STANDARD: Nach der Angelobung der neuen Regierung hat sich vor allem auch in Ihrer Wählerschaft Enttäuschung breitgemacht, dass Sie nicht mehr verhindert haben. Was sagen Sie Ihren Wählern?

Van der Bellen: Vielleicht sollte man die Rolle des Bundespräsidenten in Erinnerung rufen: Zu seinen Rechten gehört, jemanden mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Zu seinen Rechten gehört auch, nicht jeden Ministervorschlag des Kanzlers annehmen zu müssen. Der Bundespräsident tut gut daran, diese Rechte überlegt, aber nicht exzessiv wahrzunehmen. Das Wichtige ist ja, auf Dauer eine Gesprächsbereitschaft, einen vertrauensvollen Umgang miteinander zu haben.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen beim Interview, Hund Kita liegt unter dem Tisch und lauscht den Ausführungen des Herrls.
Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Für Unwohlsein sorgt, dass alle Geheimdienste des Landes jetzt in der Hand der FPÖ sind.

Van der Bellen: Für mich hat sich die Frage gestellt, wo es rote Linien gibt, die ich höchst ungern überschreiten würde. Inneres und Verteidigung war nur eine Frage. Eine ähnliche war, ob Inneres und Justiz in der Hand einer Fraktion sein sollen. Es war abzusehen, dass ich nicht beides verhindern kann. Mir war die Trennung von Inneres und Justiz wichtiger. Ich bin der Letzte, der die Gefahren von 1934 vergisst. Nur ist das nicht akut, während eine mögliche Zusammenarbeit zwischen Innen- und Justizministerium zulasten Einzelner sehr wohl eine Möglichkeit darstellt – das ist sehr heikel.

STANDARD: Sie haben nach Ihrem Amtsantritt im Europaparlament eine Rede gehalten, in der Sie ein klares Bekenntnis zu Europa abgelegt und dieses eingefordert haben. Sind Sie mit dem europapolitischen Kurs der Regierung zufrieden?

Van der Bellen: Angesichts der langen Vorgeschichte europapolitischer Aussagen von FPÖ-Politikern war dieses Bekenntnis wichtig und auch, dass die Hauptverantwortung für die Europapolitik beim Kanzler liegt.

STANDARD: Die FPÖ ist nach wie vor im Europaparlament in einer Fraktion mit rechtsextremen Parteien, die die EU zerschlagen wollen. Ist das mit der Position Österreichs in der EU vereinbar?

Van der Bellen: Die Europapolitik macht die Regierung und nicht eine Fraktion im Europäischen Parlament. Aber natürlich sehen viele darin ein Problem. Deswegen habe ich mich dafür ausgesprochen, dass das Außenministerium unabhängig besetzt wird.

STANDARD: Vizekanzler Heinz-Christian Strache hat sich gerade gegen einen Staat Bosnien-Herzegowina und für eine Unabhängigkeit des bosnischen Landesteils Republika Srpska ausgesprochen ...

Van der Bellen: ... auch der Vizekanzler weiß, dass dies im deutlichen Gegensatz zur europapolitischen Linie der Union und Österreichs steht.

STANDARD: Am Verfassungsgerichtshof sind drei Posten offen. Die FPÖ hat bereits Anspruch auf zwei dieser Posten erhoben. Sie müssen der Ernennung der Höchstrichter zustimmen. Gibt es da Grenzen oder Kriterien, bei der Sie Ihre Zustimmung verweigern könnten?

Van der Bellen: Ich gehe einmal davon aus, dass die jeweils vorschlagende Seite – also der Nationalrat, der Bundesrat und die Regierung – die Qualifikation des Kandidaten oder der Kandidatin entsprechend berücksichtigt. Ich habe aber gebeten, mich rechtzeitig über solche personellen Vorschläge zu informieren. Es besteht noch keine Einhelligkeit bezüglich aller drei. Es gibt Vorschläge, die endgültige Entscheidung ist noch nicht gefallen.

STANDARD: Bestehen aus Ihrer Sicht Befürchtungen, dass der VfGH umgefärbt werden könnte, oder ist es ein normaler Vorgang, dass Freiheitliche auch dort ihren Platz finden?

Van der Bellen: Ich würde mich freuen, wenn insbesondere bei Nominierungen, aber auch bei späteren Entscheidungen des Höchstgerichts die Parteizugehörigkeit überhaupt keine Rolle spielt. Entscheidend sind die grundsätzliche Einstellung, die Treue zur Verfassung und der klare Sachverstand. Man sollte wegkommen von dieser typisch österreichischen Handhabe, früher war es nur Rot und Schwarz, jetzt kommt halt auch ein Blauer dazu.

STANDARD: Die Israelitische Kultusgemeinde hat angekündigt, an keinen Gedenkveranstaltungen teilzunehmen, bei denen FPÖ-Minister anwesend sind. Die Kultusgemeinde begründet das mit dem Gedankengut deutschnationaler Burschenschafter und den antisemitischen Tendenzen. Ist das für Sie nachvollziehbar?

Van der Bellen: Es ist Sache der IKG, das zu entscheiden. Natürlich ist das schade. Aber ich respektiere die Position der IKG.

STANDARD: Apropos: Was sagen Sie zum Fall Landbauer?

Van der Bellen: Die bekannt gewordenen Liedtexte der Germania sind antisemitisch und rassistisch. Sie verhöhnen die Opfer des Massenmordes des Holocaust. Das ist zutiefst verabscheuungswürdig und darf in Österreich keinen Platz haben. Die Mitglieder der Germania stehen jetzt im Verdacht der Wiederbetätigung. Wer immer dafür verantwortlich ist, hat in der Politik nichts zu suchen.

"Die vielen Bedenken teile ich. Nur wer Angst aufbauen will, denkt über Massenquartiere für Asylwerber nach", sagt Van der Bellen.
Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Am Dienstag ist eine tschetschenische Familie, die als gut integriert galt, abgeschoben worden. Tut es Ihnen leid, dass diese Familie abgeschoben wurde?

Van der Bellen: Ja, das tut mir leid, vor allem wegen der Kinder. Wenn man von so etwas hört oder liest, geschweige denn die betroffene Familie kennt, kann einem das schon nahegehen. Das soll jetzt nicht zynisch klingen, aber ich bitte nur, sich daran zu erinnern: Neu ist das nicht. Das geht seit zwanzig Jahren so. Es gibt immer wieder einzelne Fälle, wo man sich fragt, warum hat man keine Möglichkeit gefunden, für Familien, die sehr gut integriert sind, ein Bleiberecht oder ein Aufenthaltsrecht zu gewähren. Die Erfahrung zeigt: Wenn es medial berichtet wird, geht automatisch die Jalousie herunter, weil sich die Behörde nicht nötigen lassen will, in dem Fall ein Auge zuzudrücken.

STANDARD: Kann es sein, dass der Innenminister hier auch ein Exempel statuiert?

Van der Bellen: Das ist Ihre Interpretation. Wir werden immer wieder Fälle haben, wo der Rechtsweg ausgeschöpft ist und abgeschoben wird, wo man sich fragt, ob die Menschenrechtskonvention oder die Kinderrechtskonvention hinreichend beachtet wurden – oder ein schlichtes christliches Mitgefühl.

STANDARD: Fest steht, dass gute Integration, Deutschkenntnisse, Kinder in der Schule und Jobs nicht vor Abschiebung schützen.

Van der Bellen: Ja, dem kann ich schwer widersprechen. Eine mögliche Gegenauffassung ist: Es kann auch nicht sein, dass Menschen ohne Visum ins Land kommen, einen Asylantrag stellen, der Rechtsweg wird ausgeschöpft, der Asylantrag abgelehnt, und dennoch hat man automatisch das Aufenthaltsrecht. Das spricht sich auch herum.

STANDARD: Was halten Sie vom Vorschlag der Freiheitlichen, für Flüchtlinge Massenquartiere am Stadtrand zu errichten?

Van der Bellen: Die vielen Bedenken teile ich. Die wenigsten Schwierigkeiten gibt es dort, wo Flüchtlinge gut aufgeteilt werden und sich die Gemeinden gut kümmern können. Sobald man sich einmal kennt, gibt es viel weniger Probleme. Voraussetzung ist, man will soziale Kontakte zwischen Asylwerbern und der ansässigen Bevölkerung, um Angst abzubauen. Nur wer Angst aufbauen will, denkt über Massenquartiere für Asylwerber nach.

STANDARD: Sie waren viele Jahre lang Bundessprecher der Grünen. Was sagen Sie zur Situation? Wie konnte es passieren, dass innerhalb von kurzer Zeit auf den größten politischen Erfolg, Ihre Wahl zum Bundespräsidenten, die größte Schlappe folgte, der Rausflug aus dem Parlament?

Van der Bellen: Das tut weh, selbstverständlich. Ich war 21 Jahre lang für die Grünen tätig. Das Debakel bei der Wahl ist aus der Kumulation einzelner Fehler entstanden. Ein einziger Fehler weniger, und die Vier-Prozent-Hürde wäre übersprungen worden. Jede Partei ist gut beraten, sich die Entwicklungen in Italien oder Frankreich anzuschauen und wie schnell traditionelle Parteistrukturen zerbröseln können. Bedauerlicherweise hat es die Grünen erwischt. (Peter Mayr, Michael Völker, 24.1.2018)