Die Gentherapie, die bei angeborener Immunschwäche möglich ist, "greift nicht in die Keimbahn ein. Insofern können wir die Folgen abschätzen", sagt Kaan Boztug, Kinderarzt am St.-Anna-Kinderspital.

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STANDARD: Was halten Sie von der neuen Gentherapie für Kinder?

Boztug: Diese Ansätze sind sehr vielversprechend, vor allem deshalb, weil sich die Technologie dahinter verbessert hat. Es werden neue, sicherheitsoptimierte Vektoren, also Viren, verwendet, um eine gesunde Kopie des defekten Gens in die Zelle einzubringen. Damit können frühere Probleme vermieden werden.

STANDARD: Welche Probleme?

Boztug: Es ist nicht die erste Gentherapie für Immunschwäche, in der Vergangenheit gab es aber Patienten, die bei der Vorgängertherapie Leukämien entwickelt haben, weil diese Virenvektoren benachbarte Bereiche in der DNA beeinflusst haben. Gentherapie ist kein Allheilmittel, sie ist aber eine zusätzliche Therapiemöglichkeit.

STANDARD: Für wen genau?

Boztug: Es gibt verschiedene Formen von Immunschwäche. Die Standardtherapie ist eine Knochenmarktransplantation, mit der die Immunschwäche heilbar ist. Voraussetzung ist, dass es auch einen gut passenden Spender gibt. Manchmal ist das nicht der Fall, dann ist die Gentherapie eine wirkliche Alternative – vor allem, wenn sie möglichst frühzeitig erfolgt.

STANDARD: Gibt es in Österreich viele Babys, die mit Immunschwäche geboren werden?

Boztug: Die Häufigkeit des schweren Immundefekts SCID ist 1:50.000, wir haben also circa ein bis zwei Fälle pro Jahr. Die Babys werden gleich nach der Geburt schwerkrank, sodass auch Ärzte außerhalb von spezialisierten Zentren wie dem St.-Anna-Kinderspital oder dem AKH die Erkrankung meist erkennen.

STANDARD: Was dann?

Boztug: Die Kinder kommen als Notfälle zu uns. Um sie zu retten, müssen wir sie vor Infektionen schützen und sie meist einer Knochenmarktransplantation unterziehen. Dafür gibt es hier eine Expertise, die für den Behandlungserfolg notwendig ist.

STANDARD: Ist die neue Gentherapie in Österreich verfügbar?

Boztug: Durchaus. Die X-chromosomale Form der Erkrankung betrifft nur Buben und ist die häufigste Form dieser an sich seltenen Erkrankung. Diese spezifische Therapie haben wir hier in Österreich aber noch nie eingesetzt. Hätten wir einen Patienten, würden wir uns mit dem Zentrum, das diesen Genvektor erzeugt, in Verbindung setzen. Wir sind gut vernetzt. Die Behandlung selbst könnte in Österreich erfolgen.

STANDARD: Wird diese Gentherapie die Transplantation ersetzen?

Boztug: Nein, das denke ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Es ist nur eine neue Option, wenn es keine gut passenden Spender gibt. Die Behandlungen ähneln sich im Prozedere. Die Studie hat ja gezeigt, dass auch bei der Gentherapie eine Vorbehandlung mit Busulfan empfohlen wird. Das ist eine Chemotherapie, mittels derer für die genetisch korrigierten Blutstammzellen Platz geschaffen wird.

STANDARD: Ist Gentherapie riskant?

Boztug: Es ist keine Therapie, die in die Keimbahn eingreift. Insofern können wir die Folgen abschätzen. Allerdings: Die angesprochene Therapie ist etwas Neues, wir kennen die langfristigen Folgen nicht. Bisher galten sieben Jahre als relevante Zeitspanne, um den Erfolg messen und unerwünschte Nebenwirkungen abwägen zu können. (Karin Pollack, 30.1.2018)

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