Neben Ärztekontrollen ist die Überprüfung von Patienten eine Maßnahme, die Missbrauch verhindern soll.

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Wien – Seit Beginn der Woche sorgt eine Häufung gleichzeitig krankgemeldeter Arbeitnehmer beim oberösterreichischen Elektronikunternehmen Technosert für Aufregung. Zwölf Mitarbeiter gingen nach einer Überstundenanordnung kurzfristig in Krankenstand. Zehn von ihnen wurden gekündigt, zwei verließen das Unternehmen von sich aus. Das Ganze wurde von der Wirtschaftskammer Oberösterreich publikgemacht, die sich mehr Sensibilität bei dem Thema wünscht.

Die Beschwerden von Unternehmen, die gefakte Krankmeldungen beklagen, hätten sich in den letzten Jahren gehäuft, so Erhard Prugger von der Wirtschaftskammer Oberösterreich. Zuletzt seien es drei bis fünf Unternehmen am Tag gewesen, die Zweifel an der beeinträchtigten Gesundheit von Arbeitnehmern gehabt hätten. Womit indirekt auch die Frage aufgeworfen wird, ob die Ärzte beim Krankschreiben zu lax agieren.

Eine einfache Antwort darauf gibt es allerdings nicht. Das hängt schon damit zusammen, dass sich Krankheiten nicht immer objektiv feststellen lassen. Klage ein Patient über Kopf- oder Bauchweh, könne kaum festgestellt werden, ob die Schmerzen echt sind, heißt es aus der oberösterreichischen Krankenkasse. Sie hat sich mit dem aktuellen Fall nicht befasst, wie ein Sprecher betont. Ob der Enns schickt die Krankenkasse auch keine Testpatienten zu Ärzten, um deren Praxis auf Fehlverhalten zu prüfen.

Diagnose manipuliert

Anders ist die Situation in Wien, wo diese Form des Mystery-Shoppings sehr wohl durchgeführt wird, wenngleich in überschaubaren Dosen. Zwölf Ärzte erhielten in den letzten sieben Jahren Besuch von fünf bis zehn Scheinpatienten. In allen Fällen wurden Verfehlungen festgestellt, wie Franz Schenkermayr von der Wiener Gebietskrankenkasse erläutert. Allerdings erhielten nur Mediziner Besuch, bei denen zuvor schon ein Verdacht gegeben war. Auch Schenkermayr spricht von Einzelfällen, die allerdings gravierend sein können.

So hätten Ärzte die vom Testpatienten vorgeschlagene Diagnose abgeändert, damit keine Zweifel entstehen. Es gab auch Fälle, in denen die Mystery-Shopper klar sagten, dass die Krankschreibung erfolgen soll, weil der Urlaub verbraucht war. Dennoch wurde das gewünschte Attest ausgestellt. Was ebenfalls zu Beanstandungen führte: Patienten ersparen sich die Wartezeit, indem die Krankmeldung über Ordinationsgehilfen beschafft wurde.

Mehrere Krankheitsfälle sind plausibel

Fälle wie der aktuelle in Oberösterreich ließen sich dennoch nicht verhindern, meint Schenkermayr, auch wenn sie auf den ersten Blick auffällig erscheinen. Wenn mehrere Personen aus einem Betrieb die gleichen Beschwerden angeben, sei deren Echtheit sogar plausibler. Magenverstimmung oder Grippe nennt der Experte als Beispiele für Erkrankungen, die in einem Betrieb rasch die Runde machen können.

Neben den Ärztekontrollen sind die Überprüfungen von Patienten eine Maßnahme, die Missbrauch verhindern sollen. Besonders genau nimmt man es damit in Tirol, wie der dortige Krankenkassenchef Arno Melitopulos erklärt. 150.000 Vorladungen und Kontrollen von Patienten vor Ort gab es im Vorjahr. Damit werde jeder dritte Krankenstand überprüft. Ausgesucht werden die Kontrollierten nach klaren Indikatoren wie Art der Erkrankung und deren Verlauf, daraus ließen sich auch Rückschlüsse auf Verfehlungen von Ärzten schließen. Klarerweise würden etwa Krebspatienten nicht vorgeladen, so Melitopulos. Mystery-Shopping bei Ärzten gibt es in Tirol bis dato nicht, Stichproben existieren aber sehr wohl.

Nach den Worten des Kassenchefs gab es bei Krankschreibungen noch nie systematischen Missbrauch. Er umreißt die Praxis so: "Bei manchen Ärzten ist die Schwelle niedriger, bei manchen höher." Von den engmaschigen Kontrollen gehen laut Melitopulos positive Effekte aus: "Wenn der Arzt weiß, dass ein Drittel der Patienten kontrolliert wird, hat das generalpräventive Wirkung."

"Gefälligkeiten"

Auch die Wirtschaftskammer Österreich sieht keine flächendeckenden Missstände bei dem Thema, wie Sozialpolitikexperte Martin Gleitsmann meint, verschiedene Einzelfälle seien aber sehr wohl ein "großes Problem". "Gefälligkeiten" der Ärzte bei Krankenstandsbescheinigungen müssten die Kassen konsequent nachgehen, fordert er. Nach Kündigungen verzeichne man besonders oft Krankenstand. Der Verbrauch des Urlaubs ruht dann.

Und wie sehen die Ärzte die fallweise geäußerte Kritik? Edgar Wutscher, Vertreter der niedergelassenen Ärzte, räumt Defizite ein. "Es gibt Kollegen, die leichtfertig krankschreiben", meint er. Für den Großteil der Ärzte lege er aber die Hand ins Feuer. Vor Kontrollexzessen warnt er eindringlich. Methoden wie Mystery-Shopping seien "völlig unsinnig. Ärzte werden damit als Gauner abgestempelt, das Vertrauen zwischen Patient und Mediziner wird erschüttert", macht der Standesvertreter unmissverständlich klar. (Andreas Schnauder, 14.2.2018)