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6. Jänner: An der Copacabana bewerben die 13 besten Sambaschulen den Anfang Februar beginnenden Karneval in Rio de Janeiro.

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Bürgermeister Marcello Crivella ist seit 2016 im Amt.

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Der Karneval in Rio ist nicht nur das größte Touristenereignis des Kontinents, sondern ein Heiligtum für alle Brasilianer. Somit ist es auch für Politiker Pflicht, sich in den Trubel zu werfen und Volksnähe zu zeigen. In der von Finanznot und Gewalt gezeichneten Metropole am Zuckerhut übertönen die Sambarhythmen zumindest für einen Augenblick die Tristesse des Alltags.

Doch Rios neuer streng evangelikaler Bürgermeister Marcelo Crivella macht aus seiner Abneigung gegen das bunte Treiben keinen Hehl und bringt damit nicht nur die Karnevalisten gegen sich auf. In einem Video zum Jahresanfang erklärte er nüchtern: "Ich war noch nie beim Karneval. Ich bin evangelikal und er hat nichts mit meiner Welt zu tun. "

Schlüsselübergabe verweigert

Im vergangenen Jahr verweigerte mit Crivella erstmals ein Bürgermeister von Rio die symbolische Übergabe der Stadtschlüssel an König Momo, der traditionsgemäß das närrische Treiben einläutet. Der 60-jährige Pastor war auch nicht im Sambódromo bei der berühmten Parade der Sambaschule dabei – ein Eklat.

In diesem Jahr hätte das Defilee beinahe abgesagt werden müssen: Crivella strich die Subventionen drastisch. Bislang erhielten die 13 berühmtesten Sambaschulen jeweils zwei Millionen Reais (rund 511.000 Euro) aus der Stadtkasse, diesmal war es nur noch die Hälfte. Der Bürgermeister verwies auf den Finanznotstand der mehr als sechs Millionen Einwohner zählenden Metropole, in der es nicht genug Geld für Spitäler und Schulen gebe.

Uber, der Profiteur

Finanzhilfe in der Not kam ausgerechnet vom umstrittenen Fahrdienstunternehmen Uber, das mit 6,5 Millionen Reais einsprang. Uber gilt als Profiteur der Wirtschaftskrise in Brasilien, denn Tausende Arbeitslose verdingen sich dort zu Niedriglöhnen als Fahrer. Sein Image konnte Uber damit erfolgreich aufpolieren.

Auf Verständnis stieß die Entscheidung Crivellas, der zehn Jahre als evangelikaler Missionar in Afrika tätig war, bei den Karnevalisten allerdings nicht. "Für die Evangelikalen ist der Karneval ein Fest des Teufels", sagt Leandro Vieira von der traditionsreichen Sambaschule Mangueira. "Als Pastor kann er so denken, aber nicht als Bürgermeister von Rio."

Der Karneval bringe jedes Jahr Milliarden Reais in die Stadtkasse, sagt Vieira. Dieses konservative Denken sei gegen jede wirtschaftliche Logik und geradezu kriminell, empört er sich über den Bürgermeister.

Der Anfang Februar beginnende Karneval ist in der Tat die größte touristische Einnahmequelle für Rio. Wegen der vielen Negativschlagzeilen über Gewalt, Raub und Entführungen blieben viele Touristen weg. Doch zum Karneval seien die Hotels zu 90 Prozent ausgebucht, meldet Rios Touristenagentur Riotur. Rund 1,5 Millionen in- und ausländische Gäste werden erwartet, die für Einnahmen von mindestens 3,5 Milliarden Reais sorgen sollen.

Homosexualität als Anomalie

Crivella gehört einer ultrakonservativen politischen Kaste an, die in der brasilianischen Politik immer mehr an Einfluss gewinnt. Sie negiert die Evolution, hält Homosexualität für eine Anomalie, die heilbar ist und kämpft für ein komplettes Abtreibungsverbot, auch bei Vergewaltigungen. Die ausgelassene Atmosphäre des Karnevals mit den schillernd-freizügigen Paillettenkostümen der Tänzerinnen ist für sie Sünde.

"Mit oder ohne Geld, wir werden feiern", kontert Karnevalist Leandro Vieira. "Keinen Karneval zu feiern, wäre eine Sünde", ist er überzeugt. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, 23.1.2018)