Heinz Faßmann will Kindergärten zu einem Teil des Bildungssystems machen, in der Schule auch die Mitwirkung der Eltern forcieren und die Unis neu und besser finanzieren.

Foto: Heribert Corn

STANDARD: Im Regierungsprogramm steht der Satz: "Wir wollen sicherstellen, dass elementarpädagogische Einrichtungen nicht als Instrumente für die Förderung von gegengesellschaftlichen Modellen genützt werden." Was ist mit "Gegengesellschaft" gemeint?

Faßmann: Da steckt in erster Linie dahinter, wofür die Elementarpädagogik in Zukunft stehen sollte: Sie ist Teil eines Bildungssystems, also weg von der Aufbewahrung und Betreuung von Kindern.

STANDARD: Vermutlich steht hinter "Gegengesellschaft" auch die Debatte über islamische Kindergärten.

Faßmann: Ja, natürlich.

STANDARD: Eine neue Studie konnte keine Islamisierungstendenzen feststellen. Ihre Schlüsse daraus?

Faßmann: Aus der zweiten Kindergartenstudie, die ja teilweise auch wieder widersprüchlich ist, weil sie aus zwei Teilen besteht und die Autoren offensichtlich unterschiedliche Sichtweisen auf dieselbe Sache haben, ziehe ich den Schluss, dass wir österreichweite Qualitätsstandards brauchen. Daher sollte jetzt nicht sofort die Stadt Wien diese Standards formulieren, weil ich wüsste nicht, warum ein Qualitätsstandard in einem Bundesland signifikant vom anderen abweichen sollte.

STANDARD: Sie haben als Vorsitzender des Expertenrats zur Integration dafür plädiert, dass Lehrerinnen kein Kopftuch in der Schule tragen sollten. Werden Sie sich als Minister auch dafür einsetzen?

Faßmann: Ich habe das formuliert aus der Prämisse heraus, dass wir einen säkularen Staat haben und dass öffentlich Bedienstete als seine Repräsentanten hier eine ganz besondere Rolle zu erfüllen haben. Aber das Kopftuch ist, auch von der Problemsituation her, sicher nicht das, was vorrangig ist, aber wir werden das noch prüfen.

STANDARD: Der Forderung nach einem Kopftuchverbot für minderjährige Mädchen schließen Sie sich also nicht an? Der Psychologe Ahmad Mansour und der Politologe Hamed Abdel-Samad argumentierten im STANDARD, dass man auch die Mädchen im Sinne der Religionsfreiheit vor diesem "religiösen Korsett" schützen müsse.

Faßmann: Ich meine immer die Lehrerinnen im nicht bekenntnisorientierten Unterricht im öffentlichen Schulbereich. Ich würde jetzt nicht anfangen, Schülerinnen oder auch Schülern bestimmte Kleidungsvorschriften zu verpassen, weil wenn wir damit anfangen, enden wir irgendwo. Aber wir dürfen auch keinen Zwang zum Kopftuch und damit einhergehende Ideologien tolerieren.

STANDARD: "Eine freiheitliche Gesellschaft muss manchmal auch illiberal sein, um letztlich ihre Liberalität langfristig durchsetzen zu können", sagten Sie. Was heißt das im bildungspolitischen Kontext?

Faßmann: Dass sie manchmal auch nicht nur gut zuredet, sondern Eltern bestimmte Verpflichtungen auferlegt. Wenn Sie Ihrer Tochter eine weiterführende Schulbildung verwehren und Lebenschancen verbaut werden, würde ich da auch illiberale Mittel zugestehen.

STANDARD: Umgekehrt sagten Sie mit Blick auf Schulschwänzer und Mädchen, die nicht am Schwimmunterricht teilnehmen dürfen: "Um diese Eltern zu sanktionieren, steckt zu viel Liberalität in mir." Wie geht es Ihnen als Sanktionsskeptiker da mit dem ÖVP-FPÖ-Plan, die Bindung der Sozialleistungen an die Einhaltung schulgesetzlicher Pflichten zu prüfen?

Faßmann: Ich bin eher ein Sanktionsrealist. Man kann über Sanktionen nicht alles regeln, aber ohne Sanktionen kann man nicht alles erreichen. Es geht um eine sorgfältig überlegte Balance, wie weit man gehen kann, wenn sich Eltern weigern, bei Elternarbeit mitzumachen. Schule und Eltern zusammen können viel für die Ausbildung der Kinder erreichen, und wenn sich Eltern systematisch nicht für die Schule interessieren, dann wird das gute Zureden nicht immer ausreichen.

STANDARD: Sie sind Wissenschafter, warum haben Sie im Regierungsprogramm eigene Deutschklassen nicht verhindert? Ihr Kollege Bildungswissenschafter Stefan Hopmann sagte: "Wie Herr Faßmann ausgezeichnet weiß, sind integrierte Förderlösungen günstiger als Gettolösungen." Wie verteidigen Sie die geplante Gettolösung?

Faßmann: Der Begriff Gettolösung ist hier ein deplatzierter Begriff. Es ist eine Fördermaßnahme, um den Schülern in möglichst kurzer Zeit und konzentrierter Form so viele Deutschkenntnisse beizubringen, dass sie dem Unterricht folgen können. Ich glaube, wenn man das systematisch und strukturiert macht, verlieren die Kinder sehr viel weniger Zeit, als wenn man hofft, dass sie durch das "Sprachbad" bei den Gleichaltrigen das lernen, was sie lernen müssten.

STANDARD: Auch für die Rückkehr zu Noten schon in der Volksschule findet man keine Experten, die das gut finden. Stört Sie das als Wissenschafter nicht grundsätzlich?

Faßmann: Auch die Pädagogik ist in manchen Bereichen ideologisch, und da steht dann auch ein bestimmtes Weltbild im Hintergrund. Die Aufregung um diesen Punkt kann ich nicht nachvollziehen. Es gibt eine Note, und wenn eine verbale Beurteilung dazu abgegeben wird, ist das wunderbar.

STANDARD: Im Zusammenhang mit Integration sagten Sie einmal: "Wir müssen uns der Frage stellen: Wie gehen wir mit Religion um? Wie bringen wir alles, was damit zusammenhängt, in Einklang mit unserer säkularen, liberalen, offenen Gesellschaft?" Wäre es da nicht konsequent gewesen, einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle Schüler zu etablieren?

Faßmann: Ganz realistisch gesagt: Wir leben in einem religionsfreundlichen Land. Das hat auch viele historische Wurzeln und ist auch völkerrechtlich abgesichert. Stichwort Konkordat. Die öffentliche Hand fördert den Religionsunterricht, und eine religiöse Erziehung ist etwas, das nicht nur akzeptabel, sondern für viele auch erfreulich ist. Das zu ändern, hielte ich für wenig opportun. Jene, die nicht in Religion gehen, sollten aber in einen verpflichtenden Ethikunterricht gehen.

STANDARD: Aber den Gedanken, dass es sinnvoll wäre, gerade in einer multikonfessionellen Gesellschaft gemeinsam über konflikthafte Themen nachzudenken ...

Faßmann: ... verstehe ich natürlich! Aber das wäre ein ordentlicher Umbau dieses Staates.

STANDARD: Den Sie nicht möchten?

Faßmann: Ethische Prinzipien werden ja alle lernen, die einen halt aus einer religionspädagogischen Perspektive, die anderen allgemeine ethische Prinzipien. Das ist etwas Gutes für eine vollständige Erziehung von Kindern.

STANDARD: Türkis-Blau will eine Bildungspflicht, bis man bestimmte Kompetenzen erworben hat. Wann ist spätestens Schulschluss?

Faßmann: Die Idee ist, mit 18, das würde mit der Ausbildungspflicht korrespondieren. Man muss sie irgendwann auch loslassen, auch wenn sie die verpflichtenden Kompetenzen nicht beherrschen.

STANDARD: Was steht unipolitisch ganz oben auf Ihrer Agenda?

Faßmann: Die Univertreter haben immer über die finanzielle Unterausstattung geklagt, auch mit Hinweis auf ausländische Beispiele, und sie haben zu Recht geklagt. Jetzt kommt eine einmalige Chance, dass eine Unifinanzierung neu aufgesetzt wird mit einem kapazitäts- und studierendenorientierten Finanzierungsschlüssel. Das ist auch das Verdienst der letzten Regierung, und ich hoffe, dass das alles so kommt, wie es geplant ist.

STANDARD: "Moderate" Studienbeiträge sind geplant. Was ist moderat?

Faßmann: Priorität hat die Unifinanzierung, erst dann werden wir über Studiengebühren nachdenken. Sie eignen sich sehr viel weniger zur Finanzierung der Unis, weil dann müsste man wirklich ganz hoch hinaufgehen, und das will keiner, ich definitiv nicht. Aber Studiengebühren sind ein Instrument, um Verbindlichkeit herzustellen. Im Fachhochschulbereich sind sie gang und gäbe und wahrscheinlich ein kleines Element, warum Fachhochschüler auch in der gegebenen Zeit mit ihrem Studium fertig werden.

STANDARD: Sind 500 Euro moderat?

Faßmann: Über Zahlen sollte man nicht sprechen. Aber ja, 500 Euro wären eine moderate Studiengebühr, so in der Größenordnung wie der, die wir schon hatten.

STANDARD: Ihnen soll künftig eine de facto entpolitisierte ÖH an die Seite gestellt werden. Keine Lust auf politische Debatten mit Studierenden, die vielleicht ganz anders denken als die neue Regierung?

Faßmann: Ich schätze die Studierenden und die ÖH und freue mich auf die ersten Gespräche. Aber es geht nicht darum, dass sich die ÖH nicht um allgemeingesellschaftspolitische Angelegenheiten kümmern darf, das ist alles legitim und gehört zu einem demokratiepolitisch wichtigen Aufgabenbereich. Es geht um die Verwendung der Mittel, die sollten universitätspolitisch bleiben und nicht allgemeinpolitisch sein.

STANDARD: Der Anlassfall dahinter?

Faßmann: Ich kann es nur vermuten, das Café Rosa vielleicht.

STANDARD: Sind Sie ÖVP-Mitglied?

Faßmann: Nein, bin ich nicht.

STANDARD: Müssen Sie jetzt eins werden als Minister im ÖVP-Team?

Faßmann: Nein, ein Teil meiner Jobbedingung war, dass ich aus der Wissenschaft komme und das Denken des Wissenschafters auch als Minister behalten darf und mein Weltbild nicht in einer Parteimitgliedschaft umlegen muss. (Lisa Nimmervoll, 23.12.2017)