Als staatsgefährdend galten sie von allem Anfang an. Das hat schon der alte Metternich gewusst, der mit den Karlsbader Beschlüssen vom August 1819 die sich eben an den Universitäten etablierenden Burschenschaften zu unterdrücken versucht hat. Denn in ihren Anfängen standen Burschenschaften für Weltoffenheit und Freiheit, was von den Herrschenden in Österreich und den Staaten des Deutschen Bundes nach den Napoleonischen Kriegen gar nicht gern gesehen wurde.

Noch suspekter war den Vertretern der Obrigkeit das nationale Element, das den Burschenschaften von Anfang an innegewohnt hat. Da trafen sich die Studenten und sangen unter anderem das Lied von "Des Deutschen Vaterland" – das dem 1813 von Ernst Moritz Arndt verfassten Text zufolge vom Belt bis in die Schweiz und nach Österreich reichen sollte. 1813, als Arndt das schrieb, ging es darum, alle Deutschsprachigen gegen Frankreich zu einen und zu mobilisieren – ein Ziel, das sich für die deutschen Könige und Fürsten mit der Restauration nach dem Wiener Kongress erledigt hatte. Und für Kaiser Franz I. und seinen Kanzler sowieso: Die Habsburgermonarchie war ja nicht nur deutsch, sondern multinational – andererseits aber war sie eine führende Kraft im Deutschen Bund.

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Rituale sind fixer Bestandteil des Verbindungslebens und machen für viele Studenten überhaupt erst den Reiz der Mitgliedschaft in einer Verbindung aus
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Nationale Bestrebungen, das hat Klemens Wenzel Lothar von Metternich klar erkannt, würden die postnapoleonische Ordnung gründlich durcheinanderbringen – und das haben sie dann auch getan. Zunächst 1848, als sich in der Frankfurter Paulskirche liberale Politiker (vergeblich) zusammenfanden, um Deutschland zu einen und einen Grundrechtskatalog zu schaffen. Von den 803 Abgeordneten waren 173 Burschenschafter. Das war ja eigentlich verboten – wobei das Verbot in Österreich vollständig durchgesetzt war -, umso sehnsüchtiger schauten freiheitlich gesinnte Studenten nach Deutschland. "Das deutsche Volk ist ein Volk von Freien, und deutscher Boden duldet keine Knechtschaft. Fremde Unfreie, die auf ihm verweilen, macht er frei", reklamierte der Dichter und Burschenschafter Jakob Grimm in den Verfassungsentwurf.

Sonnen in liberaler Tradition

In der Anknüpfung an solch liberale Tradition sonnen sich die Burschenschafter noch heute – obwohl es 1848 in Österreich noch gar keine Burschenschaften gegeben hat.

Erst in den 1850er-Jahren konnten sich die Studenten organisieren, das Corps Saxonia Wien, gegründet am 15. Mai 1850, gilt als die älteste österreichische Verbindung – die Saxen sind pflichtschlagend und farbentragend. Das heißt, dass die Mitglieder ein blau-rot-gelbes Band und eine blaue Mütze tragen – und dass sie sich einer Mensur, dem rituellen Fechtduell, zu stellen haben.

Überhaupt die Rituale! Sie sind fixer Bestandteil des Verbindungslebens und machen für viele Studenten überhaupt erst den Reiz der Mitgliedschaft in einer Verbindung aus. Das gilt sowohl für die Burschenschaften als auch für die katholischen Studentenverbindungen, die in vielen Äußerlichkeiten ähnlich sind.

Zur Bewahrung von Traditionen gehört auch die Pflege und Dokumentation problematischer Traditionen
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Ein Gutteil dieses "Comment", wie das Regelwerk heißt, muss aus der Entstehungszeit der studentischen Verbindungen im 19. Jahrhundert erklärt werden: Vordem war es üblich, dass ältere Semester die Studienanfänger tyrannisierten, sie verprügelten und finanziell ausnahmen. Der Comment der Verbindungen hat das in abgemilderter Form in das Verhältnis des Leibfuxen (eines neuen Verbindungsmitglieds, dem besondere Dienstpflichten auferlegt sind) zu seinem Leibburschen ritualisiert. Das mag heute altmodisch erscheinen, war aber vor 200 Jahren ein enormer Fortschritt.

Und ein wenig altmodisch zu sein, seltsame Kleidung zu tragen und altertümliche Ausdrücke zu verwenden gehört dazu – wobei manches für Außenstehende lächerlich erscheint. Oder sogar lächerlich sein will, gerade wenn es "bierernst" daherkommt.

Bedenkliches Liedgut

So ist auch ein Teil des Liedguts zu verstehen – auch das bei der Germania zu Wiener Neustadt angeblich nie gesungene Lied von den Alten Germanen ist ja ursprünglich ein Spottlied auf die Deutschtümelei, dem offenbar eine (in anderen Liederbüchern nicht abgedruckte) Strophe zum Massenmord an den Juden später hinzugefügt wurde. Dass das keineswegs witzig ist, dürfte lange niemandem aufgefallen sein. Wie auch das – bis in die 1970er-Jahre sogar bei der Katholischen Jungschar gesungene – Lied vom "Negeraufstand" in Kuba lange eher als witzig denn als rassistisch empfunden wurde.

Heute lacht da keiner mehr. Aber zur Bewahrung von Traditionen gehört auch die Pflege und Dokumentation problematischer Traditionen. Und diese manifestieren sich nicht zuletzt in den Inhalten, die von einzelnen Verbindungen sehr unterschiedlich hochgehalten werden. Ausgangspunkt war das Bekenntnis zum Deutschtum, das allen Burschenschaften gemeinsam ist und nicht nur Metternich ein Dorn im Auge war, sondern auch im heutigen Österreich ziemlich deplatziert wirkt.

Katholische Verbindungen äußerlich ähnlich

In scharfem Gegensatz dazu stehen die katholischen Verbindungen, die ab 1864 gegründet wurden, weil die damals schon bestehenden Burschenschaften kirchlichen Kreisen zu liberal und vor allem antiklerikal waren. In vielen Äußerlichkeiten den Burschenschaften ähnlich, war schon der Name der ersten katholischen Verbindung "Austria Innsbruck" Programm.

Die derzeit 49 aktiven Verbindungen im Österreichischen Cartellverband (CV) sind strikt Österreich-orientiert, was zur Gründungszeit eine Orientierung an Habsburg und im Ständestaat eine Gefolgschaft zur Kanzlerdiktatur bedeutet hat: In vielen katholischen Verbindungen wird der von den Nazis ermordete Engelbert Dollfuß in Ehren gehalten.

Die Prinzipien der CV-Verbindungen sind "Religio, Scientia, Amicitia und Patria", wobei Patria auch das Bekenntnis zur Wehrhaftigkeit Österreichs einschließt – symbolisiert dadurch, dass die Chargierten der katholischen Verbindungen mit Säbeln bewaffnet sind wie Burschenschafter, obwohl Duelle im CV verpönt sind. Da wurde die Mensur durch die "Biermensur", ein Trinkduell, ersetzt.

Das Allgemeine Deutsche Kommersbuch der Burschenschaft Libertas.
Foto: Christian Fischer

Die Gründung der ersten katholischen Verbindungen passierte genau zu der Zeit, als sich die Deutschtümelei in den Burschenschaften radikalisierte: Mit dem verlorenen Krieg gegen Preußen 1866 wurde Österreich aus dem Deutschen Bund gedrängt – woraufhin sich Deutschnationale immer weniger wohlfühlten in Österreich. Als Bismarck dann 1871 das Deutsche Kaiserreich errichtete, orientierten sich die Burschenschafter in Österreich dorthin; Vergessen waren die alten Ideale von Freiheit, Demokratie und Weltoffenheit.

Ideal Rassenreinheit

Jetzt zählte allein der Wunsch nach nationaler Einheit – und die wurde als Reinheit der Volksgruppe verstanden. Der Medizinprofessor Theodor Billroth, 1867 nach Wien berufen, hat massiv zu diesem Selbstverständnis beigetragen, er nannte die Juden eine "scharf abgegrenzte Nation" – was den latenten Antisemitismus anheizte. Georg Ritter von Schönerer lieferte mit der Parole "Durch Reinheit zur Einheit – ohne Juda, ohne Rom wird gebaut Germaniens Dom" nicht nur dem jungen Hitler ein willkommenes Programm, er inspirierte auch zahlreiche Burschenschaften, Schönerers Arierparagrafen zu übernehmen.

Jüdischen Studenten, die sich aus sozialliberaler Begeisterung und aus Bekenntnis zum größeren Deutschland Burschenschaften angeschlossen hatten und sogar eigene jüdische (und gleichzeitig deutschnationale) Burschenschaften gegründet hatten, wurde die Ehre aberkannt. Viele mussten ihre als Lebensverbindung gedachte Burschenschaft verlassen. Nur wenige Burschenschaften (in Wien die Fidelitas und die Constantia) verweigerten sich dem Antisemitismus.

Als in den 1920er- und 1930er-Jahren die Nazis immer mehr Zulauf bekamen, bildeten die Burschenschafter ein Rückgrat der Hitlerbewegung – auch wenn heute gerne betont wird, dass im Nationalsozialismus alle Studentenverbindungen verboten waren und die Burschenschaften keine Mitschuld an den Nazi-Verbrechen hätten.

Der "Deckel", die Kopfbedeckung vieler Studentenverbindungen, sind Erkennungszeichen.
Foto: Christian Fischer

Als nach dem Krieg die Verbindungen wieder erlaubt wurden, fanden sich die Nazis in den wiedergegründeten Burschenschaften zusammen. An die jüngere Generation gaben sie ihre Erfahrung weiter, dass im NS-Staat "nicht alles schlecht" gewesen sei (was für Parteigenossen wohl gestimmt hat). Antikatholisch und sozial blieb man, was auch erklärt, warum etliche Burschenschafter nicht nur in der FPÖ, sondern auch in der SPÖ angedockt haben.

Deren Bund Sozialdemokratischer Akademiker (BSA) ist nie an die Popularität des CV herangekommen – und die Burschen waren durchaus willkommen bei der SPÖ, solange ihr burschenschaftliches Engagement nicht weiter auffiel. Aber richtig los geht es für die freiheitlichen Akademiker jetzt, wo die FPÖ in der Regierung ist – für viele ein Karriere-Turbo.

Auf der anderen Seite war der CV bis vor kurzem ein geeignetes Ticket für eine Karriere im ÖVP-Umfeld. Unter Sebastian Kurz hat sich das geändert – der neue Kanzler bevorzugt in seiner politischen Nähe die Kollegen aus "seiner" Jungen ÖVP. (Conrad Seidl, 3.2.2018)