These: Der steigende Fleischkonsum und die Klimaziele lassen sich nicht vereinbaren.

Im Mittelalter galt es als suspekt, wenn der Schlachter hinter verschlossener Tür arbeitete. Der "Knochenhauer", wie er damals noch hieß, tötete und zerlegte die Tiere öffentlich. Die Kunden konnten sich direkt von der Gesundheit des Tiers überzeugen.

Heute ist es umgekehrt. Je mehr Fleisch wir verzehren, desto weniger bekommen wir von den Bedingungen mit. Das Endprodukt liegt in Plastik verpackt und vorteilhaft ausgeleuchtet im Supermarktregal. Die Auswirkungen lassen sich jedoch an der Umwelt ablesen: Kaum ein anderes Lebensmittel trägt so massiv zur Zerstörung des Klimas, zur Überdüngung der Böden und zum Artenverlust bei wie die industrielle Fleischproduktion.

"Qualvoll, umweltschädlich, ungesund und billig. Das charakterisiert heute die industrielle Tierproduktion", sagt Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, die im Jänner den neuen Fleischatlas für Deutschland mitherausgab. Die Reihe zeigt die Konsequenzen der industrialisierten Fleischproduktion auf und wird für zahlreiche Länder publiziert. Die Fleischindustrie müsste grundlegend umgebaut werden, fordern die Autoren, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen.

Die Entwicklung geht in die andere Richtung. Die globale Fleischproduktion hat sich in den vergangenen 50 Jahren mehr als verdreifacht. Bis 2050 wird sie noch einmal um 85 Prozent wachsen, erwartet die UN-Welternährungsorganisation. Eine Lösung sehen die Autoren in einer Reform der EU-Agrarpolitik. 40 Prozent des EU-Budgets, rund 60 Milliarden Euro pro Jahr, fließen in diesen Bereich. Doch auch der Konsument ist gefragt: Den Deutschen wird empfohlen, nur noch halb so viel Fleisch zu essen. Pro Kopf waren es 59 Kilogramm im Jahr 2016. In Österreich werden sogar rund 65 Kilogramm jährlich verzehrt.

Die globale Fleischproduktion hat sich in den vergangenen 50 Jahren mehr als verdreifacht.
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These: Der Konsument kann auf die EU-Richtlinien zum Schutz der Nutztiere vertrauen.

Nicht nur Klimawandel und Umweltschutz drängen zum Wandel. Das Beispiel Tiertransporte, nur ein Aspekt der Fleischproduktion, zeigt Mängel im Bereich Tierschutz in der EU auf. Pro Jahr werden etwa 360 Millionen Rinder, Schweine, Pferde, Schafe und Ziegen lebend innerhalb der EU transportiert. Dazu kommt eine Milliarde Stück Geflügel.

2007 wurde die erlaubte Transportdauer von Schlachttieren in Österreich auf viereinhalb Stunden begrenzt. Damit ist die Regel im Prinzip strenger als die EU-Vorschriften, die acht Stunden zulassen. Mit Spezialfahrzeugen, durch Pausen und Versorgungsintervalle kann die Transportzeit jedoch verlängert werden. Auch in Österreich gelten Ausnahmen. "Die Ausnahme ist der Regelfall", kritisiert der grüne EU-Abgeordnete Thomas Waitz. Er setzt sich auf EU-Ebene für eine Überarbeitung, aber vor allem für eine strengere Exekution bereits bestehender Gesetze ein.

In der Steiermark begleitete er im Jänner die Polizei bei einer Schwerpunktkontrolle. Drei Fahrzeuge wurden angehalten, bei zwei wurden Mängel entdeckt. Der Zustand in einem ungarischen Transporter war "verheerend", sagt Waitz. Rund 40 Rinder seien zum Teil so kurz angebunden gewesen, dass sie sich bei einem Ausrutschen hätten strangulieren können. Einige Tiere seien gar nicht angebunden gewesen. Der Spalt unter den Trennwänden war zu hoch, die Beine der Tiere hätten darunterrutschen und beim Aufstehen brechen können. Der hygienische Zustand sei schlecht gewesen. Es fehlte etwa Einstreu, weshalb nicht nur eine Anzeige nach dem Tierschutz-, sondern auch eine nach dem Seuchenschutzgesetz erfolgte.

An den Außenwänden seien Exkremente herabgeronnen, erzählt Waitz dem STANDARD. Der Grüne berichtet zudem, dass über Verladestellen getrickst wird. Die Tiere rasten nur kurz und werden dann neu verladen. In den Papieren ist das nicht ersichtlich, die Verladestelle gilt dann als Ursprungsort, und die Stoppuhr springt wieder auf null. "Die Behörden müssen strenger hinschauen", fordert Waitz.

Auch in Österreich gebe es Nachholbedarf, sagt der Politiker. Kontroll- und Beanstandungsdichte von Tiertransporten variierten in den Bundesländern. Als Schlusslichter nennt Waitz Niederösterreich und das Burgenland, eine höhere Kontrolldichte gebe es in der Steiermark und in Kärnten. Die Vernetzung funktioniere schlecht: "Die zuständigen Behörden haben großteils keinen Kontakt untereinander."

Ein Lösungsansatz wäre, die Marktkonzentration in der Schlachtindustrie aufzubrechen, sagt Waitz: "Europaweit gibt es nur noch knapp über zehn große Schlachtbetriebe, die mehr als ein Drittel der Schweine schlachten."

"Die Ausnahme ist der Regelfall", sagt der grüne EU-Abgeordnete Thomas Waitz über Tiertransporte in Europa.
Foto: APA/dpa/Jens Büttne

These: Essen wird immer genussfeindlicher. Fleischverzehr gilt bald als Obszönität.

Wie kann aber nun der Wandel stattfinden, wie er im Fleischatlas, von einigen Politikern und von Tierschützern gefordert wird? Moralkeule und Bevormundung schmecken vielen Menschen gar nicht. Ernährung ist immer auch ein emotionales Thema und bestimmt die Lebensqualität. Das Moment des Genusses hält die österreichische Foodtrendforscherin und Ernährungswissenschafterin Hanni Rützler auch für den "längeren Hebel": Veränderungen fruchten mehr, wenn man nicht nur auf Probleme schaue, sondern mit besserem Gewissen genießen kann.

Rützler schreibt in ihrem Food-Report für 2018, dass Gemüse allmählich sein Ende als Beilage erfahre und immer öfter Hauptspeise werde. In den 1960er- und 70er-Jahren sei Fleisch von der Festtags- zur Alltagsspeise geworden. Rützler zum STANDARD: "Der Fleischkonsum wurde demokratisiert. Größere Mengen wurden billiger produzierbar."

Dass Fleisch in Österreich so billig ist, liegt aber auch am Export. Der Verein "Land schaft Leben", der Konsumenten zeigen will, wie in Österreich Lebensmittel produziert werden, hat nachgezeichnet, wohin die Teilstücke der Schweine verkauft werden. Die Verwertung des ganzen Tiers – vom Kopf bis zum Huf – gibt es hierzulande schon lange nicht mehr. Die Österreicher wollen nur wenige Stücke essen, der Rest müsste demnach entsorgt werden. Dadurch würde sich der Preis für das beliebte Schweinefleisch aber vervielfachen. Da trifft es sich gut, dass am asiatischen Markt Teile des Schweins gefragt sind, die in Österreich kaum jemand isst. Und das ist dann auch der Ausweg: Die Aorta wandert nach China, der Schwanz nach Singapur, der Bauch nach Japan. Im Nachbarland Ungarn ist wiederum Hirn beliebt.

"Du bist, was du isst", hieß es früher. Heute gilt eher: "Du bist, was du nicht isst." Das liegt nicht nur an Geschmacksvorlieben. Gesundheitstrends und Fleischskandale, das Wissen über Futter, Haltung und Tötung der Tiere motivieren immer mehr Menschen dazu, ihren Konsum zu hinterfragen, zu reduzieren und damit auch Position zu beziehen. Für jede Nuance der Ernährung wird eine Bezeichnung gefunden: Pescegetarier, Freeganer, Paleoaner und das Wort, das nun in aller Mund ist – Flexitarier, Menschen, die zumindest zeitweise auf Fleisch verzichten und auf mehr Qualität achten. Früher hieß das schlicht "ausgewogene Ernährung".

Für Österreich schätzt Hanni Rützler, dass sich die Zahl der Flexitarier schon bei rund einem Drittel bewegt. Aber man dürfe die Nachkriegsgeneration nicht vergessen, sagt die Forscherin: "Sie hatte den Mangel im Nacken." Fragen, wie wir unsere Tiere halten und töten wollen, stelle man sich nicht, wenn es ums Überleben geht.

Den großen Popularitätsschub erfuhr auf Pflanzen basierende Ernährung nicht zuletzt durch kulinarische Bücher, in denen spielerisch mit Gemüse, Hülsenfrüchten und Obst umgegangen wird. Ein Beispiel sind die Kochbücher des in Jerusalem aufgewachsenen Küchenchefs Yotam Ottolenghi, der nicht fleischfrei kocht, in dessen Rezepten Gemüse aber oft die Hauptrolle spielt. "Frisch, leicht und trotzdem voller Geschmack. Es geht nicht um Verzicht", sagt Rützler.

Dass Fleisch in Österreich so billig ist, liegt aber auch am Export, informiert der Verein "Land schaft Leben". Die Verwertung des ganzen Tiers – vom Kopf bis zum Huf – gibt es in Österreich schon lange nicht mehr.
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These: Bald essen wir Stammzellenfleisch aus der Petrischale.

Auch die Wissenschaft hat Appetit auf Veränderung. "Ich war von der Konsistenz des scharf angebratenen, aber ungewürzten Pattys überrascht. Gewürzt wie ein Hacksteak in herkömmlichen Burgern hätte ich den Unterschied vielleicht kaum gemerkt", sagt Hanni Rützler über ihren Biss in den ersten "In-vitro-Burger". Der niederländische Forscher Mark Post züchtet Fleisch aus Muskelstammzellen belgischer und französischer Rinder. Rützler gehörte zu den Ersten, die 2013 in London von Medienrummel begleitet den ersten "Stammzellen-Burger" kosten durften.

Das Interesse ist verständlich: Fleisch produzieren, ohne dass ein Tier dafür leiden oder sterben muss? Das könnte bald keine Utopie mehr sein. Die Entnahme der Muskelzellen bezeichnet Post als "harmlosen Eingriff". Die Chancen für den Umweltschutz sind groß: Es wird im Vergleich zur Fleischproduktion mit lebenden Tieren nru ein Bruchteil der Ressourcen verbraucht. Der Ausstoß von Methangas und CO2 wird in großem Rahmen reduziert. Der großflächige Anbau von Futtermitteln fällt weg.

Eine Massenproduktion von Kunstfleisch rentiert sich zwar noch nicht. Aber die Entwicklungen in den vergangenen fünf Jahren deuten an, dass sich das bald ändern könnte. China und die USA forschen intensiv, die Preise fallen. "Ich durfte damals nur einen Bissen machen, weil die Produktion so teuer war", so Rützler. Der erste Burger kostete rund 250.000 Euro. Heute steht ein Kilogramm des "Petrischalenfleisches" bei 60 Euro. Mark Post schätzte jüngst, dass es in drei Jahren marktreif sein könnte.

Für Rützler ist es wichtig, diese Entwicklungen und Trends erst einmal "so stehenzulassen, zu beobachten, sich reinzufühlen": "Man muss nicht allem gleich einen Daumen rauf oder runter geben." (Julia Schilly, 21.1.2018)

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Foodtrendforscherin Hanni Rützler bei dem Biss in den "in-vitro-Burger". Zahlreiche Länder forschen daran, dass Fleisch aus der Petrischale leistbar zu machen.
Foto: REUTERS/Toby Melville