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Viel ist dieses Jahr passiert, wogegen Frauen protestierten. Der Rechtsruck in vielen Ländern erfordere weiterhin insbesondere feministisches Engagement, sind sich Aktivistinnen einig.

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Feminismus war schon lange nicht mehr so gefragt wie 2017 – zumindest wenn es nach den Online-Suchanfragen geht. Der US-Wörterbuchverlag Merriam-Webster wertet diese für die USA aus und ernannte "Feminismus" zum Wort des Jahres. Der Women's March als starkes Zeichen der Zivilgesellschaft gegen Frauenverachtung und rassistische Spaltung, Kino- und Serienhits und nicht zuletzt #MeToo waren verantwortlich für das um 70 Prozent gestiegene Interesse im Vergleich zum Vorjahr. Auf Regierungsebene spielte Feminismus unter der Führung von Präsident Donald Trump hingegen keine Rolle – die USA stehen damit exemplarisch für verschiedene Staaten, in denen neu erstarkte feministische Bewegungen sich dem Rechtsruck in den nationalen Parlamenten entgegenstellen.

Österreichische Neuauflage

"Ja, es gibt in Europa einen Backlash, aber es gibt auch eine Gegenbewegung", sagt Lena Jäger, Kampagnenleiterin des Frauenvolksbegehrens 2.0. Im Regierungsprogramm, das ÖVP und FPÖ zu ihrem Antritt Mitte Dezember vorlegten, ist im Kapitel "Frauen" zwar von Chancengleichheit die Rede, nur einen Absatz weiter definiert die Rechts-Koalition jedoch die "Verschiedenheit von Mann und Frau" als "unantastbar mit der Würde des Menschen verbunden". Ein Geschlechterbild, das den Vorstellungen der Freiheitlichen entspricht, die seit jeher gegen "Genderwahn" und "Gleichmacherei" mobilisieren – und jenem der Frauenvolksbegehren-AktivistInnen diametral entgegensteht. "Viele Menschen haben sich deshalb in den vergangenen Tagen bei uns gemeldet. Uns ist klar: Darauf muss das Frauenvolksbegehren eine Antwort geben", sagt Jäger.

Ab 12. Februar werden die AktivistInnen Unterstützungserklärungen in allen Bundesländern sammeln, etwas mehr als 8.000 Unterschriften braucht es, um ein Volksbegehren einzubringen. Die Festsetzung der offiziellen Eintragungswoche liegt anschließend bei Innenminister Herbert Kickl. Ziel der Initiatorinnen ist es aber nicht nur, möglichst viele Unterschriften für ihre Anliegen zu sammeln. "Es geht uns ganz stark darum, einen Diskurs anzuregen", sagt Jäger.

Angriff auf die Selbstbestimmung

Auf der Ebene der Forderungen, die von Arbeitsmarktpolitik und sozialer Sicherung über Gewaltschutz bis hin zu sexueller Selbstbestimmung reichen, gibt es mit der neuen Regierung kaum Übereinstimmungen. Während das Frauenvolksbegehren etwa eine Kostenübernahme bei Schwangerschaftsabbrüchen durch die Krankenkassen und eine Durchführung in allen öffentlichen Krankenanstalten fordert, ist im Regierungsprogramm von "medizinischer und sozialer Beratung vor geplanten Schwangerschaftsabbrüchen" die Rede. "Überall, wo rechte Parteien Erfolg haben, gibt es einen Backlash, was die körperliche Selbstbestimmung betrifft", sagt dazu Jasna Strick.

Die Autorin und feministische Aktivistin lebt in Berlin und war zuletzt bei den Protesten gegen den Paragraf 219a aktiv. Dieser verbietet in Deutschland das "Werben" für Schwangerschaftsabbrüche – die Gießener Ärztin Kristina Hänel wurde wegen eines entsprechenden Hinweises auf ihrer Website vor kurzem zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt. Die Streichung des Paragrafen geht Strick allerdings nicht weit genug. Wie in Österreich ist auch in Deutschland der Schwangerschaftsabbruch nach wie vor im Strafgesetzbuch verankert. "Es ist klar, dass Rechte, die so formuliert sind, auf schwachen Füßen stehen. Abtreibung muss endlich legal werden", sagt Strick.

Mit der AfD gibt es nun auch in Deutschland eine Partei im Bundestag, die mit radikalen AbtreibungsgegnerInnen bestens vernetzt ist – und sich gegen "Genderwahn" und "Frühsexualisierung" stellt. Dass im Gegensatz zu diesem Rechtsruck feministische Ideen immer stärker Verbreitung finden, beobachtet Strick durchaus, "was dann im Mainstream ankommt, ist letztendlich aber oft weichgespült", sagt die Aktivistin.

Von #Aufschrei zu #MeToo

Jasna Strick war 2013 Mitinitiatorin des #Aufschrei-Hashtags, der eine deutschlandweite Sexismusdebatte auslöste. 2017 ist es der Hashtag #MeToo, der seit Monaten rund um den Globus Wellen schlägt. In der medialen Aufarbeitung der beiden Bewegungen sieht die Aktivistin mit Blick zurück durchaus Fortschritte – der Begriff Sexismus müsse heute nicht mehr erklärt werden. "Aber dann begegnen mir Schlagzeilen wie 'Jetzt wird endlich darüber gesprochen', und ich denke mir: #Aufschrei ist rund vier Jahre her, müssen wir wirklich wieder bei null anfangen?" Dennoch: Auch wenn Feministinnen seit Jahrzehnten daran arbeiten, sexuelle Gewalt und die gesellschaftlichen Strukturen dahinter zu skandalisieren – die Geschichten der Betroffenen müssten immer wieder erzählt werden, ist die Aktivistin überzeugt.

Dass es im Fall von #MeToo Prominente waren, die ihr Schweigen brachen und jahrelange Erfahrungen von sexueller Belästigung, Gewalt und Demütigung öffentlich machten, verschaffte dem Thema eine nie dagewesene Medienpräsenz. #MeToo habe "eine der schnellsten Veränderungen in unserer Kultur seit den 1960er-Jahren freigesetzt", begründete Edward Felsenthal, Chefredakteur des "Time"-Magazins, die Entscheidung, #MeToo-Aktivistinnen zur Person des Jahres zu erklären. Auch heimische Medien entschieden sich zum Jahresende für eine Würdigung der Stimmen gegen sexuelle Gewalt. So schrieb die Redaktion des Nachrichtenmagazins "Profil", dass #MeToo selbst Sebastian Kurz überstrahlt habe, und kürte "Die Frau" zum Menschen des Jahres, der "Falter" hob Ex-Skirennläuferin Nicola Werdenigg als Frau des Jahres auf den Titel.

Identität schlägt Klasse?

Kalkulierte Medienöffentlichkeit generierten allerdings auch jene prominenten Stimmen, die gegen die Bewegung ins Feld zogen. So bezeichnete Nina Proll pünktlich vor dem Start ihres neuen Films #MeToo als scheinheilig, Robert Pfaller, Professor für Philosophie an der Kunstuni Linz, glaubt, eine puritanische Sexualfeindlichkeit zu erkennen. Überhaupt sei der Feminismus auf dem falschen Dampfer, ist Pfaller überzeugt, der sich als Verteidiger der Unvernunft sieht und das Binnen-I einer Befindlichkeitspolitik zuordnet.

Argumente, die Anna Babka nicht mehr diskutieren möchte. "Dass Frauen sich nicht mitgemeint und damit auch nicht angesprochen fühlen, ist wissenschaftlich längst belegt. Ich vermute, Herr Pfaller möchte Schlagzeilen produzieren – was ihm ja gelingt", sagt die Professorin am Institut für Germanistik der Uni Wien. Auch die These, queer-feministische "Identitätspolitik" würde lediglich ökonomische Ausbeutungsverhältnisse verschleiern, kann die Germanistin und Gender-Theoretikerin nicht nachvollziehen: "Feminismus hat immer unterschiedliche Identitätskategorien im Blick und zielt mit einem Bündel emanzipatorischer Maßnahmen auf das gute Leben für alle – dazu gehört selbstverständlich auch ökonomische Sicherheit."

Feminismus als neue ArbeiterInnen-Bewegung

Dass (Queer-)Feminismus Klassenkampf durch Political Correctness ersetzt habe, ist eine Debatte unter Linken, die seit dem Wahlsieg Donald Trumps nicht abreißt und oftmals von einem Bild des Arbeiters geprägt ist, das einer Aktualisierung bedarf: jenes des männlichen Alleinverdieners. "Ich habe übersehen, dass die Mehrheit schlecht bezahlter ArbeiterInnen im Dienstleistungssektor Frauen sind", meinte der britische Politologe Colin Crouch 2015 in einem Interview mit dem "Roar"-Magazin selbstkritisch. Das fehlende politische Selbstbewusstsein von ArbeiterInnen, das vielerorts beklagt wird, könnte im Feminismus eine neue Ausdrucksform gefunden haben, so die These von Crouch, der mit seinem Buch "Postdemokratie" international Beachtung fand.

Während in der Industriegesellschaft die Sozialdemokratie ihre Anliegen stets durch die Brille des männlichen Alleinverdieners formuliert habe, sei es heute vielleicht die Arbeiterin, die auch Sorgearbeit und den Wert öffentlicher Einrichtungen im Blick habe, so Crouch. Auch in Österreich könnte die stärkste Opposition zu den Einschnitten im Sozialsystem, die die türkis-blaue Regierung angekündigt hat, eine feministische Bewegung sein. "Diese Regierung ist mit deutlicher Mehrheit gewählt worden, aber auch wir werden stärker. Das Schlüsselwort lautet jetzt Solidarität", sagt Frauenvolksbegehren-Aktivistin Lena Jäger. (Brigitte Theißl, 25.12.2017)