"2016 wurden in Österreich 537.792 Anzeigen erstattet. Das bedeutet einen Anstieg der Zahl von Anzeigen um 3,8 Prozent."

Sicherheitsbericht 2016 des Innenministeriums

Der parlamentarische Sicherheitsbericht des Innenministeriums hinkt immer der polizeilichen Anzeigenstatistik für Österreich hinterher. Die Kernzahlen für das Jahr 2016 sind schon seit März 2017 bekannt – auch DER STANDARD berichtete über den leichten Anstieg der Gesamtanzeigen im Vergleich zu 2015 und den Anstieg bei der Aufklärungsrate auf 45,9 Prozent.

Zu betonen ist, dass es sich um Verdachtsfälle handelt, Anzeigen können auch zurückgelegt, ein Verfahren eingestellt werden. Im mittelfristigen Vergleich seit 2010 ist die Anzahl der erstatten Anzeigen relativ konstant.

Was die Zahl der angezeigten Tatverdächtigen betrifft, zeigt der Trend hingegen eindeutig nach oben. Zwischen 2012 und 2016 stieg die Zahl von 253.630 auf 270.160 Personen. Die Strafverfolgungsbehörden ermitteln also kontinuierlich gegen mehr Strafverdächtige.

Die Verurteilungszahlen wiederum, die jedes Jahr von der Statistik Austria veröffentlicht werden, nahmen zuletzt ab: 27.916 Personen fassten 2016 einen rechtskräftigen Schuldspruch aus. Verglichen mit den 29.511 Verurteilten des Jahres 2015 entspricht das einem Rückgang von 5,4 Prozent. Dem Plus an Anzeigen stand also ein Minus bei Verurteilungen gegenüber – direkt können diese Daten aber nicht in Bezug gesetzt werden, weil sich Verurteilungen auch auf Anzeigen aus früheren Jahren beziehen.

Unbedingte Freiheitsstrafen gingen zwar generell zurück (2010: 24.564, 2016: 20.637), es gab aber in den vergangenen Jahren eine Verschiebung von kürzeren in Richtung längerer (über ein Jahr dauernder) Haftstrafen.

FAZIT: Ob Österreich mehr oder weniger kriminell wird, ist Ansichtssache. Die Anzeigenzahl ist mittelfristig relativ konstant, die Zahl ausgeforschter Tatverdächtiger steigt aber. Dennoch gehen Verurteilungen zurück.


"Die Anzahl der fremden Tatverdächtigen ist gegenüber 2015 um 13,7 Prozent gestiegen. Das bedeutet den höchsten Wert der letzten zehn Jahre."

Sicherheitsbericht 2016 des Innenministeriums

Die Zahl als solche erscheint beachtlich: Rechnet man sämtliche im Statistikteil des Sicherheitsberichts 2016 nach Staatsangehörigkeiten aufgeschlüsselten "fremden Tatverdächtigen" zusammen, kommt man auf 105.551 Fälle. Fälle, nicht Personen: "Ein Tatverdächtiger wird mehrfach gezählt, wenn ihm mehrere strafbare Handlungen zugeordnet werden", ist in der Einleitung zum Sicherheitsbericht zu lesen.

105.551 ausländische Tatverdachtsfälle, das sind um 13,7 Prozent mehr als 2015. Die höchste Steigerungsrate gab es dabei unter afghanischen Staatsbürgern. In dem von Rumänen, Deutschen, Serben und Türken angeführten Ranking der tatverdächtigenträchtigsten Nationalitäten überholten sie 2016 die Slowaken, Ungarn und Bosnien-Herzegowiner. Statt wie 2015 mit 3.269 Tatverdächtigen an achter Stelle rangierten sie 2016 mit 5.973 Tatverdächtigen auf dem fünften Rang.

Beachtlich mehr Tatverdächtige gab es etwa auch bei den seit Jahren an der Spitze stehenden Rumänen. 2015 hatte es unter ihnen 9.624 Tatverdächtige gegeben, 2016 waren es 11.021 – darunter 5.037 "Fremde ohne Beschäftigung".

Wie sind diese starken Zunahmen zu erklären? Einen Erklärungsansatz bietet die Bevölkerungsstatistik, laut der sich etwa die Zahl in Österreich lebender Afghanen aufgrund der großen Fluchtbewegung ab Ende 2015 fast verdreifacht hat. Am 1.1.2015 waren es 16.779 Menschen, zwei Jahre später, am 1.1.2017, bereits 45.259 Menschen. Auch die Zahl hierzulande lebender Rumänen nahm in diesem Zeitraum stark zu.

FAZIT: Der Anteil ausländischer Tatverdächtiger hat 2016 im Vergleich zum Vorjahr unter anderem deshalb zugenommen, weil die Zahl der Ausländer in Österreich größer geworden ist: eine Folge der großen Fluchtbewegung.


"Die Gruppe der Asylwerbenden hat 2016 die höchste Zunahme zu verzeichnen. Die Zahl stieg in einem Jahr um 54,2 Prozent auf 22.289."

Sicherheitsbericht 2016 des Innenministeriums

Das Tatverdächtigenplus unter Asylwerbern hat zu einem großen Teil denselben Grund wie die Zunahme der Zahl ausländischer Verdächtiger insgesamt: Die afghanischen (oder auch, auf weit niedrigerem Niveau, der algerischen) Communitys wurden infolge der Fluchtbewegung beachtlich größer – und somit auch die Zahl von Gesetzesübertretern. Als Erklärung insgesamt reicht das indes nicht aus, stellen doch syrische Staatsbürger seit inzwischen über zwei Jahren mit Abstand die meisten Asylanträge in Österreich. In der Kriminalitätsstatistik fallen sie dennoch nicht durch hohe Verdächtigenzahlen auf.

Eine mögliche Ursache dieser Diskrepanzen ist die unterschiedliche soziale Zugehörigkeit der Neuzugezogenen. Aus Afghanistan sowie aus Algerien kommen vielfach alleinstehende minder- oder knapp volljährige junge Männer, aus Syrien häufig Menschen, die Teil eines Familienverbands sind – auch wenn die Familie in vielen Fällen noch auf Nachzug wartet.

Laut Kriminalsoziologen sind entwurzelte junge Männer aus repressiven Kulturen besondern kriminalitätsgefährdet. Junge Afghanen geraten zudem besonders rasch in Verdacht: Ihr Ruf ist schlecht. In der Statistik des Sicherheitsberichts 2016 fallen Afghanen durch 1.469-mal Körperverletzungstatverdacht auf. Im Nationalitätenvergleich wurde gegen sie zudem relativ häufig Tatverdacht wegen sexueller Belästigung erhoben. Konkret 126-mal, doppelt so oft wie – zum Beispiel – gegen Rumänen. Die rumänische Community ist zweimal größer als die afghanische.

FAZIT: Die Kriminalitätsgefährdung von Asylwerbern ist je nach Herkunftsstaat und sozialer Zugehörigkeit unterschiedlich. Entwurzelte junge Männer weisen ein größeres Risiko als sozial gebundene Personen auf. (Irene Brickner, Michael Simoner, 12.1.2018)