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Das Gomringer-Gedicht an der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin-Hellersdorf: Der Konflikt kommt einem spanisch vor.


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An der Alice-Salomon-Hochschule im Ostberliner Stadtteil Hellersdorf kann man Gesundheits- und Pflegemanagement oder Soziale Arbeit auf Bachelor studieren, aber auch auf Spanisch einen Master in "Gestión de Conflictos Interculturales" (Interkulturelle Konflikte) machen. Spanisch könnte einem auch der Konflikt vorkommen, der zuletzt wegen einer Fassade der Hochschule entbrannt ist.

Dort steht nämlich weithin sichtbar ein Gedicht von Eugen Gomringer zu lesen. Es ist nicht lang, die letzten zwei Zeilen lauten so: "avenidas y flores y mujeres y / un admirador". Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer. Literaturtheoretisch wäre hier von Konkreter Poesie zu sprechen. 2011 erhielt der 1925 in Bolivien geborene Eugen Gomringer den Poetik-Preis der Alice-Salomon-Hochschule, damals wurde sein Gedicht "avenidas" auf die Südfassade gemalt. 2017 löste eine Geschichte in der "New York Times" über Harvey Weinstein eine Debatte und eine Bewegung aus, die seither unter dem Kürzel MeToo zusammengefasst wird – und in die auch das Gedicht von Eugen Gomringer geriet.

Im Zeichen der Identität

Allerdings wurde MeToo hier zu einem Verstärker für einen Protest, der noch dahinter zurückdatiert. Denn schon 2016 erklärte der Asta (Studierendenausschuss) an der Alice-Salomon-Hochschule: "Dieses Gedicht reproduziert nicht nur eine klassische patriarchale Kunsttradition (...), es erinnert zudem unangenehm an sexuelle Belästigung, der Frauen* alltäglich ausgesetzt sind." Diese Lesart trägt zwar nicht allen Facetten der Poesie von Gomringer Rechnung, passt aber gut zu einer Geschlechterdebatte, die auch in Berlin häufig stark im Zeichen von Identitätspolitiken geführt wird.

Durch neue Begrifflichkeiten aus den letzten Wochen wurde die Deutung des Wortes "admirador" (Bewunderer) zusätzlich akzentuiert. Vor allem in Frankreich tat sich dabei eine Spannung zwischen "balance ton porc" (" Verpfeif dein Schwein" und nicht, wie Google anbietet, "Balanciere dein Schweinefleisch") und einer "liberté d'importuner" (Freiheit zur Behelligung) auf, wie sie in einem offenen Brief in "Le Monde" von Frauen wie Catherine Deneuve oder Catherine Millet verteidigt wurde. Ist ein "Bewunderer" schon ein "Schwein", oder kann man es zumindest als "Behelligung" oder "Belästigung" empfinden, wie Gomringer seine poetische Erotik gleichmäßig auf Alleen und Blumen und Frauen verteilt?

Gegengedicht

Darüber kann man auf hohem Niveau streiten. Inzwischen ist daraus aber ein "Fassadendiskurs" geworden. Mit diesem Wort hat die Hochschule zusammengefasst, was im Ergebnis nun zu einem neuen Gedicht auf der Südfassade führen wird: Ab 2018 soll etwas von Barbara Köhler dort zu lesen sein. Sie ist die aktuelle Trägerin des Poetik-Preises.

Man könnte nun also sagen, dass ein hoch ideologisierter Streit ein pragmatisches, prozedurales Ergebnis gefunden hat (die Fassade muss sowieso renoviert werden). Aber längst hat sich die Sache verselbstständigt, nicht zuletzt in den digitalen Netzwerken, und nun dominieren vor allem diejenigen, die "Zensur" rufen und im Namen der "Freiheit der Kunst" den Rigorismus der Position bekämpfen. die der Studierendenausschuss vertritt.

Ausgerechnet der Springer-Verlag macht sich für "avenidas" stark und hat das Gedicht weithin sichtbar auf seinem Hochhaus in Mitte angebracht. Bei Springer hat man zwar keine Skrupel, junge Frauen redaktionell unterbetreut auf den Feminismus loszulassen, wie das 2015 bei Ronja von Rönne der Fall war. Aber für einen alten Avantgardisten wie Gomringer macht man sich stark. Die deutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hat die geplante Übermalung des Gedichts als einen "erschreckenden Akt der Kulturbarbarei" kritisiert. "Kunst und Kultur brauchen Freiheit, sie brauchen den Diskurs,", erklärte Grütters. "Wer dieses Grundrecht durch vermeintliche Political Correctness unterhöhlt, betreibt ein gefährliches Spiel." (Bert Rebhandl, 25.1.2018)