Die Regierung will Kinder, die nicht ausreichend Deutsch können, künftig in eigenen Sprachförderklassen unterrichten.

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Wien/Graz – "Eine so große Delegation wird lange nicht mehr zu uns kommen. Dieses Ereignis müsst ihr euch unbedingt merken", mahnt die stolze Volksschuldirektorin in Richtung der kleinen Schülergruppe, die sich zum Vortrag eines Liedes im Halbkreis formiert hat. "Nein, so viel kann ich mir nicht merken", erwidert ein Pfiffiger aus der Vierten.

Es war ja tatsächlich ein wenig unübersichtlich, was da Dienstag am späten Vormittag in der Grazer Vorstadt-Volksschule Murfeld über die Bühne ging.

Einem staatspolitischen Großereignis gleich marschieren Kanzler, Vizekanzler, Landeshauptmann und Fachminister mit einem Tross von Kamera- und Medienleuten im Pausenraum der kleinen Volksschule in Graz auf. Die Spitze der türkis-blauen Koalition will hier – umrahmt von herzigen "Politiker mit Kindern"-Bildmotiven – ihr "Projekt Förderklassen" präsentieren.

Separates Deutschlernen: Experten sind überwiegend skeptisch.
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Strache frohlockt

"Und wieder ist ein FPÖ-Wahlversprechern umgesetzt worden", frohlockt Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) und blickt hinüber zu Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), um im selben Atemzug für die Unterstützung der ÖVP in dieser Causa zu danken. Zwölf Jahre habe die FPÖ um diese Deutschklassen gekämpft, jetzt mit der ÖVP sei es gelungen, dies umzusetzen.

Beide, Kurz und Strache, widersprechen bereits geäußerter Kritik, die neuen Klassenverbände würden zu einer Ghettoisierung in den Schulen führen, die dem Integrationsgedanken zuwiderlaufe. "Das Modell stellt sicher, dass die Kinder die deutsche Sprache erlernen, um im Regelunterricht folgen zu können." Eine Ghettoisierung drohe erst, "wenn sie dem Unterricht nicht folgen können und später keinen Job bekommen", argumentiert Kurz und ergänzt: "Wir haben uns bei dieser Frage der Deutschförderklassen schnell geeinigt, weil wir ähnliche Vorstellungen hatten."

Beitrag aus der "ZiB" um 17 Uhr am Dienstag.
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Kosten und Planstellen unklar

Wie das Modell konkret funktionieren soll, was es kostet und vor allem, wie viele neue Planstellen dafür geschaffen werden müssen, ist aber nach wie vor unklar. Bildungsminister Heinz Faßmann kann auch in Graz noch keine präzisen Angeben machen, dies alles werde erst ausgehandelt, sagt der Minister.

Auch die praktische Umsetzung ist noch vage, Faßmann spricht von Eingangstests, mit denen "ordentliche" Schüler von "außerordentlichen" Schülern getrennten werden. Außerordentliche Schüler sollen eine zusätzliche Deutschförderklasse besuchen müssen. Das können natürlich, sagt der Minister auf Nachfrage, auch Kinder mit deutscher Muttersprache betreffen. Aber da setze er "auf den Hausverstand" der Lehrerinnen und Lehrer, den Förderbedarf vor Ort unbürokratisch zu ermitteln.

Die Vorteile und Nachteile des türkis-blauen Schulkonzepts im Überblick:

1. Trennung nach Sprachkenntnis

FÜR: Die Regierung will Kinder, die nicht ausreichend Deutsch können, künftig in eigenen Sprachförderklassen unterrichten. Diese "außerordentlichen Schüler" sollen dann bloß im Werk-, Turn- und Zeichenunterricht mit ihren Altersgenossen unterrichtet werden, die restliche Zeit wird gesondert gepaukt. Wissenschaftliche Argumente, die für eine Trennung nach Sprachkenntnissen sprechen, gibt es kaum. Sehr wohl aber sind einige Lehrer von den Vorschlägen überzeugt: "Begabungsadäquater und leistungsgerechter Unterricht braucht Differenzierung", kommentiert die Bildungsplattform Leistung & Vielfalt.

WIDER: Studien zeigen: Gemeinsames Lernen ist für den Spracherwerb langfristig am förderlichsten. "Das vorgestellte Konzept hat mit Wissenschaft wenig zu tun, mit Ideologie dagegen viel", sagt der Sprachforscher Hans-Jürgen Krumm. Es gebe "hervorragende Modelle" integrierter Förderung. Eine Trennung könne dazu führen, dass "der türkisch oder arabisch klingende Name oder Schüchternheit" zum ersten Aussonderungsgrund wird. "Wir haben kein Sprachproblem, sondern eines mit Kindern aus schwierigen Umfeldern" , sagt Bildungsforscher Stefan Hopmann. "Das lösen Extraklassen nicht."

2. Bis zu zwei Jahre in Extraklasse

FÜR: Die Deutschförderklassen sollen jedenfalls keine "Ghettoklassen" werden, wie Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) versichert: Höchstens vier Semester lang werden die "außerordentlichen" Sprachschüler separat unterrichtet. Danach gibt es Regelunterricht mit den anderen plus sechs Wochenstunden Deutschförderkurs. Das Ansinnen, Kinder möglichst schnell in die reguläre Klasse zu integrieren, hält Hannes Schweiger vom Institut für Germanistik für "durchaus positiv". Kurzzeitiger Sprachunterricht "in eigenen Gruppen" könne sinnvoll sein. Wichtig sei, dass eine Verbindung zur Regelklasse bleibt.

WIDER: Das türkis-blaue Konzept bleibt schuldig, wie Kinder, die wöchentlich 15 bis 20 Stunden im Unterricht fehlen, den Stoff nachholen sollen, kritisiert Hans-Jürgen Krumm. Der deutsch-österreichische Germanist befürchtet, dass der "rasch entstehende Unterschied" schließlich zu einer "vollständigen Segregation" führt. Der Minister geht zwar davon aus, dass eine Vielzahl der Kinder nach einem Semester bereit für die Regelklasse sei, insgesamt wären jährlich aber rund 30.000 Schüler betroffen. Internationale Studien zeigen: Es dauert fünf bis acht Jahre, um Deutsch auf hohem Niveau zu beherrschen.

3. Tests und Kontrolle

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FÜR: Bei der Schuleinschreibung sollen die Direktoren im Zuge eines Gesprächs mit den Erstklasslern feststellen, ob das Kind Sprachdefizite aufweist – wenn ja, wird es einem standardisierten Test unterzogen. Nach jedem Semester wird erneut mit einem einheitlichen Test überprüft, ob die Kinder mittlerweile dem Regelunterricht folgen können. Bei einem positiven Ergebnis steht ein Wechsel an – per Feststellungsprüfung entscheidet sich, in welche reguläre Schulstufe. Der Bildungsminister verweist auf erfolgreiche internationale Vorbilder: die sogenannten "Willkommensklassen" in Kanada und in deutschen Städten.

WIDER: Offen ist derzeit, wie der standardisierte Test aufgebaut wird und wie "ausreichende Deutschkenntnisse" definiert werden. Mehrere Experten warnen davor, Sprachkenntnisse punktuell zu einem einzigen Zeitpunkt abzufragen. "Sprachentwicklung erfolgt nicht linear, sehr dynamisch und abhängig vom Umfeld", sagt Sprachforscher Hans-Jürgen Krumm. Er wie auch Eva Vetter vom Zentrum für LehrerInnenbildung der Uni Wien pochen deshalb auf "begleitende Sprachstandardfeststellung". Tests könnten außerdem "eine weitere Diskriminierungs- und Negativerfahrung" darstellen.

4. Schulreife an Sprache knüpfen

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FÜR: Die Pläne von Bildungsminister Heinz Faßmann sehen vor, dass die Schulreife an das Deutschvermögen geknüpft wird. Es ist dann also möglich, dass Kinder nach dem Kindergarten zwei Jahre lang eine Förderklasse besuchen und erst danach reguläre Erstklassler werden. "Gemeinsamer Unterricht kann nur erfolgreich sein, wenn der Anteil der Kinder mit unzureichenden Sprachkenntnissen niedrig ist", heißt es seitens der Eltern-Lehrer-Schüler-Plattform Leistung & Vielfalt. "Österreichische Kinder" würden fortan nicht mehr in ihrem "Lernfortkommen gehindert", freut sich FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus.

WIDER: Die Wissenschaft sieht die Verknüpfung der Schulreife mit dem Beherrschen der Unterrichtssprache kritisch. "Es kann natürlich sein, dass jemand schulreif ist, aber nicht Deutsch kann", sagt Inci Dirim, die an der Universität Wien einen von österreichweit zwei Lehrstühlen für Deutsch als Zweitsprache innehat. Es gebe mehrere Studien, die einen Zusammenhang zwischen Zurückstellungen aufgrund von Sprachdefiziten und einem späteren Bildungsabbruch identifizierten. Dirim: "Ich würde daher den Schulbeginn nicht an Deutschkenntnisse koppeln. Das halte ich für gefährlich."

(Katharina Mittelstaedt, Walter Müller, 24.1.2018)