Regina Fritsch, seit 1985 Ensemblemitglied an der Wiener Burg: "Ein Klima selbstherrlicher Macht gehört öffentlich besprochen."

Foto: Robert Newald

In Tennessee Williams' Glasmenagerie werden die Angehörigen einer vaterlosen Familie wie unterm Brennglas betrachtet. Eine verblühte Südstaatenschönheit steckt voller Illusionen. Sie wartet auf Verehrer für ihre hinkende Tochter. Die ergötzt ihr schüchternes Gemüt an Glastierchen. Gespielt wird die patente Mutter von Burgtheaterstar Regina Fritsch. Premiere hat die 70 Jahre alte Glasmenagerie am 16. Februar im Akademietheater.

Gleicht eine tapfere Frau wie Amanda nicht einer Person, die völlig isoliert im Raum virtueller Möglichkeiten schwebt? Fritsch: "Die Geschichte einer sitzengelassenen Mutter mit zwei Kindern ist zeitlos. Amandas Überforderung liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Erläuterung. Auch in die Armut zu schlittern ist nichts Ungewöhnliches. Und doch ist Amanda bass erstaunt: Sie hätte gerne reich geheiratet und weiter das Leben einer Südstaatenprinzessin geführt."

Fritsch ist seit 1985 Burgtheaterschauspielerin. Ihre Vorliebe gehört Regisseuren, die ihren Figuren mit Empathie begegnen. "Ein Regisseur wie David Bösch arbeitet sehr poetisch", sagt sie. "Dabei macht er sich auf die Reise ins Herz der Tragödie."

Dame mit Kinderblick

Fritsch besitzt einen hellwachen Kinderblick. An ihm lassen sich die Verletzungen einer Figur ablesen, aber auch deren Durchtriebenheit. Man konnte die aus Hollabrunn gebürtige Kammerschauspielerin nie festlegen. Ihre Kobolde sind Liebende. Noch die Schnitzler-Damen atmen bei ihr gesunde, würzige Raimund-Luft. Inwiefern ist die Probenarbeit auf dem Theater heute "demokratischer" als vor zwei Jahrzehnten, Frau Fritsch?

"Das Patriarchat lockert sich. Die großen Zampanos gibt es nicht mehr, und dieser Männertypus wächst auch nicht nach. Ich unterrichte am Max-Reinhardt-Seminar. Ich sehe unter den jungen, sehr begabten Burschen keinen Attila Hörbiger. Und ich verstehe darunter den Charaktertyp des positiven Patriarchen!" Heute würden die Schauspieler mehr Verantwortung tragen. "Das berühmte Stelltheater habe ich noch in meinen Anfängen erlebt. ,Du kommst von rechts, sagst Hallo! und stellst das Glas dorthin!' Das interessiert heute niemanden mehr."

Fritsch bekennt sich zu ihren Grundprinzipien. "Das psychologische Theater bildete für mich stets den Ausgangspunkt. Reines ,Performen' hat mich nie interessiert. Unter Achim Benning war die psychologische Art, Theater zu machen, immer gegeben, und eigentlich hat auch Claus Peymann nichts anderes gemacht. Eine große Befreiung bestand in der Aufforderung: ,Erfinden wir zusammen ein Stück!' Es war Stefan Bachmann, der mich und ein paar Kollegen zu einer solchen Expedition einlud." Das Stück hieß Verbrennungen, eine "ungeheure autobiografische Arbeit" von Wajdi Mouawad 2007.

Sehnsucht nach Rollen

Begonnen hat die blutjunge Fritsch übrigens als Lastwagenfahrerin: "Bis heute empfinde ich eine gewisse Distanz zur Arbeit als Schauspielerin. Doch sind mittlerweile meine Zweifel, ob ich das Richtige mache, geringer geworden. Dazu mache ich es auch schon zu lange. Doch ist das Theaterspielen nichts, wofür ich mein Leben hingeben würde."

Die Sehnsucht nach bestimmten Rollen habe sie "in meiner Jugend gehabt. Das Gretchen wollte ich unbedingt spielen, die Christine in der Liebelei, die Julie im Liliom. Was war? Ich habe sie alle nicht gespielt. Bis ich irgendwann aufgehört habe, mir etwas zu wünschen. Ich habe häufig ,Wurzen' gekriegt, aus denen ich etwas machen musste."

Fritsch biss sich durch. "Es war mir auch keine Rolle zu klein oder zu blöd. Außer das eine Mal bei Peymann: In der Hermannsschlacht sollte ich einen Hopliten in der Phalanx der Lanzenträger spielen. Da habe ich mangels Interesses abgelehnt. Die Folgen bekam ich insofern zu spüren, als ich zwei Jahre unter ihm nichts mehr spielen durfte. Er war dann sehr skeptisch mir gegenüber. Anschließend ging es gut, ja. Ich konnte nicht bemerken, dass Peymann nachtragend sei." Martin Kusej wird 2019 ihr sechster Burgtheaterdirektor sein.

"Die Unterscheidung zwischen dieser oder jener Ära verwischt in der Rückschau zusehends. Achim Benning war für mich insofern prägend, als er fördernd war. Ich durfte die Genia im Weiten Land spielen und genauso gut in Hotel Ultimus, also quer durch den Gemüsegarten. Aber auch Begegnungen wie die mit David Bösch oder Michael Thalheimer schufen für mich Einrichtungen des Vertrauens, ,Vertrauensfamilien'."

"Es geht hier nicht um persönliche Rache"

Den offenen Brief der 60 Burg-Bediensteten zur Frage des Machtmissbrauchs hat sie unterschrieben: "In einem so großen Ensemble gibt es selbstverständlich voneinander abweichende Meinungen. Ich bin völlig gegen eine ,Hetze', es geht hier nicht um persönliche Rache. Matthias Hartmann hat genug Schläge abbekommen, teils auch zu Recht. Diese Thematik ist aber ungeheuer wichtig, und sie bedarf der Öffentlichkeit."

Fritsch meint, es gehe "um eine Bewusstwerdung. Und ja, die Zeit ist reif dafür. Es verhält sich so ähnlich wie mit der katholischen Kirche, als man peinlich Verschwiegenes unter ihrem Teppich hervorkehrte. Ein Klima selbstherrlicher Macht gehört besprochen im 21. Jahrhundert. Und: Nein, Hartmann ist nicht der Einzige, der sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber salopp verhalten hat."

"Ich selbst habe mit Dieter Wedel in Südafrika gedreht. Ich bin nie in eine solche Situation hineingeraten und habe ihn als äußerst korrekt in Erinnerung. Aber ja, diese Geschichten, die über ihn kursierten, habe ich alle gewusst. Und so verhält es sich auch – auf einem anderen Level – bei Hartmann. Die Situation in der Zeit seiner Direktion war stark mit Angst und Druck behaftet. Sie war unfrei. In der Kunst gibt es diese Grauzone: Was ist künstlerisch eben noch ganz toll, und was ist tatsächlich ein No-Go?" (Ronald Pohl, 8.2.2018)