Ein Wissenschafter in den Laboratorien von Padax, dem weltweit tiefsten Untergrunddetektor für Dunkle Materie. China investiert massiv in gigantische Forschungsprojekte.

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"China holt merkbar auf in der Wissenschaft", sagt Xiaohui Zhang. "Der akademische Austausch wird immer mehr zum Normalfall. Es gibt finanzielle Unterstützung von der Regierung, damit wir an den besten Laboratorien mit den angesehensten Forschern der Welt arbeiten können." Zhang hat Glück, er gehört zur künftigen wissenschaftlichen Elite Chinas. Er ist Doktorand am Department für Elektrotechnik an der Tsinghua-Universität in Peking, einer der selektivsten und renommiertesten Universitäten Chinas. An der School of Economics und Management derselben Uni forscht Zhijia Tan. "In den letzten Jahren haben sich die Forschungsmethoden stark geändert. Es gibt viel mehr Lehrmaterialien als früher", sagt sie.

Tan und Zhang haben es nicht nur an eine der besten Unis Chinas geschafft. Ihr Ehrgeiz auf einem ganz anderen Gebiet, nämlich dem Tanz, hat sie nach Wien gebracht. Die beiden Jungforscher wurden als einziges Tanzpaar ausgewählt, um ihre Universität bei einem exklusiven China-Ball zu vertreten, der im Jänner in der Wiener Hofburg stattfand.

Zhijia Tan (links) und Xiaohui Zhang sind Jungforscher an einer der renommiertesten Universitäten China. Der Tanzsport hat sie nach Wien gebracht.
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Unter den Augen von 500 geladenen (und hauptsächlich aus China angereisten) Gästen eröffneten Paare aus fünf chinesischen Top-Unis gemeinsam mit Tänzern aus ebenso elitären britischen und US-Unis (Stanford, Harvard, Oxford et cetera) einen klassischen Wiener Ball. Federführend organisiert wurde der Event von der Chinese Ballroom Dance Federation, dem größten Tanzsportverband der Welt – der dem chinesischen Kulturministerium untersteht. Um in die an den Unis angebotenen Kurse zu kommen, nehmen die Studierenden strikte Aufnahmeprüfungen und intensives Training in Kauf.

Eine Veranstaltung wie der Wiener Ball wird als willkommene Gelegenheit gesehen, um die Öffnung der chinesischen Gesellschaft und insbesondere der Wissenschaft zu demonstrieren – was angesichts der geschlossenen Ballgesellschaft etwas bizarr anmutet.

Output an Papers steigt rasant

Während im Ausland mit "Soft Power" versucht wird, das Image Chinas aufzubessern, wird im Land selbst mit allen Mitteln versucht, den programmierten Aufstieg zur neuen Wissenschaftsweltmacht zu forcieren. Chinesische Forscher erobern die Rankings der meistzitierten Wissenschafter und schließen im Eiltempo zu den Forschungsnationen USA und Großbritannien auf, wie ein Blick auf die renommierte Liste der Highly Cited Researchers zeigt.

Der rasant ansteigende Output an wissenschaftlichen Papers – die bedeutendste Währung am internationalen Wissenschaftsmarkt – hänge auch mit neuen Publikationsstrategien zusammen, sagt Susanne Weigelin-Schwiedrzik, Sinologin an der Uni Wien: "Es gibt eine immer größere Zahl von frei zugänglichen Open-Access-Publikationen, die in China herausgegeben werden und primär mit chinesischen Gutachtern besetzt sind. Sie ermöglichen chinesischen Forschern, auf Englisch zu publizieren. Damit hat der Einfluss auf internationale Publikationsmechanismen schlagartig zugenommen." Dabei bleibt die Qualität oft hinter der Quantität zurück.

Große Budgets statt Brain-Drain

Hinter dem Wandel in der chinesischen Wissenschaft steckt auch die staatliche Strategie, den langjährigen Brain-Drain abzustellen und China als Forschungsnation attraktiv zu machen. Mit Erfolg, wie Weigelin-Schwiedrzik sagt: "Chinesische Studenten, die im Ausland studieren, brauchen heute nicht mehr überredet werden zurückzukehren. Im Gegenteil, in China erwartet sie insbesondere in den Naturwissenschaften eine Forschungssituation, von der etwa die Uni Wien in puncto Budgets, Geräte- und Personalausstattung nur träumen kann."

Die größte Hochschulnation der Welt investiert massiv in Unis, Bibliotheken und Forschungseinrichtungen – der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am BIP liegt mit 2,1 Prozent im Jahr 2016 bereits höher als im EU-Schnitt. Allerdings geht nur ein kleiner Bruchteil von etwa fünf Prozent der Gesamtausgaben in die Grundlagenforschung. Damit zeigt sich ein Dilemma hinter der chinesischen Wissenschaftsrevolution: Es wird enormes Kapital in megalomanische Forschungsprojekte gesteckt – etwa in das größte Radioteleskop der Welt namens Fast, das weltweit tiefste Untergrundlaboratorium Pandax zur Detektion von Dunkler Materie und das weltgrößte Quantenkommunikationsnetzwerk, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Wenig Geld für Grundlagenforschung

Bahnbrechende Durchbrüche blieben bisher aber aus, wie Staatschef Xi Jinping höchstpersönlich moniert – selbst bei Kerngebieten wie der Genschere Crispr/Cas 9, wo China massiv vorprescht, muss man auf die Arbeiten der internationalen Kollegenschaft zurückgreifen. Schließlich liegt der Anspruch der chinesischen Führung klar darin, dass die Wissenschaft den holprigen Weg Chinas von der größten Werkstatt der Welt zum Innovation-Leader ebnen und möglichst schnell Anwendungen für die Wirtschaft bereitstellen soll – das spießt sich mit den langfristigen und oft unvorhersehbaren Arbeiten der Grundlagenforschung.

"Mit Geld allein kann man Kreativität und die dafür nötigen Freiheitsräume nicht erkaufen", drückt es Hannes Androsch, Vorsitzender des österreichischen Rats für Forschung und Technologieentwicklung, aus. Die akademische Öffnung geht Hand in Hand mit verstärkter inhaltlicher Kontrolle. Seit Xi Jinpings Antritt als Parteichef 2012 weht Wissenschaftern ein kälterer Wind entgegen. "Es gibt Einschränkungen, was unterrichtet und was publiziert werden darf, es wird von obersten Parteikadern entschieden, wer an welchen internationalen Konferenzen teilnehmen darf", sagt Weigelin-Schwiedrzik. "Wer sich nicht daran hält, muss mit Konsequenzen rechnen – Verträge werden nicht verlängert, Institute geschlossen."

Strikte staatliche Kontrolle

Das betrifft insbesondere die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften, wo die Maxime gilt, dass ein zu großer Einfluss westlicher Lehr- und Forschungsstandards der ideologischen Orientierung chinesischer Studierender nicht zuträglich sei. Erst im November blockierte der deutsche Verlag Springer Nature auf Druck der chinesischen Regierung 1.000 wissenschaftliche Onlineaufsätze, in denen unliebsame Schlagwörter wie Taiwan, Tibet oder Kulturelle Revolution auftauchten. "Die staatliche Kontrolle ist wesentlich strikter als in den 1980er-Jahren", sagt Weigelin-Schwiedrzik. Das mache sich auch in der Arbeitsweise bemerkbar: "Wir sehen bei chinesischen Studenten, dass sie sich schwertun, eine Theorie nicht nur zu verstehen, sondern auch weiterzudenken."

Die eingeschränkte wissenschaftliche Freiheit tut jedoch den großen Anstrengungen, den Weltmarkt in kürzester Zeit mit Elektroautos, Drohnen, Supercomputern und künstlicher Intelligenz zu erobern, keinen Abbruch. Auch wenn sich durch die Widersprüche im Wissenschaftssystem nicht alles so leicht realisieren lasse, wie auf dem Reißbrett entworfen, müssten sich die USA und Europa "was einfallen lassen angesichts dieses Konkurrenzdrucks", sagt Androsch. "Die EU-Budgets für Forschung sind lächerlich im Vergleich zum Sozialprodukt."

Wettrennen um die besten Köpfe

Im Wettrennen um die besten Köpfe in der Wissenschaft ist China längst zum Spitzenreiter geworden – und ist in manchen Dingen der Topforschungsnation USA ähnlicher, als man denkt: Auf beiden Seiten des Pazifiks ist die Reputation der Hochschule, die man besucht hat, Gold wert. "Vor allem jüngere Wissenschafter werden strikt an Reputationskriterien hochgezogen", sagt Weigelin-Schwiedrzik.

Die wachsende chinesische Mittelklasse setze alles daran, ihren Sprösslingen vom börsennotierten Kindergarten an bis zur hochklassigen Uni eine glänzende Karriere zu garantieren. Durch die Öffnung des Hochschulsystems wird das Land mit Absolventen aus den mehr als 2.500 Unis überschwemmt, viele landen in unterqualifizierten Jobs. Das wird Xiaohui Zhang und Zhijia Tan kaum passieren. "Wir studieren an einer Top-Universität", sagt Zhang selbstbewusst. "Darüber, ob ich einen Job finde, mache ich mir keine Sorgen." (red, 17.2.2018)