Die Karlsuniversität wurde am 7. April 1348 von Karl IV. gegründet.

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Die älteste Universität Mitteleuropas ist heute die größte Universität Tschechiens.

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Die Universitäten unterscheiden sich in ihrer historischen Konkretheit nicht von jener Gesellschaft, in der sie leben. Eine ihrer Aufgaben wäre es, die Wirklichkeit zu erforschen und sie zu verändern. Oft genug aber verstärken die Universitäten mit ihrem gesellschaftlichen Gewicht negative gesellschaftliche Entwicklungen, ja stehen an deren Anfang. Die Jahre vor 1945 haben an den österreichischen Universitäten insgesamt keine Reflexion nach sich gezogen, ihre grundsätzliche Umformung war nach der Nazizeit nicht einmal angedacht worden. Das zeigt sich im Februar 1948, als die österreichischen Universitäten aus Anlass des 600-Jahrjubiläums der Prager Karlsuniversität anstatt eines Diskurses die Konfrontation gewählt haben, spezifisch akademisch zwar, aber doch eindeutig.

Zur Erinnerung. Am 9. Mai 1945 haben sowjetische Truppen mit Unterstützung des tschechischen Widerstands Prag von den deutschen Besatzern befreit. Die Mehrheit der Tschechen und Slowaken wollten nach den Erfahrungen mit ihren alten politischen Eliten einen solidarischen Neuanfang wagen. Der aus dem Exil zurückgekehrte Staatspräsident Edvard Beneš, der durch seine Akzeptanz der in München 1938 vereinbarten Teilung der Tschechoslowakei die Kapitulation vor Deutschland eingeleitet hatte, verfolgte als Repräsentant der Vergangenheit eine antisowjetische Politik. Die dramatische Zwangsaussiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei nach Kriegsende war von Beneš, der immer ein bourgeoiser Politiker war, während des Exils im Einvernehmen mit Winston Churchill und Franklin D. Roosevelt sowie der französischen Exilregierung mit Charles de Gaulle vorbereitet worden. Der Zwangsaussiedlung der Deutschen hat der in dieser Frage zuerst zögerliche Josef Stalin zugestimmt. Gegen Kriegsende waren hunderttausende vor den Sowjets flüchtende Deutschen aus Ostpreußen, Schlesien, Pommern oder Schlesien noch in den Sudetengau gelenkt worden. Es war das, was die Sache nicht besser macht, nicht die einzige politisch ethnische Zwangsaussiedlung im vorigen Jahrhundert. Erinnert sei an die von Massakern begleiteten Todesmärsche der im Nordosten der Türkei angesiedelten Armenier am Anfang des Jahrhunderts, an die massenhafte Vertreibung und Liquidation der jüdischen Bevölkerung im Deutschen Reich und in den von ihm okkupierten Ländern oder an das seit 1948 anhaltende Schicksal des kleinen palästinensischen Volkes. Die Zwangsmigrationen sind nicht weniger geworden.

Deutsche Okkupationsmacht

Die Karlsuniversität in Prag war mit Urkunde König Karls IV. vom 7. April 1348 als böhmische Landesinstitution mit christlich universalistischer Intention gegründet worden. Ihre Geschichte spiegelt den komplizierten historischen Prozess der böhmischen Länder wider. Mit Beginn des Wintersemesters 1882/83 war die inzwischen im Einklang mit dem katholisch habsburgischen Kolonialismus zur Karl-Ferdinands-Universität umbenannte Karlsuniversität, in eine Deutsche und in eine Tschechische Universität geteilt worden. Ende September 1938 haben in München die Regierungen von Frankreich, Italien und Großbritannien den Forderungen der deutschen Regierung mit Adolf Hitler an der Spitze in Bezug auf die Sudetengebiete zugestimmt und damit das Schicksal der Tschechoslowakei entschieden. Die Slowakei wurde abgetrennt, am 14./15. März 1939 marschierten die Deutsche Wehrmacht, SS-Truppen und Polizeiabteilungen in Böhmen und Mähren ein, am 16. März 1939 wurde der Erlass über die Errichtung des sogenannten Protektorats Böhmen und Mähren publiziert.

Die Deutsche Universität in Prag, an der schon viele Jahre zuvor die professoralen und studentischen fünften Kolonnen der Nazis offen und verdeckt tätig gewesen waren, wurde zu einer "nationalsozialistischen Hochschule" erklärt. Während einer antifaschistischen Demonstration wurde der Medizinstudent Jan Opletal von den deutschen Besatzungskräften schwer verletzt, er verstarb am 11. November 1939. Nach der Trauerzeremonie für Opletal am 15. November 1939 kam es gegen die deutsche Besatzungsmacht erneut zu Demonstrationen, an denen sich vor allem tschechische Studenten der Prager Hochschulen beteiligt haben. Neun Menschen wurden erschossen.

Am 17. November 1939 wurde eine in roter Farbe mit schwarzer Schrift gestaltete "Bekanntmachung" des Reichsprotektors Konstantin von Neurath an Litfaßsäulen und andernorts zur Abschreckung verbreitet, dass "neun Täter" erschossen, die "tschechischen Hochschulen", also die Tschechische Universität mit den anderen tschechischen Universitäten, Akademien und Hochschulen (insgesamt zehn) geschlossen und "eine größere Anzahl Beteiligter" in Haft genommen worden seien. Deutsche SS-Abteilungen hatten tschechische Studentenwohnheime überfallen, insgesamt wurden etwa 1850 Studenten interniert, von denen vierzig in der Haft den Tod fanden. Viele von ihnen beteiligten sich nach Entlassung heldenhaft am tschechischen Widerstandskampf gegen die deutsche Okkupationsmacht. Das alles war den professoralen und studentischen Kadern an den österreichischen Universität in Wien, Graz und Innsbruck zumindest durch Hörensagen bekannt. Die aggressive Haltung des Deutschen Reichs gegenüber den Tschechen und insbesondere gegenüber der tschechischen Intelligenz wurde in der Nazizeit an den rassistisch und politisch gesäuberten österreichischen Universitäten als Instrument der deutschen imperialistischen Ostpolitik toleriert und unterstützt.

Wiederaufbau aus dem nichts heraus

Ohne jede staatliche Vorgaben und in Selbstorganisation begann am 9. Mai 1945 die Karlsuniversität als tschechische Universität aus dem Nichts heraus mit ihrem Wiederaufbau. Die bewusste Erinnerung an ihre Traditionen als Zentrum des wissenschaftlichen, kulturellen und nationalen Lebens des tschechischen Volkes sollte dabei mithelfen. Geradezu symbolisch bereitete sich deshalb die Karlsuniversität seit Ende 1947 auf ihr 600-jähriges Jubiläum vor. Auch für Universitätsfeierlichkeiten gilt das, was Karl Marx sagt: "Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden". Karl Engliš übermittelte als Rektor der Karlsuniversität über die österreichische Gesandtschaft in Prag eine vom Universitätsnotar Josef Říha am 1. November 1947 mitunterzeichnete Einladung an die österreichischen Universitäten, mit Delegierten zu den vom 6. bis 10. April 1948 in Prag geplanten Jubiläumsfeierlichkeiten nach Prag zu kommen.

Die österreichische Rektorenkonferenz beschloss am 11. Dezember 1947 "aus Gründen der zwischenstaatlichen Beziehungen" an der Feier in Prag mit einer dreigliedrigen Delegation und einer lateinischen Grußadresse teilzunehmen, der Wiener Rektor des Studienjahres 1947/48 Johann Sölch (1883-1951), dessen Eltern aus Böhmen stammen, teilte dem Unterrichtsministerium am 10. Jänner 1948 noch mit, die Universität Wien wollte in Prag unbedingt mit ihrem Rektor vertreten sein. Alles schien im Einklang mit dem k. k. österreichischen Universitätszeremoniell abzulaufen, auch an der Prager Universität, die auf die von den Deutschen am Ende des Krieges geraubten und nicht mehr aufgetauchten historischen Insignien Ersatz verzichten musste.

Da kam ein mit Blick auf die an den Universitäten stets vorherrschende Zeitgesinnung ein doch irgendwie zu erwartender Einspruch. Der Innsbrucker Rektor des Studienjahres 1947/48 Franz Gschnitzer, der zu den Vorzeigeexemplaren der österreichischen Juristengesellschaft gehört, schreibt am 13. Februar 1948 dem Unterrichtsministerium, der Akademische Senat Innsbruck habe sich einhellig entschlossen, von einer Delegierung nach Prag Abstand zu nehmen und sich auf ein Entschuldigungsschreiben zu beschränken. Er selbst, so Gschnitzer, stelle sich zudem die Frage, ob die tschechische Universität Prag überhaupt das Recht zu einer 600-Jahrfeier habe. Vor allem aber "war die Behandlung der Deutschen in der Tschechoslowakei nach 1945 – die wir doch als Österreicher ansehen können! – und insbesondere die Behandlung unserer Kollegen von der Deutschen Universität, beides ohne Ansehen, ob sie dem Nationalsozialismus nahestanden oder nicht, derart, dass der akademische Senat ohne jede nationalistische Einstellung es für einer österreichischen Universität würdiger hält, der Feier fernzubleiben".

Die Zeit drängte. Im Unterrichtsministerium nahm der schon im Austrofaschismus tätige Hochschulreferent Otto Skrbensky mittels Fernschreiben die Entscheidung von Innsbruck zur Kenntnis und ersuchte um Vorlage des Entschuldigungsschreibens zur Weiterleitung im diplomatischen Wege (28. Februar 1948). Um den Innsbrucker Delegierten zu ersetzen hat der Wiener Universitätssenat mit dem von den Nazis als "Halbjude" diskriminierten, von der Innsbrucker Universität vertriebenen und in Wien nur mühsam die Nazizeit überlebenden Juristen Karl Wolff einen zweiten Delegierten nominiert. Das Rektorat Graz hatte ohne viel Diskussion Ende Jänner 1948 Josef Dobretsberger als seinen Delegierten namhaft gemacht. Das war von der Universität Graz eine Prag bewusst entgegenkommende Entscheidung, weil Dobretsberger als Nazigegner und Freund eines nachbarschaftlichen Verhältnisses mit den Ländern des europäischen Ostens profiliert war.

Massive Ablehnung

Was kann Gschnitzer, seit 1928 Juristenprofessor in Innsbruck und seit 1945 auch Abgeordneter der Österreichischen Volkspartei im Nationalrat, veranlasst haben, die Teilnahme an Universitätsfeierlichkeiten in Prag für seine Universität so massiv abzulehnen?

Bruno Kreisky hat sich mit Gschnitzer, der sich speziell für Südtirol engagiert hat und in vielen Bereichen liberal gedacht haben mag, gut verstanden. Im Austrofaschismus wie in der Nazizeit hat Gschnitzer als Privatrechtler an der 1938 auf Wunsch der Universitätsführung zur "Deutschen Alpenuniversität" umbenannten Leopold-Franzens-Universität Innsbruck ohne Unterbruch gelehrt. Seine Nichtübereinstimmung mit dem Reichserbhofrecht war für die Nazis bedeutungslos, dem Abkommen zwischen Mussolini und Hitler über die Zwangsaussiedlung der deutschen Südtiroler (21. Oktober 1939) wird Gschnitzer wahrscheinlich nicht zugestimmt haben. Die "Erkenntnis" der Universität Innsbruck vom 22. Februar 1943, der am selben Tag (!) in München als Widerstandskämpfer hingerichtete Innsbrucker Student Christoph Probst werde "dauernd vom Studium an allen deutschen Hochschulen ausgeschlossen", hat Gschnitzer nicht beeinsprucht. Es wird ihm formaljuristisch korrekt gewesen sein. Alle Gesellschaftssysteme sind an einer guten Ausbildung von verwendbaren und dem geltenden Recht, auch wenn dieses ein menschenverachtendes ist, prinzipiell gehorsamen Juristen durch Juristenprofessoren wie Gschnitzer interessiert.

Während Gschnitzer als Rektor über "Ursprung, Vereinigung und Hohe Zeit" des Inns seiner Poesie Ausdruck verliehen hat, hat ihn die Prosa der Dialektik von Reichtum und Armut aufgrund der zu Kriegen hinführenden Eigentumsverhältnissen politisch und juristisch nicht erkennbar interessiert. Mit der Nachkriegskarriere des Strafrechtlers Friedrich Nowakowski an seiner Fakultät war er sichtlich einverstanden, es störte ihn nicht, dass dieser in Wien ein blutiger Staatsanwalt war und "Im Namen des Deutschen Volkes" zum Beispiel für zwei "gegen das Deutschtum eingestellte" tschechische Hilfsarbeiter wegen Abhörens des Londoner Senders zum Tode verurteilen hat lassen. "Diesen Kopf hole ich mir auch noch", das war ein in Innsbruck kolportierter Aussage von Nowakowski zur Zeit seines Nazieinsatzes. Aber das hat schließlich auch den SPÖ-Justizminister Christian Broda nicht gestört.

Universitärer Mauerbau

Im Februar 1948 manifestierten sich auf dem Prager Wenzelsplatz und in anderen Städten der Tschechoslowakei die mit den tschechoslowakischen Kommunisten an einem neuen, über die bürgerliche Demokratie hinausgehenden nationalen Weg interessierten Kräfte. Ende Februar entschied sich die Machtfrage zugunsten der Aktionskomitees der tschechoslowakischen Volkskräfte. Der heute auch von den in der Wiener Klahrgesellschaft tätigen linksopportunistischen Historikern als "kommunistische Machtübernahme" eingeschätzte Regierungswechsel in Prag war für die österreichischen Hochschulen Anlass, ihre Teilnahme an den Prager Universitätsfeierlichkeiten im Einvernehmen mit der Regierung definitiv abzusagen. Besonders Oscar Pollak, der aus der englischen Emigration nach Wien zurückgekehrt ist, hetzte als Chefredakteur der Arbeiterzeitung gegen die Errichtung der "Diktatur der Kommunisten" im Nachbarland. Für die österreichischen Universitäten war es selbstverständlich, sich von Anfang an am Aufbau einer ideologischen Mauer gegenüber der neuen Tschechoslowakei zu beteiligen. Sölch entwarf also am 1. April 1948 als Rektor der Wiener Universität und Vorsitzender der Rektorenkonferenz das Entschuldigungsschreiben der österreichischen Universitäten für ihre Nichtteilnahme an den Prager 600-Jahrfeiern:

"Aufrichtig bedauernd, dass es uns nicht möglich ist an der 600 Jahr-Feier der Gründung der Ama mater Carolina teilzunehmen, erlaube ich mir, Ihnen zugleich bestens für die uns übersandte Einladung dankend, Ihnen im Namen der österreichischen Universitäten unsere besten Glückwünsche zu diesem hoch bedeutsamen Jubiläum auszusprechen, vom den aufrichtigen Wunsche erfüllt, dass es einen glänzenden Verlauf nehmen möge, und zugleich von der Hoffnung beseelt, dass die wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit unserer Universitäten zur Förderung der Ideale der Menschheit und damit zur Kräftigung des Friedens auch weiterhin einen wesentlichen Beitrag leiste".

Die Karlsuniversität Prag blieb nichts anderes übrig, als auf das Gepränge nicht nur der österreichischen Universitäten zu verzichten. Am 15. April 1948 datierten Rektor Bohumil Bydžovský und Universitätsnotar Říha ein Dankschreiben:

"Wir schätzen sehr die schönen Beweise guten Willens und freundschaftliche Geneigtheit und nehmen diese mit Freuden entgegen, sowohl zu unserer Ehre als auch zum Ansporn und zur Bestärkung auf unserem weiteren Wege zu neuer Arbeit für das Wohl unseres Volkes und der ganzen Menschheit. Die Karlsuniversität in Prag, die in der Vergangenheit um den geistigen und sittlichen Fortschritt gekämpft und ohne Rücksicht auf Gefahr und schwerste Opfer um die höchsten tschechischen und menschlichen Ideale gerungen hat, will auch in Zukunft im Verein mit den Universitäten der Welt treu und fest darum bemüht sein, dass das Licht der Wahrheit hell leuchte und dass in Gleichheit, Brüderlichkeit, Recht und Gerechtigkeit Friede in den Völkern und zwischen den Völkern und ihren Staaten herrsche, – Friede, der die Freiheit aller und den allgemeinen Frieden der Welt gewährleistet".

Eine Gedenkmünze zur Erinnerung an ihr 600-Jahrjubiläum reichte die Prager Universität nach.

Die Universitäten der neutralen Schweiz haben ihre Ablehnung eindeutiger formuliert. Sie nahmen an den Jubiläumsfeierlichkeiten nicht teil mit der Begründung:

"Als Folge der politischen Ereignisse in der Tschechoslowakei im Monat Februar 1948 beschlossen sämtliche schweizerischen Universitäten, der Einladung nach Prag nicht Folge zu leisten, weil unter den gegenwärtigen Verhältnissen an der Universität Prag offensichtlich die Freiheit der Forschung, der Lehre und des Lernens nicht mehr gewährleistet ist, die allein den Universitäten ermöglicht, ihren Auftrag im Dienste der Wahrheit zu erfüllen".

Die Schweizer Geschäftsleute ließen sich davon nicht abhalten, ihre Geschäftsbeziehungen zu pflegen. Der altösterreichische Nobelpreisträger Leopold Ruzicka, der freilich in Zürich als "Salonbolschewik" galt, erinnert sich daran aus Anlass seiner Reise nach Prag Anfang der 1950er Jahre. (Gerhard Oberkofler, 26.1.2018)