Zwei bis drei Monate probt Ronen mit den Darstellern für eine Stückentwicklung. Hier über die Bühne projiziert: Yousif.

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"Die meisten meiner Arbeiten sind offensichtlich politisch", sagt Regisseurin Yael Ronen. Sie inszeniert nun zum fünften Mal in Österreich.

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Wien – Bei der Nestroy-Gala vorigen November sorgte die als beste Nebendarstellerin ausgezeichnete Volkstheater-Schauspielerin Birgit Stöger für stille Momente im sich feiernden Saal. Sie erzählte vom irakischen Flüchtling Yousif A., dessen Asylantrag gerade abgelehnt worden sei. 2015 nach Österreich gekommen, habe er inzwischen Deutsch gelernt, mehrere Jobangebote, und "wenn der österreichische Staat Yousif abschiebt, dann kommt das einem Todesurteil gleich". Die Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid läuft zurzeit.

Bereits 2015 tauchte Yousif, er ist der Cousin eines Ensemblemitglieds, in Yael Ronens am Volkstheater entwickelten Stück Lost and Found auf. Nun erzählt die Regisseurin seine Geschichte und die der anderen Figuren in Gutmenschen weiter.

STANDARD: Wissen Sie vor einer Produktion in etwa, worum es gehen wird?

Ronen: Manchmal weiß ich es, aber manchmal ändert es sich auch.

STANDARD: Sie entwickeln Ihre Stücke zusammen mit dem Ensemble während der Proben. Wie kann man sich den Prozess vorstellen?

Ronen: Am Anfang treffen wir uns und bringen all die Themen auf, die uns interessieren und über die wir gerne etwas sagen würden. Egal ob das private oder politische Angelegenheiten sind. Die ersten Proben schauen also immer mehr nach einem Beisammensein aus als nach etwas anderem. Sobald wir dann aber eine Richtung gefunden haben, beginnen wir gemeinsam zu graben. In unseren eigenen Leben oder indem wir zu Themen recherchieren. Das führt zur Entwicklung einer Storyline, von Charakteren ...

STANDARD: Und dann kommt der Punkt, wo Sie sagen: Ich bin die Regisseurin, so wird's gemacht?

Ronen: Ich würde nicht sagen, dass es einen Moment gibt, in dem meine Rolle umschlägt. Denn es ist immer klar, dass so ein Stück zu entwickeln ein Prozess ist, der jemanden braucht, der ihn anführt.

STANDARD: Diesmal haben Sie beschlossen, eine frühere Arbeit am Volkstheater fortzusetzen. Warum?

Ronen: Das hat mit den Entwicklungen in der wahren Geschichte hinter dem Stück zu tun. Bei einer der ersten Proben kam von den Schauspielern die Idee, das zu machen. Wir haben zwar noch etwas anderes versucht, aber nach einer Woche war die Entscheidung fix. Denn die Ablehnung von Yousifs Asylantrag in erster Instanz hat uns alle überrascht. Und wir wollten neben seiner Geschichte auch verfolgen, was in Österreich in den drei Jahren seit dem Sommer 2015 passiert ist. Ich habe daraufhin einen Text geschrieben, den wir dann zusammen gelesen, verändert, bearbeitet haben.

STANDARD: Österreich hat nun eine Mitte-rechts-Regierung, auch anderswo gibt es diesen Zulauf ...

Ronen: Das ist nicht schwer zu erklären: Da sind zwei Kräfte, die einander auszubalancieren versuchen. Wenn eine sich bewegt, reagiert die andere. Das passiert gerade an vielen Orten auf der ganzen Welt. Diese Entwicklungen haben natürlich nicht nichts miteinander zu tun. Leider ist die Situation in Israel nicht besser. Bis zu einem gewissen Grad ist die Regierung dort schon ein paar Schritte voraus, wenn es darum geht, das Land in ein faschistischeres, weniger demokratisches, rassistischeres zu verändern. Ich hoffe, Europa zieht nicht nach.

STANDARD: Sie stammen aus Israel, Ihre Eltern arbeiten am Theater. War klar, dass Sie selbst einmal dort landen würden?

Ronen: Ja. Es hat mir eine magische Kindheit gegeben. Ich habe es geliebt.

STANDARD: Was lieben Sie heute am Theater?

Ronen: Wenn Theater es schafft zu berühren, kann es neue Gedanken anstoßen. Das ist so, wie wenn man mit einem Menschen spricht.

STANDARD: Ihre Stücke handeln auf oft aberwitzige Weise von ernsten Themen wie Minderheitenproblemen oder religiösen Konflikten. Sie spielen ganz bewusst mit Tabus, übertreten Grenzen dessen, was man politisch korrekt sagen darf. Hilft das bei der Kommunikation?

Ronen: Humor macht einfach Sinn für mich.

STANDARD: So wie das Vermischen von Realität und Fiktion?

Ronen: Ich versuche diesen Mix, weil ich das Gefühl habe, dass es eine Art von Gefahr auf die Bühne bringt. Die Schauspieler können sich nicht hinter Rollen verstecken, wenn sie ihre eigenen Geschichten erzählen. Ich denke, das Publikum merkt das und anerkennt und schätzt es, wenn etwas "Echtes" passiert. Es ist etwas Größeres im Spiel, wenn es zwischen Wahrheit und Fiktion stattfindet. Ich halte das für mich für die aufregendste, passendste und spielerischste Art zu arbeiten.

STANDARD: Sie haben im Dezember einen Europäischen Theaterpreis bekommen – für neue Ansätze im Theater. Bedeutet Ihnen das was?

Ronen: Es meint zumindest, dass meine Arbeit momentan Publikum hat und damit die Möglichkeit, eine Wirkung zu entfalten. Also sollte ich versuchen, das weise zu nutzen.

STANDARD: Zum Beispiel?

Ronen: Auf Roma Armee, das ich zuletzt am Gorki gezeigt habe, bin ich sehr stolz. Ich habe das Stück mit Roma entwickelt, und für die Leute aus der Community fühlt es sich an, dass damit eine Stimme zu Gehör gebracht wird, die bisher nicht gehört wurde. Und die nun Kontrolle über ihre eigene Geschichte hat. Während dieser Arbeit habe ich auch gelernt, wie wichtig es sein kann, als Autorin ein paar Schritte zurückzutreten, um diesen Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Geschichte zu erzählen, und ihnen nicht Worte in den Mund zu legen. Ich habe da gesehen, wie Kunst Kunst bleiben und trotzdem im Dienst von Kräften stehen kann, die in der Welt gehört werden sollten.

STANDARD: Ist "Roma Armee" daher monologischer als andere Stücke?

Ronen: Ja. In Wien habe ich bisher eher Arbeiten mit Charakteren, Dialogen und Szenen gezeigt. Aber andere Stücke von mir arbeiten mehr mit authentischem Material, das die Geschichte bildet.

STANDARD: Es geht bei Ihnen stets um soziale oder politische Außenseiter. Weil die interessanter sind?

Ronen: Weil das meine Position ist. Ich bin immer Außenseiterin. Sicher eine sehr privilegierte, aber das sind die Fakten: Etwa spreche ich nicht richtig Deutsch. Sogar wenn ich es mal schaffe, wird das Zugehörigkeitsgefühl nicht so tief sein. Das gibt mir vielleicht einen besseren Blick auf die Ränder. (Michael Wurmitzer, 8.2.2018)