Wien – Auf knapp neun Seiten – streckenweise allerdings recht redundant und unfokussiert zusammengeschrieben, was dem hohen Zeitdruck geschuldet sein dürfte – listen ÖVP und FPÖ im Regierungsprogramm ihre Pläne für Bildung auf, jenen Bereich, aus dem im Vorfeld schon einiges durchgesickert war. Der Ton des Kapitels wird im ersten Satz so angestimmt: "Das österreichische Bildungssystem darf gesellschaftspolitisch weder auf das Bewahren alles Überkommenen noch auf das Verändern um jeden Preis ausgelegt sein." Jedes Kind verfüge über unterschiedliche Talente und Interessen. Dem müsse "durch eine differenzierte Struktur an Schultypen Rechnung" getragen werden. Also ein klares Bekenntnis zum differenzierten Schulsystem, das demnach auf jeden Fall bewahrt werden soll.

Die bildungspolitischen Maßnahmen werden stufenweise durchdekliniert:

Elementarpädagogik: Im Kindergartenbereich wird eine "qualitätsvolle Elementarpädagogik durch höhere Standards bei Bildung und Betreuung" angestrebt – allerdings mit der Einschränkung "unter Berücksichtigung der finanziellen Erfordernisse und Zuständigkeiten von Ländern und Gemeinden", die derzeit ja für die Kindergärten zuständig sind und höhere Gehälter für besser ausgebildete Elementarpädagoginnen auch zahlen müssten.

Dann folgt der bedeutungsvolle Satz: "Wir wollen sicherstellen, dass elementarpädagogische Einrichtungen nicht als Instrumente für die Förderung von gegengesellschaftlichen Modellen genützt werden." Wobei die "gegengesellschaftlichen Modelle" nicht eigens ausgeführt werden.

Jedenfalls soll es einen – von der Berufsvertretung auch schon lange geforderten – "verbindlichen Bildungsrahmenplan" geben, in dem die "Zielsetzungen von Bildung und Betreuung" klar definiert sein sollen: "kindgerechte Vorbereitung auf die weitere Bildungslaufbahn, Talente fördern, vorhandene Stärken stärken". In den Bereichen Sprache, soziale Kompetenzen sowie Erkennen und Fördern von Talenten und Interessen sollen "genau definierte Kernkompetenzen" festgelegt werden. Außerdem wird ein "genau definierter, verbindlicher Wertekanon (Bekenntnis zur Verfassungs-, Werte- und Gesellschaftsordnung, verbindliche Vermittlung)" angestrebt.

"Für jene, die das brauchen", wird es eine zweijährige Verpflichtung zum Kindergartenbesuch (wie von der Vorgängerregierung geplant, aber nicht realisiert) geben, basierend auf Sprachstandsfeststellungen und weiteren Attesten.

Wohl vor dem Hintergrund problematischer islamischer Kindergärten in Wien soll die öffentliche Hand "verstärkte Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten" bekommen.

Schulsystem: In Zukunft soll sowohl der Einstieg in die Schule als auch der Ausstieg nicht mehr so einfach sein wie jetzt. Wer mit der Schule anfangen möchte (oder bisher musste), muss dafür in Zukunft einem "Pflichtenheft Schulreife" entsprechen. Konkret heißt das: Deutsch vor Schuleintritt, wer nicht genug Deutsch kann, muss in die Vorschule beziehungsweise in eigene Deutschklassen. "Das allenfalls nötige Erlernen der Unterrichtssprache erfolgt außerhalb der Schulpflicht."

In der dritten Schulstufe soll es einen "Talentecheck" geben, am Beginn der siebenten Schulstufe einen "Chancenpass", "um die richtige Wahl des weiteren Bildungswegs zu unterstützen", schreiben die türkis-schwarzen Verhandler. Bisher wurden die Bildungsstandards jeweils ein Jahr später überprüft.

Die Schule verlassen darf jemand nicht mehr automatisch nach Absolvierung der neunjährigen Schulpflicht – und, wie aus Pisa bekannt, oft nur teilalphabetisiert –, sondern erst dann, wenn die "Bildungspflicht" erfüllt ist. Das ist sie dann, wenn die Jugendlichen "bestimmte, genau definierte Kernkompetenzen (Lesen, Rechnen, Schreiben, soziale und kreative Kompetenzen) nachweislich beherrschen".

Es gibt fünf Noten – für alle

Schon vor der offiziellen Präsentation bekannt wurde der konsequente Umstieg – auch in den ersten drei Volksschulklassen – auf eine "klare fünfteilige Notenskala für alle Schultypen". Dazu soll eine "genaue Definition, welche Note vergeben werden kann bzw. muss", kommen. Verbale Benotung kann zusätzlich erfolgen.

Die Neuen Mittelschulen (NMS) werden "neben der AHS-Unterstufe" als "ein wesentlicher Faktor" des Schulsystems bezeichnet, die ÖVP und FPÖ aber durch "Schwerpunktbildungen stärken und attraktivieren wollen". Es sollen aber auch Übergangsmöglichkeiten optimiert und sichergestellt werden. In allen Bundesländern sollen außerdem Schulen für besonders begabte Schülerinnen und Schüler (Vorbild: Karl-Popper-Schule in Wien) eingerichtet werden.

Die Lehrerinnen und Lehrer werden sich freuen über den Satz "Der Administrationsaufwand muss nachhaltig gesenkt werden". So sollen sich die Pädagoginnen und Pädagogen auf "ihre Kernaufgabe – das Unterrichten und das Arbeiten mit Kindern – wieder verstärkt konzentrieren können".

Anonymisiertes 360-Grad-Feedback an Lehrer

Weniger Freude, sondern vermutlich noch einigen Gesprächsbedarf mit der Gewerkschaft dürfte hingegen die "leistungs- und ergebnisorientierte Gestaltung der Besoldungssystematik in allen Schultypen" mit sich bringen. Und sicher ein Streitpunkt wird die "flächendeckende Einführung eines anonymisierten 360-Grad-Feedbacks durch Schüler an Lehrer als Basis für Mitarbeitergespräche" werden. Quasi eine verbale Beurteilung der Lehrer durch die Schüler.

Zusätzlich soll es neue Arbeitszeitmodelle für Lehrerinnen und Lehrer geben, "um Schulen eine standortautonome, flexible Arbeitszeitgestaltung zu ermöglichen". Die Fortbildung soll verpflichtend und regelmäßig vorgeschrieben werden – "insbesondere am Schulstandort und grundsätzlich in den unterrichtsfreien Zeiten".

Ein neues einheitliches Bundesgesetz für alle im Bildungsbereich tätigen Pädagoginnen und Pädagogen wird entwickelt – mit Möglichkeiten zur Um- und Neuqualifizierung, aber auch Möglichkeiten für Quereinsteiger und "Rückkehrer" in den Schulbereich.

Sonderschulen bleiben erhalten

Auf Zustimmung in Betroffenenkreisen dürfte die Wiedereinführung der sonderpädagogischen Ausbildung stoßen, damit korrespondiert das Bekenntnis zum Erhalt und zur Stärkung der Sonderschulen.

Das Fach Geschichte und Sozialkunde soll um "Staatskunde und politische Bildung" erweitert werden. Der Schulversuch "Ethik" soll nach 20 Jahren ins Regelsystem überführt werden, das heißt, jene Kinder, die keinen konfessionellen Religionsunterricht besuchen, müssen in den Ethikunterricht.

Drei Zeilen im Bildungsprogramm sind auch der "symmetrischen Präsenz von Frauen und Männern" in Schulbüchern gewidmet, auf diese sei zu achten, "sofern nicht sachliche Gründe dagegen sprechen". Und weiter: "Geschlechtergerechte Sprache darf jedoch nicht auf Kosten der Verständlichkeit praktiziert werden."

Sozialleistungen nur, wenn Schulpflichten erfüllt werden

Prüfen wollen ÖVP und FPÖ, ob sie eine "Grundsatzbestimmung für schulische Verpflichtungen und öffentliche Zuwendungen" einführen können. Dabei geht es um die Bindung der Sozialleistungen an die Einhaltung von (schul)gesetzlichen Verpflichtungen. Eltern würden also Geld verlieren, wenn die Kinder oder sie selbst bestimmte schulische Verpflichtungen nicht einhalten. Außerdem sind Sanktionen bei Sozial- und Transferleistungen für Eltern im Fall einer Missachtung von Pflichten in Überlegung.

Das Bildungsforschungsinstitut (Bifie) soll aufgelöst werden, die "notwendigen Aufgaben" sollen delegiert werden – wohin, wird nicht ausgeführt. Das Bifie ist unter anderem für alle internationalen Studien zuständig.

"Land der Meister": Die duale Ausbildung von Lehrlingen in den Betrieben beziehungsweise die Facharbeiterausbildung soll "gestärkt und prioritär gefördert werden", gilt die berufliche Bildung in Österreich doch nicht ohne Grund als internationales Erfolgsmodell, das auch bei diversen internationalen Studien wie zum Beispiel Pisa auch immer wieder lobend hervorgehoben wird. Ein Punkt, der immer wieder als Argument auch für Studiengebühren angeführt wird, nämlich dass sich jeder "Meister" seine Ausbildung selbst finanzieren muss, soll – parallel zur Wiedereinführung von Studienbeiträgen – mit einem Stipendiensystem für Meisterprüfungen eingefangen werden.

Auslandsschulen: Einen Extrapunkt im Bildungsprogramm haben die Auslandsschulen bekommen. Sie werden als "Visitenkarte Österreichs" bezeichnet, die zudem "Wirtschaftsinteressen der Republik unterstützen und Synergien schaffen". Darum soll sich Österreich beim Ausbau der Auslandsschulen mit der Schweiz und Deutschland zusammentun. Etwas gar kleinteilig für ein Regierungsprogramm – oder wie ein Produkt guten Special-Interest-Lobbyings – wirkt dann der Punkt "Bekenntnis zur Durchführung der internationalen Tagung der Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer im Jahr 2021 in Österreich". Geprüft werden sollen außerdem neue Standorte österreichischer Schulen zur Stärkung von Minderheiten (zum Beispiel in Slowenien). (Lisa Nimmervoll, 15.12.2017)