Wien – Die Regierung will das Arbeitslosengeld reformieren. Noch sind viele Details unklar. Mit dem Plan, die Leistung im Laufe der Arbeitslosigkeit abzusenken, würde man aber kein Neuland beschreiten. International ist das durchaus üblich. Ein Überblick über die wichtigsten Fragen:

Frage: Die Regierung plant eine Reform von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe. Worum geht es genau?

Antwort: Das ist die große Frage, ÖVP und FPÖ sind sich noch nicht ganz einig. Im Regierungsprogramm steht lediglich, dass es ein "Arbeitslosengeld neu" geben soll. Dieses soll degressiv und "mit klarem zeitlichen Verlauf" gestaltet werden, sprich am Anfang höher ausfallen und dann mit Fortdauer sinken. Wer länger eingezahlt hat, soll zudem länger Anspruch haben. Im Zuge dieser Reform soll die Notstandshilfe abgeschafft werden. Details finden sich im Regierungsprogramm aber nicht. Es ist also offen, wie lange das neue Arbeitslosengeld maximal gewährt werden wird oder wie hoch es am Anfang bzw. am Ende sein soll. Das sorgt nun für unterschiedliche Interpretationen.

Beim Arbeitslosengeld müssen Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache noch eine Lösung finden.
Foto: fischer

Frage: Wie sehen die Vorstellungen von ÖVP und FPÖ aus?

Antwort: Die Volkspartei liest den Koalitionspakt offenbar so, dass das neue Arbeitslosengeld jedenfalls befristet wird. Gibt es keinen Anspruch mehr, müsste man also Mindestsicherung beantragen. Sozial- und Arbeitsministerin Beate Hartinger-Klein von der FPÖ meinte zuerst, für Langzeitarbeitslose werde es jedenfalls unbefristet Arbeitslosengeld geben. Später ruderte sie zurück und erklärte, es sei offen, ob Langzeitarbeitslose Arbeitslosengeld oder Mindestsicherung bekommen sollen. Klar sei aber, dass man nicht auf das Vermögen dieser Gruppe zurückgreifen werde.

Frage: Was hat es damit auf sich?

Antwort: Im Gegensatz zu Arbeitslosengeld und Notstandshilfe muss bei der Mindestsicherung zuerst der Großteil des Vermögens aufgebraucht werden, um Anspruch zu haben. Der Freibetrag liegt aktuell bei rund 4200 Euro. Wer also beispielsweise angibt, 10.000 Euro auf dem Konto zu haben, bekommt keine Mindestsicherung (wobei die Behörden aber keinen Zugriff auf Kontodaten haben).

Frage: Was soll ein degressives Arbeitslosengeld bringen?

Antwort: Die grundsätzliche Idee dahinter lautet: Sinkt das Arbeitslosengeld nach einer gewissen Zeit, besteht ein höherer Anreiz, Jobs anzunehmen. Ein solches Modell wäre auch kein Unikum, in vielen OECD-Ländern sinkt die Leistung mit der Dauer der Arbeitslosigkeit. Über den effektiven Nutzen gehen die Ökonomeneinschätzungen aber auseinander. Für die USA kam beispielsweise vor drei Jahren eine Studie zu dem Ergebnis, dass durch die Kürzung von Arbeitslosengeld 1,6 Millionen Jobs geschaffen wurden.

Das Wifo hat hingegen 2016 im Auftrag des AMS eine Studie erstellt, die zum Schluss kam, dass in Österreich "von einem erhöhten Druck zu Arbeitsaufnahme keine große Beschäftigungswirkung zu erwarten ist, weil eine etwaige Anreizproblematik bereits weitgehend durch das Gesamtsystem aus Unterstützungsleistungen und Bezugsbedingungen in Arbeitslosenversicherung bzw. Arbeitsvermittlung entschärft wird". Das Wifo-Resümee lautete: Es gebe schon jetzt "eine geeignete Balance zwischen fördernden und fordernden Elementen".

Frage: Wie steht Österreich im internationalen Vergleich da?

Antwort: Zu Beginn der Arbeitslosigkeit sind die Ansprüche in Österreich unterdurchschnittlich, wie ein OECD-Vergleich für das Jahr 2014 zeigt. Demnach bekommt ein 40-jähriger Single in Österreich im Schnitt 55 Prozent seines letzten Nettoeinkommens. Der OECD-Schnitt liegt bei 59 Prozent, auf den gleichen Wert kommt Deutschland.

Zahlreiche Staaten haben im ersten Monat der Arbeitslosigkeit deutlich größzügigere Systeme als Österreich. In Luxemburg und Lettland kommen die Jobsuchenden auf 85 Prozent des letzten Einkommens. In Finnland, Tschechien, der Schweiz, den Niederlanden sowie in Portugal sind es immerhin noch mehr als 70 Prozent. Würde sich Österreich also beispielsweise an den Holländern orientieren, bekäme ein Neo-Arbeitsloser im Schnitt ein um etwa 340 Euro höheres Arbeitslosengeld.

Nach fünf Jahren sieht das Bild allerdings ganz anders aus. Im OECD-Schnitt gibt es dann nur mehr 30 Prozent des letzten Nettoeinkommens. In Österreich sind es dann noch immer 51 Prozent, es gibt also im Zeitverlauf kaum eine Verschlechterung. Nur in Dänemark ist die Nettoersatzrate mit 57 Prozent höher, die Iren liegen gleich auf mit Österreich. In Deutschland wiederum, das im Jahr 2002 mit der Hartz-IV-Reform Sozialhilfe und Arbeitslosengeld in ein System zusammengeführt hat und das nun von Gegnern einer Reform als negatives Beispiel genannt wird, gibt es dann nur mehr 35 Prozent des letzten Einkommens. Den genauen Überblick zeigt diese Grafik:

Frage: Wer hat derzeit überhaupt Anspruch auf welche Leistung?

Antwort: Arbeitslosengeld bekommt, wer in den letzten zwei Jahren zumindest 52 Wochen gearbeitet hat (bei unter 25-Jährigen reichen 26 Wochen). Der Anspruch besteht grundsätzlich 20 Wochen lang, bei Älteren kann er auf bis zu 52 Wochen steigen. Das Arbeitslosengeld beträgt zirka 55 Prozent des Nettoeinkommens. Danach kann Notstandshilfe beantragt werden. Anspruch haben also auch hier nur Menschen, die über genug Versicherungsmonate verfügen. Die Notstandshilfe, die 92 Prozent des Arbeitslosengeldes ausmacht, wird für ein Jahr gewährt, kann aber immer weiter verlängert werden. Die Mindestsicherung kann hingegen auch von sozial Bedürftigen beantragt werden, die noch nicht ausreichend Versicherungsmonate haben.

Frage: Von welchen Größenordnungen reden wir?

Antwort: Seit Ausbruch der Finanzkrise ist die Zahl der Bezieher in allen Kategorien stark gestiegen. Im Jahresschnitt 2016 gab es 313.051 Menschen, die Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bezogen. Zum Vergleich: Zehn Jahre zuvor waren es um gut 100.000 weniger. Die Untergliederung sieht folgendermaßen aus:

Deutlich gestiegen ist auch die Zahl der Mindestsicherungsbezieher – von 221.000 im Jahr 2012 auf 307.533 im Jahr 2016. Zum Teil überschneiden sich die Gruppen aber. Denn: Wer nur ein geringes Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bekommt, kann eine Aufstockerleistung in der Mindestsicherung bekommen.

Frage: Wie viel bekommen die Menschen im Schnitt?

Antwort: Das durchschnittliche Arbeitslosengeld lag 2016 laut Statistik Austria bei 941 Euro im Monat, die Notstandshilfe machte 747 Euro aus, und an Mindestsicherung wurden monatlich im Schnitt 589 Euro (gerechnet aber pro Haushalt) ausbezahlt.

Zur Mindestsicherung gibt es auch nach Bundesländern aufgeschlüsselte Zahlen. Am meisten wird demnach in Tirol (882 Euro) ausbezahlt, am wenigsten im Burgenland (348), in Wien sind es 580 Euro pro Monat.

Frage: Kann die Regierung die Mindestsicherung einfach ändern?

Antwort: Einfach geht bei diesem Thema gar nichts. Die Mindestsicherung ist Ländermaterie. Nachdem im Vorjahr eine Reform für österreichweit einheitliche Standards gescheitert ist, gibt es nun unterschiedliche Leistungshöhen. Die Verfassung bietet der Regierung aber die Möglichkeit, den Ländern per Grundsatzgesetz Vorgaben zu machen. Allerdings kann ein solches Grundsatzgesetz nicht bis ins letzte Detail gehen. Wien hat bereits angekündigt, sich im Falle des Falles vor Gericht wehren zu wollen. Zudem kann der Bund nicht einseitig Regelungen beschließen, die Mehrkosten bei den Ländern verursachen. In diesen Fällen haben die Länder Anspruch auf Ersatz ihres Mehraufwandes. (Günther Oswald, 8.1.2018)