Collage: Magdalena Rawicka

Alex Stranig (r.) rettet Leben, dokumentiert das und hält sich an die Schweigepflicht. Alex Stranig (l.) geht essen, schreibt darüber und teilt es mit der Welt.

Foto: Alex Stranig

Was passiert, wenn wir unsere Kreditkarten vertauschen? Erspart man sich die Umbuchungsgebühr, wenn der eine den Flug des anderen antritt? Und wem werden die Punkte gutgeschrieben, wenn beide eine Treuekarte bei Peek & Cloppenburg haben? Diese und andere Fragen gehen mir durch den Kopf, während ich in einem Coffeeshop direkt am Salzburger Hauptbahnhof zum ersten Mal meinem Namensvetter in persona gegenübersitze. Es fühlt sich an, als träfe man seinen lange vermissten Zwilling. Den Zwilling, der einem so gar nicht ähnlich sieht – aber eben auch Alex Stranig heißt. Es stellte sich heraus, nicht nur der Name ist gleich, auch der berufliche Werdegang der beiden Stranigs verlief ähnlich. Beide waren beim Roten Kreuz. Der eine in Salzburg, der andere in Kärnten. Beide sind diplomierte Krankenpfleger. Der eine arbeitet noch immer im Krankenhaus, der andere schon lange nicht mehr. Es fanden sich noch weitere Gemeinsamkeiten.

STANDARD: Hallo, Alex Stranig!

Alex Stranig: Ja, ebenfalls!

STANDARD: Magst du auch einen Kaffee? Dann nehme ich dir einen mit!

Stranig:Ja, gerne – Espresso schwarz. (Gute Wahl! Der Mann hat Geschmack.)

STANDARD: Den nehme ich auch. Du arbeitest auf einer neurologischen Notfallambulanz – da trinkt man wahrscheinlich viel Kaffee, um die Nachtdienste zu überstehen. Wie geht es dir damit, zu arbeiten, wenn andere schlafen?

Stranig: Ich mache eigentlich ganz gern Nachtdienste. In der Nacht herrscht eine ganz eigene Stimmung auf einer Ambulanz. Es gibt nicht so viele Routinearbeiten. Hast du nicht den gleichen Job gemacht? Das musst du ja kennen?

STANDARD: Ja, ist zwar schon lange her, als ich im Wiener AKH gearbeitet habe, aber die Nachtdienste sind mir noch in schlimmer Erinnerung.

Stranig: Warum das?

STANDARD: Entweder war ich so müde, dass ich nur schlafen wollte, oder meine Freunde waren unterwegs und haben mir Bilder geschickt, die mich neidisch machten. (Eigentlich haben mich eher die nervtötenden Alarmgeräusche der Herzmonitore wahnsinnig gemacht. Darf man das sagen?)

Stranig: Darum bist du Journalist geworden?

STANDARD: Nicht nur. Ich habe gemerkt, dass ich besser sprechen und schreiben kann als Blut abzunehmen und Infusionen anzuhängen. (Man nannte mich auch Florence Nightingales böse Schwester.) Was reizt dich an dem Job so? Die überdurchschnittliche Nächstenliebe?

Stranig: Nicht nur. Ich mag auch die Adrenalinausschüttung bei einem Notfall auf der Ambulanz. Außerdem ist es schön zu sehen, dass man in kurzer Zeit beim Patienten eine Verbesserung des Zustands sieht. Man hat viele Erfolgserlebnisse, und es freut mich, wenn ich beispielsweise einen Schlaganfallpatienten am nächsten Tag wiedersehe und es ihm wesentlich besser geht.

STANDARD: Die Ambulanz scheint der perfekte Arbeitsplatz für dich zu sein?

Stranig: Auf jeden Fall. Ich war vorher im OP. Das war schon aufgrund der 24-Stunden-Dienste ziemlich nervig.

STANDARD: Ich erinnere mich an meinen ersten Praktikumstag im OP. Der Chirurg wollte AC/DC während der Operation hören, und ich musste blutige Baumwolltücher abzählen, damit keines im Bauchraum vergessen wird. Das war nicht sehr prickelnd. (Außerdem will man nie wieder selbst operiert werden, wenn man weiß, wie es in einem OP zugeht.)

Stranig: Ja, im OP erlebt man immer wieder skurrile Dinge. (lacht)

STANDARD: Ich war übrigens auch lange Zeit beim Roten Kreuz als Rettungssanitäter. Du machst das immer noch neben deinem Job. Warum?

Stranig: Als Jugendlicher war das Fahren mit Blaulicht schon extrem lässig. Heute geht es vor allem um die Kameradschaft, und ich kann mein Know-how aus dem Krankenhaus hier auch einbringen. Wie war es bei dir?

STANDARD: Ganz ähnlich. Nachdem ich erfolglos versucht habe, bei der freiwilligen Feuerwehr Fuß zu fassen, ging ich als Jugendlicher zum Roten Kreuz. (Ich habe mal bei einem Auto das falsche Pannendreieck mit der Aufschrift "Explosionsgefahr" aufgestellt. Kam nicht gut an.) Bleibt neben Job und Rettung überhaupt noch Zeit für eine Beziehung?

Stranig: Meine Partnerin müsste sehr tolerant sein, weil ich viel unterwegs bin. Bis jetzt hat das nicht so gut funktioniert.

STANDARD: Gut, dass ich in meiner Freizeit fast nur essen gehe – das kann man auch zu zweit machen.

Stranig: Sonst hast du keine Hobbys?

STANDARD: Doch, aber ich bin in keinem Verein oder so. Ich gehe im Winter oft in die Sauna, weil ich denke, dass es gut für das Immunsystem ist. (Eine Grippe hab ich trotzdem bekommen.) Im Sommer verbringe ich viel Zeit am Wasser. Ich habe ein Wasserskiboot auf der Donau. (Klingt das jetzt protzig?)

Stranig: Oh, cool. Das erinnert mich an unsere Familienurlaube am Millstättersee. Ich finde Wasser auch super. Und rund um Salzburg gibt es auch einige Seen.

STANDARD: Aber fürs Schwimmen hast du ja eh kaum Zeit, oder?

Stranig: Doch, das geht schon. Ich finde sogar noch Zeit für die Loretto-Gemeinschaft.

STANDARD: Was ist das?

Stranig: Das ist ein katholischer Verein, den es mittlerweile in ganz Österreich gibt. Wir wollen weg von dem verstaubten Image der Kirche. Es geht mir um den lebendigen Glauben. (Hier hätten wir die erste Nichtgemeinsamkeit.)

STANDARD: Das heißt, du gehst wahrscheinlich oft in die Kirche?

Stranig: Ja, regelmäßig am Sonntag. Du nicht?

STANDARD: Nein. Ich glaube, das letzte Mal war ich bei der Taufe meines Patenkindes in der Kirche. Aber ich war Ministrant bei mir zu Hause in Velden am Wörthersee. Als Kind ging es mir aber vor allem um die Bühne. Ich meine, wer hat schon jeden Sonntag einen Auftritt vor vollem Haus? Davon können viele Künstler in Österreich nur träumen.

Stranig: Hättest du dann nicht lieber Schauspieler oder Rockstar werden sollen?

STANDARD: Ja, aber meine großartige Präsentation von "Peer Gynt" hat die Verantwortlichen des Konservatoriums nicht überzeugt.

Stranig: Und wie bist du dann nach deiner Karriere im Krankenhaus Journalist geworden?

STANDARD: Mit 24 Jahren begann ich nach einigen Aus- und Weiterbildungen als Sprecher und Radiomoderator zu arbeiten. Dann war ich drei Jahre in Deutschland und hab beim Fernsehen angeheuert, bevor es mich wieder zurück nach Wien zog. (Vielleicht sollte ich jetzt meine Sprecher-Skills zeigen?)

Stranig: Also hattest du ein bisschen Bühne sozusagen.

STANDARD: Ja, genau. Beim Schreiben kann man sich aber intensiver mit einem Thema beschäftigen als im Radio oder Fernsehen. Das macht Spaß. Vor allem wenn man sich so ein schönes Ressort aussucht wie Essen und Trinken. (Okay, die Telefonbandschleifen meiner Freunde muss ich noch immer besprechen.)

Stranig: Wahrscheinlich reist du auch viel. Was war für dich kulinarisch das spannendste Land, in dem du warst?

STANDARD: Das kann ich so gar nicht sagen, weil fast jedes Land irgendetwas Spannendes hat. Essen ist für mich immer Emotion. Wenn jemand ein ursprüngliches Essen in seinem Land für mich zubereitet, finde ich das großartig. Kochst du?

Stranig: Ja, aber meistens einfache Sachen. Am liebsten koche ich Eintöpfe.

STANDARD: Eintöpfe zu kochen hat auch etwas Meditatives, finde ich. (Wer braucht schon Yoga, wenn er Eintopf kochen kann?)

Stranig: Ja, das stimmt. Durch deinen Job kannst du wahrscheinlich auch gut kochen. Was ist das Beste an deinem Beruf?

STANDARD: Es ist ein Irrglaube, dass Gastrojournalisten gut kochen können – so wie Medizinjournalisten meistens keine Operation durchführen können. Aber ich glaube, ich koche ganz okay. Das Beste an meinem Job ist, dass ich viele außergewöhnliche Menschen kennenlerne, die für ihre Sache brennen. Das können Köche oder Produzenten sein, aber auch Feinkosthändler oder Barkeeper. Nachdem ich als Sohn eines Fleischhauers sehr oft beim Schweineschlachten mithelfen musste, habe ich eine Zeitlang kein Fleisch gegessen. Heute esse ich es sehr gern. Und das kann man auch, wenn man auf die Qualität achtet.

Stranig: Um Qualität geht es wahrscheinlich auch bei deinen Lokaltests. Wenn du über ein neues Lokal schreibst, was ist das Schwierigste daran?

STANDARD: Schlimm ist es, wenn einfach nichts hinhaut beim Essen. Das tut mir dann leid, weil ich weiß, dass die Betreiber viel Herzblut, Energie und Geld in das Lokal gesteckt haben.

Stranig: Und dann schreibst du einen Verriss?

STANDARD: Na ja, wenn ich kaum etwas Positives finde, suche ich mir lieber ein anderes Lokal. Es sei denn, dieses Restaurant hat eine Relevanz. (Lokaltester, die eine Freude daran haben, Gastronomen fertigzumachen, sind mir suspekt.)

Stranig: Warum das?

STANDARD: Ich finde, eine Lokalkritik sollte einen Mehrwert für den Leser haben. Schließlich will man wissen, wo man gut essen kann – und nicht, wo es richtig schlecht ist. Man kommt ja nicht in ein Lokal und benimmt sich wie Anton Ego im Film "Ratatouille". Ich weiß, dass viele sich den Job eines Gastrojournalisten so vorstellen.

Stranig: Aber cool, dass du immer gratis essen gehen kannst. Wirst du da eingeladen?

STANDARD: Nein! Sobald man eingeladen wird, ist man nicht mehr objektiv. Außerdem nehme ich immer Freunde mit zum Essen, weil ich so viel wie möglich probieren möchte aus der Karte.

Stranig: Deine Freunde müssen sich wahrscheinlich nicht lange überreden lassen.

STANDARD: Nein. Aber sie müssen die Gerichte essen, die ich für sie bestelle. Es ist interessant, dass sie die Dinge aus einem anderen Blickwinkel betrachten wie ich.

Stranig: Das ist ja wie bei mir mit dem Glauben! (lacht)

STANDARD: Ja, genau! Vielleicht ist Essen meine Religion. (Alex Stranig, RONDO, 23.2.2018)

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