Auf Ämtern und Behörden sind von Armut Betroffene immer wieder mangelnder Wertschätzung oder Demütigungen ausgesetzt.

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Wer in Armut lebt, dem sind Anerkennung und Wertschätzung oft versagt. Umso häufiger sind Betroffene stattdessen mit Verachtung und Scham konfrontiert. Wie sich diese alltäglichen Situationen auch auf die Gesundheit auswirken, ist ein Thema der von 5. bis 7. März stattfindenden Armutskonferenz.

Der Psychologe und Sozialexperte der Diakonie Martin Schenk weiß: "Der 'Giftcocktail' besteht aus drei Zutaten. Zuerst sind das zu hohe Anforderungen – den Menschen wird viel abverlangt. Sie müssen Miete zahlen, haben Schulden, obwohl das Geld fehlt. Zudem bekommen sie für ihre Leistungen keine Anerkennung, haben oft keine Aufstiegschancen und erhalten keinen höheren Lohn. Drittens: Ihnen fehlt die Kontrolle über ihr eigenes Leben."

Die Auswirkungen auf die Gesundheit sind größtenteils bekannt. Durch zu wenig Anerkennung und Wertschätzung kommt der Körper aus der Balance. Schenk erklärt die neurobiologischen Vorgänge: "Der Cortisol- und der Adrenalin-Spiegel entgleisen. Adrenalin hält wach, steigt an, wenn wir uns ärgern und anstrengen. Cortisol spielt eine Rolle, wenn wir uns hilflos und ohnmächtig fühlen – beides gleichzeitig und dauerhaft macht den Körper krank. Das ist wie Vollgas fahren mit angezogener Handbremse."

Demütigung und Leistung

Dieser negative Stress führt langfristig zu psychischen Erkrankungen. Eine aktuelle Studie aus England zeigt, dass die Streichung der Wohnbeihilfe zu zehn Prozent mehr psychischen Problemen, vor allem zu Erschöpfungsdepressionen, innerhalb von zwei Jahren geführt hat. Regelmäßig "heruntergemacht" und beschimpft zu werden begünstige zudem Bluthochdruck und Herzkrankheiten, auch Migräne und Erkrankungen des Bewegungsapparates treten häufiger auf, so der Experte.

Die Folge für die Volkswirtschaft: "Wenn die Ungleichheit steigt, steigen auch die Gesundheitskosten", sagt Schenk. Zudem schade Demütigung der Leistung. So hat etwa eine Untersuchungen in Indien gezeigt, dass Kinder, die zuvor die Zugehörigkeit zu ihrer Kaste öffentlich bekunden mussten, in ihnen anschließenden gestellten Aufgaben schlechter abschnitten, als wenn die Kasten-Zugehörigkeit dem Umfeld nicht bekannt war.

"Wer damit rechnet, als unterlegen zu gelten, bringt schlechtere Leistungen", sagt Schenk und folgert: "Die besten Voraussetzungen hat ein anerkennendes Umfeld. Statusangst und Angst vor Abwertung sind Lern- und Leistungshemmer."

Missbrauch von Sozialleistungen

Alban Knecht, Volkswirt und Soziologe an der Kepler Universität Linz weiß, dass in den letzten zehn Jahren auch die prekären Arbeitsverhältnisse in Österreich stark zugenommen haben, vor allem Leiharbeit, geringfügige Beschäftigungsformen und Teilzeit.

Zudem verstärken sich Verdächtigungen und Unterstellungen etwa gegenüber Arbeitslosen und von Armut betroffenen Menschen in der Gesellschaft. "Dabei ist der Großteil dieser Menschen stark motiviert, zu arbeiten", sagt Knecht. Dennoch werde vor allem von Politikern angeblicher Missbrauch von Sozialleistungen immer dann ins Spiel gebracht, wenn auf Kürzungen vorbereitet werden soll. Etwa vor der Einführung von Harz 4 in Deutschland, sei das Thema ohne nachvollziehbare Zusammenhänge vom realen Arbeitsmarkt ein großes Thema gewesen, so eine Studie.

Schenk: "Sozial Benachteiligte werden oft zu Sündenböcken erklärt und am Sozialamt bloßgestellt, gegen Arbeitssuchende werden Zwangsinstrumente eingesetzt und Hilfesuchende werden entmündigt." Diese soziale Beschämung sei eine Waffe der sozial höher Gestellten über die sozial Schwachen.

Selbstvertrauen sinkt

Wie zuweilen auf Ämtern und Behörden mit von Armut Betroffenen umgegangen wird, zeigen Erzählungen, die in einem Projekt im Vorfeld der Armutskonferenz gesammelt wurden. Eine Frau erzählt etwa: "Ich hab schon eine Sozialphobie vor den Ämtern. Es ist einfach demütigend. Am Magistrat hat eine Sachbearbeiterin zu mir gesagt: 'Warum suchen Sie sich keinen Mann, der Sie erhält?'"

"Für Betroffene bedeuten diese Anschuldigungen, dass ihr Umfeld nicht anerkennt, dass sie sich in einer schwierigen Lebenssituation befinden", erklärt Knecht.

Wie es gedemütigten Menschen geht, weiß auch Henriette Gschwendtner. Sie war früher selbst arbeitslos und ist jetzt Interessensvertreterin bei Exit-Sozial, einem Verein für psychosoziale Dienste. "Wer immer wieder auf dem Amt 'hinuntergemacht' wird, der traut sich irgendwann nicht mehr, weiter nach einem Job zu suchen und verliert sein Selbstvertrauen." Schenk weiß, wie kontraproduktiv negative Umgangsformen sein können: "Wenn es einem schlecht geht, wird man durch Druck langsamer und nicht schneller." (Bernadette Redl, 1.3.2018)