"Detroit ist zurück!" – "In Detroit geht die Post ab!" – "Hier entsteht gerade ein neues Kulturmekka!" Nach Jahrzehnten des Niedergangs gehe es für die ehemalige Auto-Metropole wieder bergauf, lautet der einhellige Tenor, den man medial seit Jahr und Tag zu hören bekommt.

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Foto: REUTERS/Rebecca Cook

Rechtzeitig zu den Reisevorbereitungen für die Detroit Auto Show erreicht uns noch eine letzte Jubelmeldung: Der ebenso beliebte wie schräge australische Reisebuchverlag Lonely Planet kürt Detroit für 2018 zur zweitbesuchenswertesten Stadt der Welt – geschlagen nur von Sevilla, aber vor Canberra, Hamburg, Kaohsiung (Taiwan), Antwerpen, Matera (Basilikata/Süditalien), San Juan (Puerto Rico), Guanajuato (Mexiko) und Oslo. Begründung: Die Stadt habe sich innerhalb der vergangenen Dekade geradezu vorbildlich gewandelt, strotze vor neuen Ideen und kreativem Potenzial.

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Eine erstaunliche Entwicklung, bedenkt man, dass Motown im Sommer 2013 pleiteging. Die Stadt musste Insolvenz anmelden. Arbeitslosigkeit, Kriminalität und zehntausende leerstehende Häuser (siehe Archivfoto von 2013): So weit war es mit Detroit gekommen.

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Foto: REUTERS/ Rebecca Cook

Abgespeichert hatten wir von den letzten Besuchen, dass, wenn denn der People Mover (die mehr oder weniger rund um Downtown führende Stelzenbahn) in Betrieb war, von dort aus nur Verfall zu bemerken war. Ein deprimierender Anblick.

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Daran hat sich nun tatsächlich was geändert. Hinterm Hotel, dem Westin Book Cadillac, nur ein paar Minuten zu Fuß entfernt vom Messegelände, der Cobo Hall, hat sich eine neue, lebendige Kneipen- und Restaurantszene entwickelt. Abends sind die Läden brechend voll, das Steakhaus Prime + Proper zum Beispiel; man fragt sich, woher plötzlich die vielen Leute kommen.

Zumal, das bestätigt sich auch anderntags, sonntags, kaum Verkehr herrscht in der Innenstadt. Geradezu gespenstisch wenige Autos sind unterwegs in dieser Metropole, deren Geschichte wie die keiner anderen mit dem Automobil verbunden ist.

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Ende 2013 standen fast 80.000 Häuser leer, die im Keller liegenden Immobilienpreise locken inzwischen viele neue Mieter an. Etliche leerstehende kleinere Fabrikgebäude wurden loftmäßig neuen gastronomischen Zwecken zugeführt. Und weil der Kaffee im Hotel der Kategorie "bohnenlose Frechheit" zuzuordnen ist (der zugehörige Euphemismus lautet "American Coffee") und der People Mover heute erst um elf Uhr seinen Betrieb aufnimmt, fallen wir um halb zehn ins Dessert Oasis Coffee Roasters in der Griswold Street ein (aber nicht, um als Hommage an Heinrich Bölls Roman Billard um halb zehn zu spielen, sondern um uns koffeinmäßig zu reanimieren). Ein Glückstreffer, der Espresso ist ausgezeichnet, der Cappuccino nicht minder – und zu dritt heben wir die Besucherfrequenz gleich einmal um 75 Prozent.

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Wo in Wien oder Manhattan am Wochenende die Cafés und Delis voll sind, ist hier kaum was los. Immerhin wird man wenigstens nicht gleich wieder hinauskomplimentiert, um den Platz für die nächsten Gäste freizumachen.

Dass die Belebung erst einmal nur ein punktuelles Phänomen an mehreren Stellen von Detroit Downtown ist – immerhin ist sie zu bemerken –, zeigt sich dann bei der Runde vom People Mover aus. Wo vor ein paar Jahren nur einstürzende Alt- und Neubauten zu sehen waren, scheint der Verfall gestoppt. Es wird sogar wieder gebaut.

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Ja, es gibt sogar wieder ein neues Wolkenkratzerprojekt. Bisher ist das 1977 errichtete Renaissance Centre – General Motors hat seine Zentrale hier drin – mit 221 Metern das höchste Gebäude der Stadt, direkt am Detroit River gelegen, mit Aussicht auf das kanadische Windsor und sein Kasino. Vom People Mover aus sehen wir ergriffen dem Eistreiben auf dem Fluss und der pittoresken Winterlichtstimmung zu ...

Wo waren wir? Wolkenkratzer. In der Woodward Avenue soll einer hochgezogen werden, ein Eine-Milliarde-Dollar-Projekt (siehe eingebetteter Tweet). Mit 244 Meter Höhe wird der Bau das Renaissance Centre um 23 Meter überragen (also ungefähr das, was in Altägypten die Memnonkolosse hoch waren). Auch das eine Art von Renaissance, von Wiedergeburt. Na hoffentlich steckt mehr dahinter, als der schnelle, oberflächliche Lokalaugenschein hergab. (Andreas Stockinger aus Detroit, 21.1.2018)