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Frauen vor einem Flüchtlingslager in Syrien. Dort, wo sie Schutz vor dem Bürgerkrieg suchten, werden sie seit Jahren sexuell ausgebeutet.

Foto: Reuters / Rodi Said

Damaskus/London/Wien – Immer wieder seit 2011, seit in Syrien der Bürgerkrieg tobt, gibt es Berichte über Vergewaltigungen und sexuelle Ausbeutung von syrischen Mädchen und Frauen. Die Uno sprach davon, dass das von Kämpfern gern als "Kriegswaffe" eingesetzt wird, um die Bevölkerung zu unterdrücken. Auch andere Menschenrechts- und Hilfsorganisationen wiesen auf derartige Verbrechen durch Kriegsteilnehmer hin. Weniger bekannt ist, dass sich auch humanitäre Helfer an Frauen vergangen haben – und es laut einem Bericht noch immer tun.

Es war im Jahr 2015, erzählte die britische humanitäre Helferin Danielle Spencer am Dienstag der BBC, als sie solchen Vorwürfen nachgegangen war. Spencer arbeitete von 2014 bis 2015 in syrischen Flüchtlingscamps. "Es waren viele Frauen unterschiedlichen Alters betroffen", erzählt sie über die Situation im Süden des Landes.

"Endemisches" Problem

Einheimische Männer, die für internationale Organisationen arbeiteten, "haben Hilfsgüter zurückgehalten und von den Frauen Sex eingefordert". Das Problem sei "endemisch" gewesen, so Spencer: "Es war allen klar: Wenn du zu einer Verteilung von Hilfsgütern gehst, muss im Gegenzug ein sexueller Akt erfolgen."

Im Juni 2015 wurden vom Internationalen Roten Kreuz geflüchtete Frauen im Süden Syriens befragt. Das Ergebnis: 40 Prozent der Befragten wurden Opfer sexueller Gewalt im Zuge von Unterstützungsmaßnahmen, inklusive humanitärer Hilfe. Wenig später wurde das Thema laut BBC bei einem Treffen von Hilfsorganisationen im jordanischen Amman besprochen. Als Reaktion darauf kündigten einige von ihnen an, Mädchen und Frauen besser schützen zu wollen.

Heirat für "sexuelle Dienste"

Nun, im Jahr 2018, steht in einem aktuellen Bericht des UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) Folgendes über die Situation in Syrien geschrieben: "Mädchen und Frauen heiraten Offizielle für eine kurze Zeit, um 'sexuelle Dienste' im Gegenzug für Essen zu leisten." Hilfsgüter werden verteilt im Austausch für einen "Besuch daheim" oder für "Dienste, wie zum Beispiel gemeinsam eine Nacht verbringen". Besonders anfällig dafür sind laut Bericht Frauen "ohne männlichen Beschützer", vor allem Witwen oder Geschiedene.

Darauf angesprochen, erklärten UN- und andere Organisationen der BBC, dass es bei derartigen Vergehen null Toleranz geben könne, allerdings seien ihnen keine Missbrauchsfälle von Partnerorganisationen in Syrien bekannt. Ein humanitärer Helfer erklärte, die Hilfsorganisationen nehmen das stillschweigend hin, weil man in Syrien auf lokale Organisationen und Offizielle angewiesen sei, um in die gefährlichen Regionen zu gelangen.

"Die Uno opfert die Frauen"

Für Danielle Spencer ist die Angelegenheit klar: "Sexueller Missbrauch und sexuelle Ausbeutung sind in Syrien seit sieben Jahren bekannt, und seit sieben Jahren wird es ignoriert." Weshalb das so sei? "Die Uno und das humanitäre System haben entschieden, die Frauen zu opfern", so Spencer zur BBC, "sie werden missbraucht, damit die humanitäre Hilfe mehr Menschen erreicht."

Die Enthüllungen über die Zustände in Syrien fallen in eine Zeit, in der der humanitäre Sektor stark in der Kritik steht. Ausgehend von Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung durch Mitarbeiter der Hilfsorganisation Oxfam in Haiti wurden immer mehr Fälle auch bei anderen Organisationen bekannt. Einer Studie der Nachrichtenagentur Reuters zufolge haben mehr als 120 Mitarbeiter von international führenden Hilfsorganisationen 2017 ihren Job aufgrund sexuellen Fehlverhaltens verloren.

Interpol soll größere Rolle spielen

Kevin Watkins, Geschäftsführer der NGO Save the Children, bei der sexuelle Belästigung in den eigenen Reihen bekannt wurde, fordert nun ein globales Überprüfungssystem für den humanitären Sektor. "Das ist unser Finanzkrisenmoment aus dem Jahr 2008. Die Finanzkrise ist entstanden, weil die Institutionen dachten, sie seien zu groß, zu mächtig, und dabei vergaßen sie, auf ihre eigene Organisationskultur zu schauen", erklärte Watkins in London bei einem Treffen von Hilfsorganisationen. Deshalb fordert er eine Globalisierung des Systems, in dem Interpol eine große Rolle spielen soll.

Bei der Konferenz sprach die britische Entwicklungsministerin Penny Mordaunt von einem "Weckruf" für die Hilfsorganisationen: "Man kann sich nicht für Menschenrechte einsetzen und gleichzeitig die Menschen ausbeuten." (ksh, 27.2.2018)