer ablesen: Keiner von ihnen redet wie ein linker Weltverbesserer, keiner will Grenzen öffnen. Sie fordern jedoch, dass Einsatzbereitschaft und Wille belohnt werden. Dem können offenbar viele Menschen folgen.

Ideen, wie den Unternehmern, die sich für die Asylwerber einsetzen, geholfen werden könnte, gibt es genug. Eine Möglichkeit wäre es, Menschen, die einen Lehrplatz in einem Mangelberuf finden, einen Übertritt zu ermöglichen: Statt Asyl könnten sie um eine Arbeitserlaubnis ansuchen. Der Arbeitsmarktexperte August Gächter sagt, dass in Österreich mit zehntausenden Menschen, die vor dem Bosnienkrieg flohen, ähnlich verfahren wurde. Die Asylwerber blieben als Gastarbeiter.

Deutsche Garantien

In Schweden gibt es heute eine ähnliche Übertrittsmöglichkeit. In Deutschland wird gesetzlich garantiert, dass Asylwerber während der Berufsausbildung drei Jahre nicht abgeschoben werden. Finden sie danach Beschäftigung, verlängert sich diese Schonfrist noch einmal um zwei Jahre. Nach fünf Jahren kommen Abschiebungen meist nicht mehr infrage, weil Gerichte eine Aufenthaltsverfestigung annehmen.

Eine solche "praktikable" Lösung zu finden fordert auch die Chefin der Wirtschaftskammer in Oberösterreich, Doris Hummer, von der künftigen Regierung. Die Lehre hat nicht nur bei Asylwerbern eine Bedeutung. Sie könnte auch für tausende Flüchtlinge der beste Weg sein, um einen Einstieg ins Berufsleben in Österreich zu finden. Viele Flüchtlinge bringen keine höhere Ausbildung mit und sogar wenn, sind diese mit heimischen Abschlüssen oft nicht vergleichbar, sagen Experten. Die Lehre wäre ein Weg, sie an den Arbeitsmarkt langsam heranzuführen, sagt Experte Gächter. Das Ringen um die Lehrlinge hat über die Einzelfälle Symbolcharakter.

Der Kampf geht jedenfalls weiter. Die Firma Hochstöger unterstützt die Berufung ihres Lehrlings. Wirtin Hanke hofft, dass für den abgeschobenen Pakistaner eine humanitäre Lösung gefunden wird. Hotelmanager Pabst überlegt, was er und seine Kollegen tun können. Er würde gern selbst im Berufungsverfahren bei Gericht vorsprechen. Und plötzlich wird auch der Manager Pabst, der sehr bedacht spricht, ärgerlich. Wenn es für die beiden Afghanen keine Bleibemöglichkeit gibt, hieße das irgendwie, "dass wir die Menschlichkeit verlieren. Dann stellt sich für mich schon die Frage, wie sehr das System noch funktioniert." (András Szigetvari, 8.12.2017)