Oberomas Susanne Scholl und Monika Salzer in Aktion: "Der Medusa ist ein neues Haupt gewachsen."

Foto: Christian Fischer

Wien – Die musikalische Untermalung bereitet Anlaufschwierigkeiten. Ein neues Lied haben die Demonstrantinnen einstudiert, doch die hohe Tonlage lässt manche Stimme an ihre Grenzen stoßen. Auch der Rhythmus ist eine Herausforderung: Was als beschwingter Walzer im Dreivierteltakt gedacht war, wird beim Gehen zum getragenen Marsch.

Doch das Atout jener Aktivistinnen, die sich da am Freitagabend vor dem Wiener Café Landtmann gesammelt haben, ist ohnehin die Optik. Knallige Strickhauben sind es, mit denen die Frauen rote, pinke oder orange Farbtupfer ins Grau der winterlichen Masse bringen. In den USA waren diese "Pussyhats" mit den angedeuteten Katzenohren ein Symbol gegen den Sexismus Donald Trumps. Nun dienen sie Wiens hippster Protestgruppe gegen die neue türkis-blaue Regierung als Markenzeichen: den "Omas gegen rechts".

"Es ist ein Wunder, was daraus in so kurzer Zeit geworden ist", sagt Monika Salzer, als sie sich unter die Gleichgesinnten mischt. Mit acht anderen Frauen ist die Psychotherapeutin und pensionierte evangelische Pfarrerin im Dezember zur Demonstration gegen die türkis-blaue Angelobung marschiert, nun sind es locker 200 – längst nicht nur mehr weibliche – Menschen, die mit ihr zum Lichtermeer im Gedenken an die verstorbene Flüchtlingshelferin Ute Bock auf den Heldenplatz pilgern. Sender und Zeitungen, nicht nur aus Österreich, stellen sich um Interviews an, in anderen Städten formieren sich bereits Ableger, selbst in Berlin gibt es Komplizinnen. So viele Menschen seien über die Situation bedrückt, glaubt die Erfinderin, "da sind wir fast schon wie der Messias erschienen. Gerade die Jungen sind erleichtert, weil sie sehen, dass sie nicht allein sind."

Älter, aber nicht kälter

Sie sei zwar "älter, aber nicht kälter", sagt Salzer und leitet aus ihren 70 Jahren einen Auftrag ab. Ihre Generation habe versucht, nach all dem Tod, Mord und Krieg eine bessere Gesellschaft aufzubauen, in der 68er-Bewegung Traditionen gesprengt, unter Kreisky demokratische Reformen durchgekämpft – und all das stehe plötzlich wieder zur Disposition: "Ich bin auf 100!" Susanne Scholl, Altersgenossin und Mitstreiterin der ersten Stunde, sagt: "Wir lassen uns nicht zurück ins Mittelalter putschen."

Für viel Aufsehen sorgt der Tross, als als er vom Ring auf den Heldenplatz einbiegt, Gleichgesinnte holen sich "Omas gegen rechts"-Buttons ab. An den Armen eingehakt schreiten Salzer und Scholl voran, flankiert von den stimmkräftigsten Sängern der Gruppe: "Niemals, niemals vergessen, was gescheh'n."

Kämpfen gegen die gelenkte Demokratie

Sind Parallelen zur Nazizeit nicht etwas hochgegriffen? Natürlich werde sich die Geschichte nicht eins zu eins wiederholen, sagt die einstige ORF-Korrespondentin Scholl, "die Gesellschaft ist heute eine ganz andere". Aber eine gelenkte Demokratie, wie sie Viktor Orbán in Ungarn oder Wladimir Putin in Russland vorexerzierten, sei auch hierzulande kein Ding der Unmöglichkeit.

Dass ÖVP und FPÖ nun einmal eine Mehrheit haben und das Wahlergebnis keinen anderen Weg geboten habe, ist für die beiden kein Argument. Niemand habe Kurz gezwungen, "sich mit wildgewordenen Deutschnationalen einzulassen", sagt Salzer und verweist auf alternative Mehrheiten zu Türkis-Blau. Wie könne die ÖVP einen wie Kurz, der so stark nach rechts abbiege, als "Heilsbringer" akzeptieren, fragt sich Scholl. Dass es nicht funktioniere, die FPÖ zu Tode zu umarmen, habe sich einst schon unter Wolfgang Schüssel gezeigt: "Der Medusa ist einfach ein neues Haupt gewachsen."

Maximales Ziel der Omas ist naturgemäß der Abgang der Koalition, ein näherliegendes, dieser eine andere Art von Diskurs entgegenzuhalten. Es sei erschreckend, wenn ein Innenminister von der "Konzentration" von Flüchtlingen spreche – die Regierung schüre mit "brutalen Worten" gezielt Ängste. Auch da seien ÖVP und FPÖ nicht die Ersten, die das versuchen, sagt Scholl: "Denn wer Angst hat, lässt sich leichter regieren." (Gerald John, 5.2.2018)