Nicola Werdenigg: "Ich habe das Richtige getan. Daran hatte ich zu keinem Zeitpunkt Zweifel. Die Welle ist mir nie zu groß geworden."

Foto: Standard/Corn

Über die Vorwürfe gegen Charly Kahr: "Ich bin jetzt nicht weiß Gott wie überrascht. Die Jüngeren haben sich vor ihm in Acht genommen, ich bin ihm aus dem Weg gegangen."

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STANDARD: Sie haben vergangenen November mit Ihrem Bericht über Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt im Skisport der Siebzigerjahre eine bis heute anhaltende Diskussion ausgelöst. Haben Sie mit derartigen Folgen gerechnet?

Werdenigg: Diese Dynamik habe ich nicht erwartet. Durch die anfängliche, ungeschickte Reaktion des ÖSV ist die Sache erst richtig ins Rollen gekommen. Die Äußerungen haben einige Menschen bewogen nachzuziehen. Aus einem Schneeball wurde eine Lawine.

STANDARD: Ihre Behauptungen standen zunächst im leeren Raum. Ihre Aussagen wurden angezweifelt. Mittlerweile hat sich das Bild verfestigt. Vor allem bezüglich Ihrer Vorwürfe gegen die damalige Leitung der Skihauptschule Neustift. Sind Sie erleichtert?

Werdenigg: Es ist ambivalent. Ich bin einerseits froh, dass meine Glaubwürdigkeit bestätigt wurde. Auf der anderen Seite bin ich erschüttert. Es haben sich viele Menschen bei mir gemeldet, mehr als ich erwartet hatte. In Neustift muss es schlimmer gewesen sein, als ich es zunächst dargestellt hatte. Es tut mir für alle Betroffenen unendlich leid, dass diese Übergriffe vorgefallen sind.

STANDARD: Neben der positiven Resonanz gab es auch einige Anfeindungen. Sie wurden in den sozialen Medien beleidigt. Haben Sie den Schritt an die Öffentlichkeit jemals bereut?

Werdenigg: Ich habe das Richtige getan. Daran hatte ich zu keinem Zeitpunkt Zweifel. Die Welle ist mir nie zu groß geworden. Ich habe den Schritt vom Opfer zu einer nicht leidenden Betroffenen längst vollzogen. Es wurden keine alten Wunden aufgerissen, ich habe emotional mit den Vorfällen abgeschlossen. Insofern konnten mir auch die negativen Stimmen nichts anhaben. Ich bin gefestigt genug.

STANDARD: Der Verband zog sich bisher auf die Position zurück, dass er mit all dem nichts zu tun hätte. Nun wirft eine ehemalige Rennläuferin der Trainerlegende Charly Kahr in der "Süddeutschen Zeitung" eine Vergewaltigung vor. Welche Reaktion erwarten Sie vom ÖSV?

Werdenigg: Der Verband sollte sich seiner Geschichte stellen, Verfehlungen aufarbeiten und der Aufklärung dienen. Er sollte die Betroffenen schützen, Worte der Entschuldigung und Versöhnung finden. Natürlich kann man Präsident Peter Schröcksnadel nicht für die Taten von damals verantwortlich machen. Er betont aber immer, auf der Seite der LäuferInnen zu stehen. Es wäre schön, wenn er sich auch auf die Seite der ehemaligen SportlerInnen stellen würde. Das wäre ein Zeichen.

STANDARD: Haben Sie damit gerechnet, dass es auch gegen Kahr zu Vorwürfen kommen könnte?

Werdenigg: Ich bin jetzt nicht weiß Gott wie überrascht. Einer der in der "Süddeutschen Zeitung" beschriebenen Übergriffe ist mir seit damals bekannt. Er ist immer besonders rau und unsensibel in Erscheinung getreten, nicht nur gegenüber Frauen. Die Jüngeren haben sich vor ihm in Acht genommen, ich bin ihm aus dem Weg gegangen.

STANDARD: Mit diesen nun auftauchenden Vorwürfen wird das Bild des systemimmanenten Machtmissbrauchs in den Siebzigern noch schärfer gezeichnet.

Werdenigg: Diese geradezu selbstverständlichen Übergriffe konnten und können nur in Strukturen passieren, die in sich geschlossen sind. Der Sport und gerade der Sport der Nachkriegszeit hat diese Auswüchse begünstigt. Mit seinen Idolen, mit seinen Inszenierungen, mit der Verflechtung zwischen Politik und Sport. Insbesondere der Skisport wurde zur nationalen Angelegenheit erhoben.

STANDARD: Ein Unrechtsbewusstsein scheint es damals kaum gegeben zu haben. Wie erklären Sie sich diesen Zustand?

Werdenigg: Übergriffe und Sexismus waren damals selbstverständlich. Man kannte nichts anderes, auch für Frauen war dieser Zustand weitgehend normal. Wenn man einer Kellnerin in den Sechzigern auf den Hintern griff, war das im Grunde eine Freundlichkeit, etwas Männliches. Die Kultur hat Dinge erlaubt, die heute nicht mehr durchgehen. Auf diesem Nährboden konnte auch Schlimmeres passieren.

STANDARD: Sie haben mit #WeTogether eine Initiative gegen Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt im Sport gegründet. Was muss als Nächstes getan werden, um Übergriffe in Zukunft zu vermeiden?

Werdenigg: Forschung ist eine wesentliche Grundlage der Präventionsarbeit. Mit neuen Erkenntnissen kann man auch Maßnahmen setzen. Sportminister Hans Peter Doskozil hatte in den letzten Tagen seiner Amtszeit eine Studie zu sexualisierter Gewalt angekündigt. Beauftragt wurde sie bis heute nicht. Nun ist sein Nachfolger Heinz-Christian Strache am Zug, ich werde mich am 27. Februar mit ihm zusammensetzen. Die Täter bloß zu bestrafen und wegzusperren wird auf Dauer zu wenig sein. (Philip Bauer, 9.2.2018)