Albrecht: Weil dicke Menschen den dünnen auf der Tasche liegen würden, wird es als "Fair Game" betrachtet, Dicken offen zu sagen, dass sie hässlich sind.

Foto: Ullstein Verlag

Magda Albrecht, "Fa(t)shionista. Rund und glücklich durchs Leben". € 16,50 / 330 Seiten. Ullstein-Verlag, 2018

Foto: Ullstein Verlag

In den Fitnesscentern geht es im Jänner besonders zu. Der Klassiker unter den Neujahrsvorsätzen, endlich abzunehmen, trifft auf zahlreiche Angebote von Fitnessketten, einige Wochen gratis zu trainieren und so das Jahr fit und nicht fett anzugehen. Derartige Wort- und Bildschöpfungen sind so selbstverständlich wie für viele Menschen beleidigend. Gesundheit und Vitalität werden als krasser Gegensatz zu einem dicken Körper dargestellt – und das ist nur eines von vielen Beispielen, wie dicke Menschen abgewertet und vorverurteilt werden. Magda Albrecht kennt das zu Genüge und hat deshalb ein Buch darüber geschrieben. In "Fa(t)shionista" erzählt sie von den ständigen Piesackereien und der logischen Folge davon, ständig mit dem eigenen Körper auf Kriegsfuß zu sein. Heute weiß sie, dass das nicht ihr persönliches, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem ist.

Dicksein gilt als kein akzeptabler Zustand, er darf höchstens ein vorübergender sein, dem mithilfe einer endlosen Produktreihe möglichst bald ein Ende gesetzt werden muss: Diätratgeber, Diätnahrungsmittel, Sportutensilien und -studios, Ernährungsberatung, pharmazeutische Produkte und Weight Watchers. Die verordneten Ziele für dicke Menschen sehen wir überall in der medialen und kulturellen Öffentlichkeit. Egal ob in Werbung, TV oder Filmen, überall kommen vorwiegend schlanke Menschen vor. Dicksein darf nicht und muss nicht sein, so die Botschaft.

Ein bisschen Bodypositivity

Doch wer ist überhaupt dick?, fragt sich Albrecht zuallererst in ihrem Buch. Sich nur für dick zu halten gilt jedenfalls nicht, schließlich treffe das auf praktisch alle zu, schreibt sie. Sie meint vielmehr jene, deren Kleidergrößen selten oder nie von den meisten Bekleidungsfirmen produziert werden, die nicht oder nur sehr unbequem in gängige Stühle passen oder die sich anhören können, dass sie "trotz der Kilos" eigentlich recht hübsch seien. Es gehe um die "nichtakzeptablen" Dicken, wie es Albrecht im Gespräch mit dem STANDARD formuliert.

Die Debatten über Körperbilder in den letzten Jahren hätten zwar durchaus etwas bewegt, Curvy Models seien zum Beispiel keine Seltenheit mehr. Andererseits würden genau sie gut aufzeigen, wie eng der Rahmen des derzeit recht angesagten Bodypositivity-Diskurses ist. "Diese Frauen haben vielleicht Größe 42, einen dickeren Po oder größere Brüste – sie entsprechen also noch immer dem, wie Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft aussehen sollen", sagt Albrecht über die "akzeptablen Dicken". Auch hätten sich nur bestimmte Ideen durchgesetzt, etwa dass sich Frauen nur mehr mögen sollen, dann würde alles andere schon werden. Ein ganz anderer Wind weht aber, ungeachtet von jeglichem Bodypositivity-Gerede, den "anderen", den "nicht akzeptablen Dicken" entgegen.

Gesunde "Mobbelchen"

Ihnen werde unverblümt und teils sehr aggressiv nahegelegt, dass sie gefälligst gesünder leben sollen und "scheiße aussehen", so Albrecht. Als Legitimation gilt das Argument, dicke würde schlanken Menschen mit höheren Gesundheitskosten auf der Tasche liege. Albrecht kritisiert einerseits die dahinterstehenden "kapitalistischen Ideen, was etwas kosten darf und was nicht" und führt in ihrem Buch einige konkrete Beispiele an, wie Studien über den Zusammenhang von Übergewicht und Krankheiten fehlinterpretiert oder sehr übertrieben dargestellt wurden.

Ein Hamburger ForscherInnenteam wertete 42 großangelegte Studien aus, die ein höheres Krankheitsrisiko und ein höheres Risiko, früher zu sterben, mit Übergewicht in Verbindung bringen. Dieses Urteil konnten die WissenschafterInnen so nicht aufrechterhalten. Zwar war man sich einig, dass Adipositas, also ein BMI ab 30, ein erhöhtes Krankheitsrisiko bedeutet, dies müsste allerdings immer mit Alter, Geschlecht und Sozialstatus in Verbindung gebracht werden. So spielt etwa Adipositas ab 65 kaum eine Rolle und trage bei über 70-Jährigen sogar zu einer höheren Lebenserwartung bei. Eine andere Studie aus dem Jahr 2016 überrascht auch mit dem Ergebnis, dass Menschen mit einem BMI von 27, also "Mobbelchen", wie es Albrecht formuliert, ein sehr geringes Risiko haben, früher zu sterben.

Stressfaktor Diskriminierung

Die Probleme mit allgemeingültigen Aussagen beginnen schon beim Body-Mass-Index (BMI) als Maßeinheit für zu viel oder zu wenig Gewicht. Der BMI wird längst nicht nur von DickenaktivistInnen kritisiert, selbst der Wikipedia-Eintrag zum BMI hält fest, dass dieser weder "Statur und Geschlecht noch die individuelle Zusammensetzung der Körpermasse aus Fett- und Muskelgewebe eines Menschen berücksichtigt". Trotzdem gibt es ihn noch immer als "unhinterfragte Größe, die in Arztpraxen, Zentren für Essstörungen oder Fitnesscentern als Kategorisierung für Unter-, Über- oder Normalgewicht herangezogen wird", meint die Autorin.

Risikofaktoren würden völlig unterschiedlich gewichtet, und das sehr oft nicht auf wissenschaftlicher Basis. Albrecht: "Es ist eine politische Entscheidung, nur über bestimmte Risikofaktoren zu sprechen." Albrecht wünscht sich, weniger auf die teils sehr "wackeligen Studien" zu fokussieren, sondern darauf, wie Menschen ein vorurteilsfreies Leben führen können. Denn Diskriminierung bedeutet Stress, und der ist kein unerhebliches Gesundheitsrisiko. Darüber zu sprechen würde aber unsere Lebensweise viel stärker hinterfragen, würde stärker an den Strukturen kratzen, ist Albrecht überzeugt. "Da ist es schon beliebter, den Leuten zu sagen: Kümmert euch individuell um euer Leben, fresst halt weniger, und bewegt euch mehr."

Freundlich fies

Angesichts der teils erschütternden Erzählungen über Albrechts Alltag als nicht "akzeptable Dicke" erscheinen die Kilos im Vergleich zu der psychischen Dauerbelastung als Klacks: Der freundlich verpackte Kommentar einer Lehrerin, man würde wegen der Leibesfülle schlecht riechen, die Verrenkungen auf Klassenfahrten, damit man vor Mitschülerinnen beim umzuziehen ja kein Fleckchen seines Körpers entblößen muss, das Essen in der Öffentlichkeit, das bei dicken Menschen mit Argusaugen beobachtet wird, oder die respektlosen Bilder von sogenannten "kopflosen Fetten", wie sie in der Berichterstattung über Adipositas zahlreich eingesetzt werden. Es sind Bilder von dicken Körpern ohne Kopf, meist im Sitzen und von hinten abgebildet. Den Begriff des "headless fatty" hat die britische Psychotherapeutin und Autorin Charlotte Cooper geprägt, die Magda Albrecht in ihrem Buch öfter zitiert. Kopflose Dicke müssten als Symbol herhalten, ohne Stimme, ohne Gedanken oder Meinungen, sagt Cooper, "wir werden dehumanisiert als Symbole der Angst: der Körper, der Bauch, der Hintern, Essen".

Wie wir über Körper sprechen, wie die Gesellschaft mit Menschen umgeht, die vom Ideal weit weg sind, das sind gesamtgesellschaftliche Fragen, wie Albrecht in ihrem Buch zeigt – wenngleich Aufmachung und Untertitel des Buches "Rund und glücklich durchs Leben" eher die Fährte für einen persönlichen Ratgeber legen. Doch stattdessen illustriert die Autorin in bester feministischer Tradition die Verknüpfung von Schönheitsregimen, Selbstverantwortungsdiskursen, Gesundheitspolitik und Wissenschaftskritik. (Beate Hausbichler, 4.2.2018)