Der neue Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) ist Mitte Jänner mit einem ersten Reformvorhaben an die Öffentlichkeit getreten: 57 Verordnungen sollen gestoppt werden, darunter Bestimmungen für den Standort des Absprungtrampolins im Turnunterricht oder drei Seiten lange Vorgaben zum optimalen Gewicht der Schultasche. Dieser erste Schritt soll schließlich dazu führen, dass 1200 Erlässe und Rundschreiben außer Kraft gesetzt werden, mit dem Ziel einer Verwaltungsvereinfachung und Entlastung von bürokratischen Strukturen. Wer je in der Schule gearbeitet hat und – wie die Verfasserin dieser Zeilen – auch in leitender Funktion, kann dieses Vorhaben nur begrüßen. Kaum ein anderes Land hat eine derart durch und durch bürokratisierte Schule wie Österreich.

Bildungsminister Faßmann will die Schulen Österreichs bürokratisch entschlacken.
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Der Reformbedarf besteht anderswo

Dennoch: Angesichts der zahlreichen Herausforderungen an Schule beziehungsweise an Bildung insgesamt sowie der hierzulande vielen ungelösten Probleme, mutet diese Schwerpunktsetzung etwas seltsam an. Oder, besser gesagt: Gut, das endlich in Angriff zu nehmen, doch als große Reform sollte man die Maßnahme nicht bezeichnen. Auch der Stadtschulrat für Wien arbeitet in dieselbe Richtung und hat vor kurzem ein Viertel seiner rund 2000 Erlässe außer Kraft gesetzt. So weit, so gut und begrüßenswert. Man soll mit Schwung weiter dran bleiben, im Bund ebenso wie in Wien, und die Schulen von dieser Fülle an bürokratischem Kleinkram befreien. Die angestrebte Schulautonomie erfordert ohnehin einen Paradigmenwechsel in diese Richtung.

Allerdings: Der große Reformbedarf besteht anderswo. Seit Jahrzehnten ist Österreich ein Migrationsland, doch das Schulsystem hat lange gar nicht, dann nur mit punktuellen Maßnahmen darauf reagiert. Die Fluchtbewegung 2015 hat die jahrzehntelangen Versäumnisse sichtbar gemacht. Ähnlich verhält es sich mit der Tatsache, dass in Österreich die soziale Herkunft die Zukunft, wie in kaum einem anderen Land bestimmt. Das wissen wir, seit wir an internationalen Bildungsvergleichsstudien teilnehmen. Diese, sowie die österreichischen Bildungsstandardtestungen, bescheinigen uns auch, dass ein Drittel unserer Schulabgänger nicht sinnerfassend lesen kann. Und auch hier besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Elternhaus und schulischem Versagen. Die international gesehen sehr frühe Trennung der Schüler mit zehn Jahren trägt dazu bei, dass Defizite, die vom Kindergarten an über die Schullaufbahn hinweg mitgeschleppt werden, an dieser Schnittstelle weiter mitgenommen, nicht behoben und oft weiter verstärkt werden. Der Faktor der sozialen Ungerechtigkeit ist wohl besonders gravierend, natürlich aus menschenrechtlicher Sicht, aber auch in Hinblick auf die Folgen für die Volkswirtschaft.

Was bedeuten die Lösungsvorschläge des Regierungsprogramms?

Was bietet uns das Bildungsprogramm der neuen Regierung nun an Lösungen an? Nun, es gibt ein paar positive Ansätze in einem Programm, durch das insgesamt ein seltsam strenger Wind weht, zumindest, was die Diktion betrifft. Da ist von Pflicht, Kontrolle, Sanktionen, Verschärfung und Ahndung die Rede, und das alles soll auch noch ausgebaut werden. Aber dass die Elementarpädagogik als Bildungseinrichtung anerkannt wird und in die Kompetenz des Bildungsministeriums kommen soll, geht meiner Meinung nach in die richtige Richtung. Schade nur, dass die Ausbildung der Lehrer weiterhin nicht auf Hochschulniveau stattfinden soll, wie international üblich, und dass die Gruppengrößen nicht internationalen Standards angeglichen werden sollen. In den Genuss des zweiten verpflichtenden Kindergartenjahrs sollten zwar alle Kinder kommen können, nicht nur die, "die es brauchen", aber vielleicht wird das in Zukunft eingeführt. Zu begrüßen ist das zweite verpflichtende Kindergartenjahr jedenfalls.

Investitionen in die Digitalisierung sind ebenso positiv zu bewerten, wie die so genannte "Bildungspflicht" für diejenigen, die am Ende des verpflichtenden Schulbesuchs die Kernkompetenzen noch nicht beherrschen. Sie sollen so lange die Schule (welche?) besuchen müssen, bis sie so weit sind. Dass die Lehrer künftig in Ausbildung und Fortbildung im Umgang mit Mehrsprachigkeit und Diversität geschult werden sollen, kann auf Grund der vagen und knapp formulierten Absichtserklärung noch nicht beurteilt werden, ist aber jedenfalls als Intention zu unterstützen. Wenn es gut umgesetzt wird, wirkt es bestimmt nachhaltiger, als die "Deutschpflicht vor Schulbeginn", für die sich bislang kein einziger Wissenschafter für eine positive Stellungnahme bereit gefunden hat.

Gibt es Maßnahmen im Regierungsprogramm, die der sozialen Ungerechtigkeit entgegenwirken können?
Foto: APA/dpa/Jonas Güttler

Soziale Ungerechtigkeit bleibt erhalten

Wie aber sieht es mit Maßnahmen aus, die der sozialen Ungerechtigkeit entgegenwirken sollen? Was plant die Regierung, um Kindern aus mehrfach benachteiligten Familien gleiche Bildungschancen zu eröffnen, so wie Kindern mit privilegiertem Familienhintergrund? Kompensatorische Maßnahmen finden sich kaum im Programm. Auf die Einführung eines Chancenindex, also der Zuteilung von Ressourcen nach Kriterien des Sozialindex, lässt man sich nicht ein, sondern man spricht vage von einem neuen, "noch zu erarbeitenden, für alle Schultypen fairen Zuteilungssystem". Wenn man bedenkt, dass selbst unter der konservativen Regierung David Camerons in England 2013 ein solcher Chancenindex ("Pupils Premium") eingeführt wurde, dann ist das sehr enttäuschend.

Stattdessen sollen Eltern in die Pflicht genommen werden, die ihren schulischen Pflichten nicht nachkommen. Ihnen drohen künftig "Sanktionen bei Sozial- und Transferleistungen". Statt dass man, wie etwa in skandinavischen Ländern, versucht, die Eltern durch aufsuchende Elternarbeit von klein auf in die Schule zu holen, werden indirekt die Kinder gestraft, die es ohnehin schon schwerer beim Start ins Leben haben. Dass gerade für diese Kinder ganztägige Schulen die Chancen auf bessere Bildung erhöhen, schlägt sich auch nicht im Programm nieder. Im Gegenteil: Ganztägige Schul- und Betreuungsformen sollen erst "ab der Mittelstufe" ausgebaut werden, was im Klartext einem Stopp des Ausbaus davor gleichkommt.

Fazit: Die großen Baustellen bleiben bestehen. Die soziale Ungerechtigkeit unseres Bildungssystems wird nicht in Angriff genommen. Auf die große Reform müssen wir weiterhin warten. Was das Bildungsprogramm sonst noch an Neuerungen und Veränderungen bringt, soll an dieser Stelle demnächst näher ausgeleuchtet werden. (Heidi Schrodt, 17.1.2018)