Ist staatlich finanzierte Sexarbeit möglich? Erst kürzlich wurde in Australien diese Frage diskutiert. Auf der Website der staatlich finanzierten Australian Defence Force (ADF) erschien ein – aufgrund von Protesten inzwischen gelöschter – Artikel, in dem behauptet wurde, dass Sex während des militärischen Einsatzes dabei helfe, Stress abzubauen. So sei es für die Streitkräfte einfacher, mit den schwierigen Umständen von Krieg und Gewalt umzugehen. Dem umstrittenen Artikel nach hätten somit australische Steuerzahler für "sexuelle Leistungen mit beiderseitigem Einverständnis" für diese Personengruppe zu bezahlen.

Der Protest, angeführt von Ehefrauen von ADF-Mitgliedern, setzte diesem Verständnis von Sex als "berechtigten Anspruch" privilegierter, vom Staat ausgewählter Bürger ein Ende. In Ungarn sind die Bürger in ihrem Bemühen, sich derartigen Tendenzen zu widersetzen, nicht in gleichem Maße erfolgreich. Nicht etwa, weil es dort ähnliche Proteste nicht gegeben hätte, sondern weil EU-Mittel in Kombination mit einem ineffektiven nationalen Rechtssystem fragwürdigen Unternehmen die Möglichkeit bieten, weibliche Körper zur Ware zu machen, auf die Anspruch erhoben werden kann – unter der Verwendung von Steuergeldern.

"Sugar-Daddy-Finanzierungsmodell"

Das "Sugar-Daddy-Finanzierungsmodell" sieht vor, dass reiche, ältere Männer junge, schöne und alleinstehende Frauen für entsprechende Gegenleistungen finanzieren. Dieses Geschäftsmodell der Kommerzialisierung weiblicher Körper wurde zunächst in den USA begründet. Aufgrund der Strukturen des US-Hochschulwesens wird diese Form der Finanzierung von – vorwiegend weiblichen – Studenten genutzt, um die Kosten ihrer Studiendarlehen zu stemmen. Somit wird diese Art des Geldverdienens zu einer normalisierten Strategie der Einkommensmaximierung.

Dieses Modell, als Folge des Rückbaus des Wohlfahrtsstaates und der Kürzung öffentlicher Mittel im Bereich höherer Bildung, hat nun auch Europa erreicht. Es nutzt nicht nur Gesetzeslücken, sondern stützt sich auch auf einen Diskurs um die Entscheidungsfreiheit ("freedom of choice") und das Narrativ der "freiwilligen Entscheidung" von Frauen, die Bedürfnisse älterer, aber reicher Männer zu bedienen. 

Budapest, das "Bangkok Europas"

Ungarn ist in den letzten Jahren dafür bekannt geworden, "unorthodoxe" Lösungen für wohlbekannte politische Probleme vorzulegen. Natürlich kann hier die Kommerzialisierung des weiblichen Körpers auch keine Ausnahme sein. Während in Frankreich und Belgien solche Sugar-Daddy-Websites von staatlichen Behörden rechtlich verfolgt werden, sieht die Situation in Ungarn völlig anders aus. Budapest wurde nicht zufällig schon als das "Bangkok Europas" bezeichnet. Der Neoliberalismus und die Folgen der sozialen Ungleichheit haben hier nach 1989 sämtliche Voraussetzungen für ein blühendes Sexgewerbe geschaffen: lose Verordnungen, korrupte Beamte, einen deregulierten Arbeitsmarkt und wirtschaftlich schlecht gestellte Frauen.

Die Ideologie dieser Kommerzialisierung stützte sich dabei auf unterschiedliche Medienprodukte, etwa populäre Filme wie "Pretty Woman" (1990), die den Hollywood-Traum von Sexarbeit als Arbeit wie jede andere und die "wahre Liebe" als mögliche Option zwischen Kunde und Anbieterin – inklusive Heiratsaussichten – verkauften. Dieses spezifische Sexgewerbe ist in Ungarn seit Jahrzehnten erfolgreich und basiert auf einem Schlüsselelement: Der ganze Vorgang soll für die "normalen und ehrenhaften" Bürger unsichtbar bleiben, um zu verschleiern, dass die Kunden der Sex-Industrie aus genau dieser sogenannten "anständigen" sozialen Gruppe stammen.

Sugar-Daddy-Seiten, wie hier "RichMeetBeautiful", werden in Frankreich strafrechtlich verfolgt.
Foto: APA/AFP/ANAIS CAQUANT

Armut und strukturelle Ungleichheiten bedingen nicht nur die Versorgung des Pflegesektors in den reicheren Teilen Europas, sondern auch die der Bordelle Zürichs oder Amsterdams mit Frauen aus Osteuropa. Dies trägt zu einem entsprechend kostengünstigen und einfachen Zugang zu den Körpern bestimmter Frauen durch bestimmte Männer bei.

EU-Gelder für die Sugar-Daddy-Seiten

Neu für die "unorthodoxe" politische Kultur Ungarns und eine Überschreitung jener einvernehmlichen "roten Linien der Unsichtbarkeit" des Sexgewerbes, ist eine kürzlich veröffentlichte Plakatkampagne, die vornehmlich im Umkreis von Universitäten und über Anzeigen auf Facebook beworben wird. Diese Werbeplakate verspotteten öffentlich solche Frauen, die "noch immer arbeiten", statt reichen Männern "behilflich zu sein", womit sie deutlich mehr verdienen könnten.

Tatsächlich sieht die soziale Situation von Frauen in Ungarn düster aus. Frauen sind sowohl strukturell, als auch das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben betreffend benachteiligt. Dem European Gender Equality Index des European Institute for Gender Equality (EIGE) in Vilnius zufolge liegt Ungarn nur noch vor Griechenland.

Die Plakatkampagne beinhaltet jedoch neue und "unorthodoxe" Elemente. Erstens wurden die Gründer dieser Webseite als "vielversprechendes Start-up" von ungarischen staatlichen Behörden mit 14 Millionen Euro an EU-Geldern unterstützt. Zweitens ist einer dieser Gründer gleichzeitig auch der Geschäftsführer der MOL-Group (ein multinational agierender, ungarischer Öl- und Gas-Großkonzern). Dieser hat ein weiteres Unternehmen in Rumänien gegründet, das, wenig überraschend, auch die Sugar-Daddy-Webseite anbietet und um Ungarinnen in Rumänien wirbt – mit dem fadenscheinigen Versprechen auf ein besseres Leben. Drittens war die Reaktion auf die Kampagne ein gemeinsamer Protest unterschiedlicher Akteure im zutiefst gespaltenen Ungarn. Es protestierten nicht nur feministische Aktivisten, sondern auch konservative, etwa Mitglieder des ungarischen Ablegers der transnationalen "Anti-Choice"-Organisation CitizenGo.org, die 20.000 Unterschriften für ein Verbot der Webseite sammelten. Darüber hinaus wurden Artikel über die Verantwortung Intellektueller veröffentlicht, die unangenehme Fragen im Hinblick auf Kollaboration und Widerstand aufwarfen. 

Plakat mit dem Text: "Ich date nur coole Männer". Das Graffiti darüber: "Töte deinen Zuhälter".
Foto: Andrea Petö

Im Gegensatz zu den Ehefrauen der ADF-Mitglieder in Australien, die erfolgreich gegen eine solche Perspektive staatlich finanzierter Sexarbeit protestierten, waren in Ungarn die Proteste gegen die schmerzliche Realität staatlich finanzierter Kommerzialisierung weiblicher Körper weniger erfolgreich. Die liberale Politikerin Nóra Hajdu (Együtt Partei) brachte eine Anzeige bei der Landesmedienanstalt ein, die jedoch abgelehnt wurde. Die Begründung lautete, es seien keine Hinweise auf eine sexuelle Natur der Beziehung zwischen "Sugar Daddy" und "Sugar Baby" zu finden.

Weibliche Körper als Ressource

Die Relevanz der Frage "Wer zahlt für dein Sexualleben?" macht nicht nur deutlich, wie der dortige Staat – ich nenne diese Form "polypore state" – arbeitet. Diese Art von Staat basiert auf Institutionen, die zwar vordergründig funktionstüchtig erscheinen, in der Praxis jedoch unfähig sind, die Rechte und Werte der Bürger zu schützen. Sie verweist auch auf die Umverteilung von Reichtum, wie die finanziellen Mittel der Europäischen Union und den Zugang zu Reichtum, durch die Kommerzialisierung weiblicher Körper als Ressource, basierend auf unhinterfragter politischer Loyalität zum Regime. Dabei handelt es sich nicht um ein ausschließlich in Ungarn oder Osteuropa auftretendes Phänomen. In Osteuropa sind diese Tendenzen nur offensichtlicher, da soziale Ungleichheiten in Kombination mit schwächerem Rechtsstaat Frauen stärker gefährden und ihnen den Zugang zu traditionellen Mitteln und Strukturen des Widerstands versperren. Dieses Spiel, inszeniert als Verteilung von EU-Mitteln, ist auf regierungsfreundliche Oligarchen zugeschnitten, während das Rechtssystem lediglich Scheinarbeit leistet.

Die Ehefrauen der ADF-Mitglieder in Australien protestierten im Namen eines "maternal feminism" (zu deutsch etwa "mütterlichen Feminismus") gegen staatlich finanzierten Sex als eine Bedrohung solcher Werte, die entscheidend für den Erhalt der sozialen Essenz einer Gesellschaft sind: Loyalität, Intimität und menschliche Körper sind keine käufliche Ressource. Jede Gesellschaft ist auch eine emotionale Gemeinschaft, in der eben diese Emotionen bestimmen, auf welche Weise ihre Mitglieder miteinander in Verbindung stehen. Wenn diese Art der Beziehung lediglich als das Zusammenlaufen finanzieller Transaktionen betrachtet wird, dann sind jene mit mehr Geld besser aufgestellt als jene, die weniger zur Verfügung haben.

Wer zahlt für dein Sexualleben?

Tony Judt schrieb 2009 in seinem Artikel zur Zukunft der Sozialdemokratie, dass es die Angst vor dem Rückschritt brauche, um die Zukunft progressiver Werte neu zu denken. Niemand habe vorhergesehen, dass die freie Welt der 1920er Jahre ein derart furchtbares Ende nehmen würde.

Den Schluss, den dieser Beitrag daraus zieht, ist die Notwendigkeit, diese Angst, die wir verspüren, tiefgreifend wahrzunehmen – weil die Wurzeln dieser Phänomene die gleichen sind. Die wirkliche Gefahr liegt in der Zerstörung unserer politischen Gemeinschaft, wie sie sich schon im Zweiten Weltkrieg ereignete. Hier sei etwa daran erinnert, dass Sexsklavinnen von der Kaiserlich Japanischen Armee als "comfort women" ("Trostfrauen") bezeichnet wurden und die nationalsozialistische deutsche Wehrmacht ein ganzes System an Bordellen betrieb. Es ist kein Zufall, dass Margaret Atwoods Roman "The Handmaid’s Tale" zwar bereits 1985 veröffentlicht wurde, jedoch erst seit vergangenem Jahr aufgrund der TV-Verfilmung breit diskutiert wird.

Es ist nicht zu übersehen, dass gesellschaftliche Vorstellungen derzeit neu verhandelt und umgedacht werden. Aber in welcher Weise und durch wen passiert das? Ein erster Schritt, sich damit auseinanderzusetzen, liegt darin, anzuerkennen, dass die Frage "Wer zahlt für dein Sexualleben?" von entscheidender Bedeutung ist. (Andrea Petö, 18.1.2018)

Andrea Pető ist Professorin am Institut für Gender Studies an der Central University Budapest (CEU). Sie weist zahlreiche Publikationen auf, darunter "Gender and far right politics in Europe" (2016). Der Text wurde aus dem Englischen von Claudia Strate (Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien) übersetzt.

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