FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache glaubt seinem niederösterreichischen Spitzenkandidaten, nichts von dem "widerlichen und antisemitischen Lied" gewusst zu haben.

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Außenministerin Karin Kneissl findet, sie könne niemanden zum Rücktritt auffordern. Auch Regierungssprecher Peter Launsky-Tieffenthal (rechts) und Bildungsminister Heinz Faßmann wollten eigentlich über etwas anderes reden.

Udo Landbauer hat am Dienstag seine Mitgliedschaft bei der Burschenschaft Germania ruhend gestellt.

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ÖVP-Chef Sebastian Kurz zog es vor, der Verabschiedung der österreichischen Olympiateilnehmer beizuwohnen.

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Für die ÖVP erklärte Regierungskoordinator Gernot Blümel, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden müssten.

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Wien – So hatte sich die türkis-blaue Regierung die dieswöchige Ministerratssitzung wohl nicht vorgestellt. Über Deutschförderklassen wollte man reden und über die Klage gegen das ungarische Atomkraftwerk Paks. Die Medien interessierte am Mittwoch aber vor allem ein Thema: die antisemitischen und NS-verharmlosenden Lieder der Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt, der bis gestern auch der Spitzenkandidat der FPÖ Niederösterreich für die anstehende Landtagswahl, Udo Landbauer, angehört hat.

Strache hält Landbauers Version für plausibel, nur ein Exemplar des Liederbuches gekannt zu haben.
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Der "Falter" hatte am Dienstag über ein Liedheft aus dem Jahr 1997 berichtet, in dem die Wehrmacht verherrlicht wird und unter anderem zu lesen ist: "Da trat in ihre Mitte der Jude Ben Gurion: 'Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million'." Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt leitete sofort von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Verbotsgesetz ein. SPÖ, Neos und Grüne forderten Landbauer zum Rücktritt auf.

Strache: "Angelegenheit Niederösterreich"

Auf Regierungsebene war man am Mittwoch zwar um unmissverständliche Abgrenzung bemüht, eine Rücktrittsaufforderung kam im Kanzleramt aber niemandem über die Lippen. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache sprach vor der Regierungssitzung selbst die "Angelegenheit Niederösterreich" an, wie er es formulierte. Er sprach von einem "widerlichen und antisemitischen Lied", ist aber der Ansicht, Landbauer habe bereits "sehr deutlich Stellung genommen".

Strache hält Landbauers Version für plausibel, nur ein Exemplar des Liederbuches gekannt zu haben, in dem die Nazipassagen geschwärzt oder herausgerissen waren. "Ich glaube ihm, dass er das nicht kannte." Für den Vizekanzler ist daher klar: Landbauer habe die rote Linie "nicht überschritten", er "trägt keine Verantwortung".

Auf die Frage, ob man sich die Burschenschaften, mit denen viele Blaue sonst engstens vernetzt sind, nun generell genauer anschaue, erwiderte Strache: "Burschenschaften haben grundsätzlich nichts mit der FPÖ zu tun."

Kurz zieht Olympia-Teilnehmer-Verabschiedung vor

Kanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz ging im Ministerrat dem Thema aus dem Weg, er stellte sich weder vor noch nach der Sitzung Journalistenfragen und zog es vor, der Verabschiedung der österreichischen Olympiateilnehmer beizuwohnen.

Am Vortag hatte er bereits getwittert: "Die publik gewordenen Liedtexte der Germania sind rassistisch, antisemitisch und absolut widerwärtig", es brauche volle Aufklärung, die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden.

Auch die staatsanwaltlichen Ermittlungen wurden vom Kanzler am Mittwoch via Twitter gelobt:

Das Wording des ÖVP-Obmanns wurde im Ministerrat auch von ÖVP-Regierungskoordinator Gernot Blümel sowie Regierungssprecher Peter Launsky-Tieffenthal mehrfach wiederholt. Mehr gebe es dazu nicht zu sagen, so die Botschaft auf mehrfache Nachfragen. Zum expliziten Rücktritt wollte niemand den blauen Landeschef des Koalitionspartners auffordern.

Die von der FPÖ nominierte Außenministerin Karin Kneissl bezeichnete die Vorkommnisse als "äußerst bedauerlich", sieht sich aber als unzuständig an, Konsequenzen zu fordern: "Ich kann gar nichts fordern", schließlich sei sie doch parteiunabhängige Außenministerin. Ebenso "bedauerlich" ist für sie aber, dass die Israelitische Kultusgemeinde nicht an den diesjährigen Gedenkveranstaltungen mit FPÖ-Beteiligung teilnehmen will und damit kein gemeinsames Gedenken an die Ereignisse des Jahres 1938 möglich sei, wie die Ministerin betonte.

Kultusgemeinden-Präsident Deutsch für Rücktritt

Die Kultusgemeinde hat sich, wie berichtet, bereits vor der aktuellen Causa Germania zu diesem Schritt entschieden – und zwar einstimmig im 24-köpfigen Kultusrat. Am Mittwoch sprach sich auch Oskar Deutsch, Präsident der Kultusgemeinde, dezidiert für den Rücktritt Landbauers aus. Und vom STANDARD auf Kneissls Bedauern angesprochen, sagt er: Nahezu jede Person, die in der FPÖ etwas zu sagen habe, sei zumindest beim Antisemitismus angestreift – konkret in Richtung der Außenministerin erklärt Deutsch: "Wir sind nicht diejenigen, die gemeinsames Gedenken verhindern, das sind die Leute von der FPÖ."

FPÖ Niederösterreich versucht Schadensbegrenzung

Was die von Landbauer "ruhend" gestellte Germania-Mitgliedschaft betrifft, erklärt Niederösterreichs Landesparteisekretär Christian Hafenecker auf Anfrage, dass der FPÖ-Spitzenkandidat eben "so lange nicht mehr Mitglied" sei, bis "das geklärt" sei – und was bei der Klärung herauskomme, könne man jetzt eben noch nicht sagen.

Die Burschenschaft Germania hat sich am Dienstagabend von den zitierten Liedtexten distanziert. Bei einer Versammlung der Verbindung gleich am Mittwoch soll geklärt werden, warum überhaupt "derart menschenverachtende Liedertexte abgedruckt wurden beziehungsweise nicht restlos entfernt wurden".

Germania vom Pennälerring suspendiert

Als Konsequenz aus dem bekannt gewordenen NS-Lied in ihrem Liederbuch ist die Germania jedenfalls auf eigenen Wunsch mit sofortiger Wirkung vom Österreichischen Pennälerring suspendiert worden, teilte ÖPR-Vorsitzender Udo Guggenbichler Mittwochmittag per Aussendung mit.

"In unserem Verband ist kein Platz für Antisemitismus, in welcher Form auch immer", so Guggenbichler, der sich für den "bedauernswerten Vorfall" entschuldigte und eine "ganz klare Distanzierung" vornahm. Als Vorsitzender habe er schon "mehrmals klargestellt, dass Antisemitismus nicht toleriert werden kann und auch nicht wird. Ich halte auch fest, dass das besagte Liederbuch dem ÖPR nicht bekannt war. Die daraus resultierende Konsequenz ist eine sofortige Suspendierung der betroffenen Burschenschaft."

Dazu betonte Guggenbichler, dass so etwas nicht vorkommen dürfe. "Wir werden auch innerhalb des Verbands umgehend alle möglichen Schritte setzten, um in Zukunft nicht mehr mit solch unerträglichen Vorkommnissen konfrontiert zu werden".

So was nie gesungen

Landbauer selbst versicherte zu Mittag auf Ö1: "In meiner Anwesenheit sind solche Lieder nie vorgekommen. Ich hab niemals verwerfliche Lieder gesungen." Dazu zog er einen fragwürdigen Vergleich, indem er sagte, dass er es sich auch nicht nehmen lasse, "O Tannenbaum" oder "Stille Nacht" zu singen. In der ZIB2 sagte er: "Ich war nie ein guter Sänger."

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Auf Facebook wirbt er nun, ganz im Stile Kurt Waldheims, mit "Jetzt erst recht".

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Doch der FPÖ-Spitzenkandidat für die Niederösterreich-Wahl unterstützte schon im Jahr 2010 den rechtsextremen Verein "Junge Patrioten" und warb für ein Buch mit NS-Liedgut, wie "Profil" unlängst zu berichten wusste. Landbauer war das Gesicht des sonst anonym agierenden Vereins, der Ende Oktober 2011 wieder aufgelöst wurde, schreibt das Magazin.

Damals war Landbauer schon RFJ-Spitzenfunktionär und ab April 2010 Stadtrat in Wiener Neustadt – und wandte sich in zwei dem "Profil" vorliegenden Schreiben an Sympathisanten. Zur "Pflege der eigenen Kultur" gehöre auch "das Singen von Volks-und Soldatenliedern", so Landbauer damals in seinem Werbeschreiben. Daher würden die "Jungen Patrioten" als "eines der ersten Projekte" das "Liederbüchlein für unterwegs" vorlegen – mit der Bitte um eine Spende.

"Wenn wir marschieren"

Das grüne Büchlein enthält einerseits Lieder wie "Die Gedanken sind frei" oder "Ich hatt' einen Kameraden". Dazwischen findet sich aber auch einschlägiges Liedgut, berichtet "Profil": Auf Seite 93 etwa "Hohe Nacht der klaren Sterne", eines der Weihnachtslieder aus der Zeit des Nationalsozialismus. Geschrieben 1936 vom bekannten NS-Liedermacher Hans Baumann und bei Heimabenden der Hitlerjugend (HJ) und des Bundes Deutscher Mädel (BDM) gesungen, war es in den Richtlinien für jede Weihnachtsfeier von HJ, NS-Lehrerbund, SA und SS enthalten. Da es keine offensichtlichen textlichen Bezüge zum Nationalsozialismus enthält, wurde das Lied auch nach 1945 noch rezipiert.

Mit "Und wenn wir marschieren" findet sich außerdem auch das Bundlied des BDM im "Liederbüchlein" der "Jungen Patrioten". Kostprobe: "Du Volk aus der Tiefe, du Volk in der Nacht, vergiß nicht das Feuer, bleib auf der Wacht!" 85 Jahre vor seiner Wiederentdeckung durch Landbauer und seine Kameraden wurde das Lied im Heft "Lieder für eine erwachte Nation", Band sechs, BDM-Sonderausgabe, Erscheinungsjahr 1933, abgedruckt. Auf dem Umschlag des Heftes war ein großes Hakenkreuz abgebildet.

Auf Seite 56 des "Liederbüchlein für unterwegs" findet sich wiederum das einst bekannte Kinderlied "Negeraufstand ist in Kuba", in dem es unter anderem heißt: "Im Gesträuch und im Gestrüppe hängen menschliche Gerippe. Und die Negerlein, die kleinen, nagen schmatzend an den Gebeinen. Hea humbassa, hea humbassa, hea hea ho. In den Bäumen hängen Leiber, drunter stehen Negerweiber. Und die denken wie besessen an das nächste Menschenfressen." (Günther Oswald, Nina Weißensteiner, 24.1.2017)