Gottwald war auch fleißiger Medaillensammler.

Foto: APA/BARBARA GINDL

STANDARD: Skifahrer Felix Neureuther fürchtet um die Zukunft der Spiele. Es gehe nur mehr um Gigantismus, Korruption, Geld und Gier, die Sportler verkommen zu Randfiguren. Hat er recht?

Gottwald: Er hat nichts Neues gesagt, natürlich hat er recht. Jeder, der auch nur am Rande mit dem IOC zu tun hat, ist besorgt. Ich hoffe und glaube, dass sie wissen, dass der Hut brennt.

STANDARD: Das IOC kassiert alleine aus den Fernsehrechten in den USA bis ins Jahr 2036 von NBC knapp acht Milliarden Dollar. Die Athleten werden mit Peanuts abgespeist. Kann das gutgehen?

Gottwald: Es geht eh nimmer gut. Das IOC muss sich die Frage stellen, wie viel genug ist. Ich war bei fünf Spielen als Teilnehmer und einmal bei der Bewerbung von Salzburg involviert. Was du bei der Bewerbung mitkriegst, willst du gar nicht mitkriegen. Am Tag vor der Abstimmung kommt halt Herr Putin in einer Transportmaschine angeflogen, verzieht sich mit zehn wichtigen IOC-Mitgliedern in eine Suite, und schon bist du Zweiter.

STANDARD: Sotschi 2014, jetzt Pyeongchang, 2022 Peking. Nicht gerade Wintersportklassiker. Wer zahlt, bekommt die Spiele, oder?

Gottwald: Es schaut so aus. Man darf die Winterspiele aber nicht überbewerten, entscheidend sind Sommerspiele, das sind die wirklichen Maschinen. Der Winter ist nur ein Beiwagerl. Aber vielleicht ist gerade das eine gute Gelegenheit, um eine Richtungsänderung einzuleiten. So könnte die Bewerbung von Graz und Schladming wirklich ein Thema werden. Aber nur dann, wenn eine Rückbesinnung im Sinne des IOC ist. Früher waren Spiele etwas Besonderes, weil dieser Aufwand an Sportübertragungen außergewöhnlich war. Mittlerweile hast du das jedes Wochenende. Abgesehen davon ist Fernsehen bei der jungen Generation out. Man muss schauen, wie man die Jugend in den olympischen Geist integriert.

STANDARD: Es ist Fakt, dass die Bevölkerung in klassischen Winterzentren gegen die Austragung von Spielen ist. Zuletzt hat Tirol eine Bewerbung abgelehnt. Warum?

Gottwald: Die Antwort darauf ist so komplex wie die Bewerbung selbst. Ich halte nichts davon, in so einem komplexen Ablauf die Bevölkerung fast zu belästigen. Es gehen immer nur die hin, die reflexartig dagegen sind. Die Befragung mit einer Wahl zu koppeln, war auch nicht gerade ideal. Bei der Fragestellung wird jeder misstrauisch. Man sollte der Politik etwas zutrauen. Das Argument, man könnte das Geld vernünftiger einsetzen, ja eh. Aber das Geld hat man dann nicht, du kriegst es einfach nicht. Es werden stattdessen keine Krankenhäuser gebaut.

STANDARD: Sind die olympischen Ideale vom Frieden, von der Völkerverbindung, vom Dabeisein maximal Restromantik?

Gottwald: Die Werte sind, abgesehen davon, dass Sport eine geniale Lebenserfahrung ist, okay. Was das IOC an die Fassade heftet, kann man unterschreiben. Die Frage ist, was helfen die Werte an der Wand, wenn sie in der kleinsten Zelle nicht gelebt werden? Dann sind sie nur ein Plakat.

STANDARD: Würde Sie IOC-Chef Thomas Bach um Rat fragen, was würden Sie ihm sagen?

Gottwald: Ich hatte sogar schon ein Gespräch mit ihm. Er ist einer, der zumindest so tut, als würde er interessiert zuhören. Er weiß, dass Handlungsbedarf herrscht. Eine Verjüngungskur allein reicht nicht aus. Wie schafft man es, den riesigen Ballon, den man aufgeblasen hat, wieder schrumpfen zu lassen? Denn irgendwann platzt der Ballon. Die eigentliche Disziplin für Athleten bei Spielen ist, diesen Irrsinn auszublenden. Das ist skurril. Du bereitest dich ein Leben lang vor und dann das. Dabei sein ist natürlich nicht alles, die Medaille ist das Ziel, eigentlich zählt nur Gold. Das ist ein Abbild unserer Gesellschaft. Eigentlich schade. Das IOC hat übersehen, dass die größte Wirkung immer von etwas Kleinem, Bescheidenem ausgeht. Es ist eine Frage der Dosis, das IOC hat überdosiert.

STANDARD: Apropos Dosis. Inwieweit ist Doping ein unlösbares Problem? Gerichte entscheiden, wer starten darf.

Gottwald: Doping ist ein Problem und auch ein Spiegelbild. Ich warne aber vor Pauschalverurteilungen. Die Idee einer Abkürzung ist immer verlockend, aber es geht sich nicht aus. Langfristig bewährt sich die Ehrlichkeit, davon bin ich überzeugt.

STANDARD: Sie sind der erfolgreichste österreichische Teilnehmer. Inwiefern haben die Spiele Ihr Leben geprägt, verändert?

Gottwald: Ich habe unlängst die Goldmedaillen aus der Kiste genommen. Für ein Video. Die Medaillen an sich sind nicht so entscheidend, sie sind ein Symbol. Die Wegstrecke dorthin ist das Wertvolle. Das ganze Leben ist eine Vorbereitung auf das, was kommt. Die große Kunst ist, einer Beschäftigung nachzugehen, bei der dir das Herz aufgeht. Das müssen auch Olympiasieger tun. Ich hatte nie eine Leere, orientierte mich neu. Veränderung ist ein menschliches Bedürfnis. Ich war nie ein Egomane. Ich bin froh, meine Erfahrungen weitergeben zu dürfen. Ich hatte als Leistungssportler immer ein Team, ich war nur ein Teil davon. Marcel Hirscher hat das allerbeste Team hinter sich, allein wäre er nie so weit gekommen.

STANDARD: Wie verfolgen Sie die Spiele? Stellen Sie den Wecker?

Gottwald: Nein, viele Bewerbe sind eh am Vormittag. Ich verfolge es, aber mein Tagesablauf richtet sich nicht nach den TV-Übertragungen. Ich gehe mit meinen zwei kleinen Kindern selbst gerne an die frische Luft. (Christian Hackl, 9.2.2018)