Christian Schicklgruber, Leiter des neueröffneten Weltmuseums.

Foto: KHM-Museumsverband

STANDARD: Das Weltmuseum hat seit knapp vier Monaten wieder geöffnet. Wie lautet Ihr erstes Resümee?

Schicklgruber: Wir sind äußerst zufrieden. Die Besucherzahlen sind großartig und über den Erwartungen. Am Eröffnungswochenende hatten wir rund 20.000 Besucher, weitere Zahlen werden uns demnächst vorliegen.

STANDARD: Welche Reaktionen haben Sie vom Publikum bekommen?

Schicklgruber: Sehr positive. Natürlich, dass wir endlich wieder offen haben, die Gestaltung wird sehr gelobt und auch die Tatsache, dass wir die Herkunftsgeschichte der Objekte sehr genau miterzählen. Es gibt auch konstruktive Verbesserungsvorschläge. Wir werden beim Leitsystem noch nachbessern und dort oder da die Beschriftung ändern. Manchmal wird die Dunkelheit einiger Räume bekrittelt, aber da ist aus konservatorischen Gründen leider nicht mehr Helligkeit möglich. Der Wechsel zwischen hellen und dunklen Räumen hat aber auch etwas sehr Pfiffiges, wie ich finde.

STANDARD: Dass man den Kolonialismus sehr offensiv aufgreift, wurde wie aufgenommen?

Schicklgruber: Der Raum wird sogar sehr häufig positiv herausgestrichen. Das gängige Klischee, es sei ja alles geraubt und wir seien bloß Nutznießer des Kolonialismus, ist zu eindimensional. Dass das jetzt so differenziert und offensiv von uns selbst und nicht nur von außen aufgearbeitet wird, kommt gut an.

STANDARD: Die postkoloniale Selbstkritik verschreckt also nicht wie befürchtet das Publikum, sondern ist ganz im Gegenteil eine Stärke des Museums?

Schicklgruber: Ja, absolut. Und nicht umsonst wird derzeit auch Wien als ein Beispiel gesehen, wie man es beim Berliner Humboldtforum machen könnte.

STANDARD: Woran hapert es dort derzeit am meisten?

Schicklgruber: Es ist ein riesiges Projekt, immer wieder sind neue und vielleicht auch zu viele Köche am Werk. Das öffentliche Interesse ist außerdem sehr groß und überaus kritisch. Die Kolonialgeschichte Deutschlands ist aber auch eine andere als jene Österreichs. Insofern ist es nicht wirklich vergleichbar.

STANDARD: Emmanuel Macron will das Thema Kolonialismus nun auch in Frankreich stärker angehen. Er hat sich sehr deutlich für Rückgaben kolonialer Kulturgüter ausgesprochen. Wie sehen Sie das?

Schicklgruber: Es ist sicherlich ein Thema, das angegangen werden muss. Wir können die Sammlung erforschen und versuchen, Herkunftsgeschichte zu rekonstruieren. Eine Rückgabe ist letztlich eine politische Entscheidung. In welcher Form das dann passieren kann, ohne die Objekte zu gefährden, wird man sehen.

STANDARD: Das Weltmuseum denkt beispielsweise für die Benin-Sammlung eine Kooperation mit Nigeria an. Wie soll das aussehen?

Schicklgruber: Es gibt diesbezüglich eine Arbeitsgruppe, an der mehrere europäische Museen beteiligt sind. Hier wird angedacht, Sammlungen als Leihgaben nach Benin-City zu geben, die nach einer bestimmten Zeit auch wieder zurückkommen. Das ist sicherlich für alle Beteiligten sinnvoll.

STANDARD: Es gab auch schärfere Kritik an der neuen Weltmuseum-Schau, etwa weil im Brasilien-Saal ein menschlicher Trophäenkopf ausgestellt wird oder weil eine Weltkarte zum Kolonialismus fehlerhaft ist.

Schicklgruber: Bei der Karte sind wirklich Fehler passiert. Sie wird ausgetauscht, das dürfte nicht mehr allzu lange dauern. Was den Trophäenkopf betrifft: Hier wurden zwei Dinge vermischt, die nichts miteinander zu tun hatten. Einen Kopf kontextualisiert im Museum zu zeigen geht voll mit den internationalen Ethikrichtlinien konform. Im Dorotheum hätte aber ein solcher versteigert werden sollen. Und das ist ein No-Go. Am Tag davor hat Weltmuseum-Direktor Steven Engelsman im Dorotheum einen Vortrag gehalten. Von dem Kopf im Auktionsangebot wusste er nichts. Letztlich haben sich nicht nur Privatpersonen, sondern auch das Weltmuseum dafür eingesetzt, dass der Kopf nicht in die Versteigerung kommt. Dem ist das Dorotheum dann auch nachgekommen. Wir werden die ganze Sache aber auf unserem digitalen Medientisch im Kolonialismussaal thematisieren.

STANDARD: Mit dem Medientisch können Sie kurzfristig auf Aktuelles reagieren?

Schicklgruber: Ja. Er kann 15 Themen gleichzeitig spielen. Wir werden hier genauer erklären, warum wir uns entschieden haben, den Trophäenkopf im Brasilien-Saal zu zeigen.

STANDARD: Das Museum ist doch auch sehr fordernd. Wie sollte man seinen Besuch anlegen?

Schicklgruber: Wenn ich persönlich ein neues Museum erkunde, gehe ich zuerst einmal ganz durch, um mir einen Überblick zu verschaffen. Und dann kehre ich an die Orte zurück, wo ich es am spannendsten fand, um mich punktuell zu vertiefen. Das geht bei unseren in sich abgeschlossenen Geschichten auch sehr gut. Mehrfachbesuchern empfehle ich aber natürlich die Jahreskarte des KHM-Verbands. Wollte man wirklich alles sehen, brauchte man wahrscheinlich so an die 14 Tage.

STANDARD: Sie wollten die Schau stets auf Augenhöhe mit den Herkunftscommunitys gestalten. Wie sieht das in der Praxis aus?

Schicklgruber: Jeder Saal hat eine Introwand, auf der erklärt wird, worum es geht. Und daneben gibt es Videoinstallationen mit Stimmen von außen. Im Nordamerikasaal wurde auch der Einleitungstext von einem politischen Vertreter der Native Americans geschrieben.

STANDARD: Wie kann man die Communitys weiterhin über die Ausstellung hinaus einbinden?

Schicklgruber: Mit diesen Erfahrungen werden wir natürlich auch die Sonderausstellungen gestalten. Die erste eröffnen wir diesen Oktober zum Thema Kopftuch, also Kopftuch im Islam, Judentum und Christentum. Auch hier sollen über Videoeinspielungen Kopftuchträgerinnen und jene, die es abgelegt haben, selbst Statements beisteuern. Das wird dann von uns nicht weiter kommentiert. Und natürlich wollen wir die Communitys laufend über Veranstaltungen einbinden.

STANDARD: Wie wandelbar ist die Dauerausstellung?

Schicklgruber: Wir sagen nicht Dauerausstellung, sondern Schausammlung, was schon die Offenheit suggeriert. Wir gehen davon aus, dass sie jetzt einmal ein paar Jahre so stehen bleibt und nur kleinere Sachen getauscht werden. Später wird man aber schon auch darüber nachdenken, Säle neu zu gestalten, gänzlich neue Geschichten zu erzählen.

STANDARD: Wegen des Hauses der Geschichte mussten Sie auf Säle verzichten. Sehen Sie eine Chance, diese Räume irgendwann zurückzubekommen?

Schicklgruber: Ob es diese Chance gibt, kann ich nicht beurteilen. Architektonisch wären die Räume im Falle eines Neubaus des Hauses der Geschichte aber für uns wieder recht einfach zu erschließen.

STANDARD: Gibt es mit dem Haus der Geschichte, das im November eröffnen soll, auch Ideen für Kooperationen?

Schicklgruber: Gespräche gibt es schon sehr lange, aber noch nichts Konkretes. Es sind Ideen und Absichten, wie zum Beispiel eine gemeinsame Ausstellung zum Thema Naher Osten, wo Österreich unter Kreisky ja auch politisch sehr engagiert war.

STANDARD: Gefordert wird immer wieder die Unabhängigkeit des Weltmuseums vom KHM-Verband. Hätte das Vorteile?

Schicklgruber: Ich bin jetzt für drei Jahre bestellt, und die Zeit werde ich sicherlich nicht für einen Kampf um die Unabhängigkeit nutzen. Da gibt es wichtigere Themen. Die Übernahme war zwar nicht unsere Idee, aber es gibt auch positive Aspekte daran, Teil des Verbands zu sein. Wir können administrative Kräfte bündeln. Inhaltlich sind wir sowieso frei.

STANDARD: Wo ginge noch mehr?

Schicklgruber: Derzeit überlegen wir uns im KHM-Verband eine gemeinsame Sonderausstellung, in der Bilder aus der Gemäldegalerie direkt neben Objekten aus der Hofjagd- und Rüstkammer, Antikensammlung, Theatermuseum und Weltmuseum zu sehen sein sollen. Eine häuserübergreifend kuratierte Schau, die es in dem Umfang in Wien, denke ich, noch nie gegeben hat. Das macht auch in Zukunft absolut Sinn.

STANDARD: Angedacht war auch einmal eine Fusion mit dem Österreichischen Volkskundemuseum. Ist das vom Tisch?

Schicklgruber: Derzeit und wohl auch in naher Zukunft wird das kein Thema sein. Wir wollen inhaltlich eng zusammenarbeiten, etwa bei der geplanten Schau zum Kopftuch. Prinzipiell muss ich aber sagen, dass die Fusion inhaltlich nach wie vor Sinn machen würde. Es ist eine künstliche Trennung.

STANDARD: Sie wurden von KHM-Generaldirektorin Sabine Haag ohne Ausschreibung bestellt. War das nicht eine optisch ungünstige Vorgangsweise?

Schicklgruber: Wäre ausgeschrieben worden, dann hätte ich mich beworben. Und ich hätte sicherlich gute Chancen gehabt, wenn ich das so selbstbewusst sagen darf. Eine Ausschreibung hätte aber wieder ein halbes Jahr länger gedauert, und in der Situation mit der Neueröffnung wollten wir keine interimistische Lösung haben. Mein Dreijahresvertrag gibt dem designierten KHM-Chef Eike Schmidt dann die Chance, selbst zu entscheiden, wie es weitergeht.

STANDARD: Hat sich Schmidt schon bei Ihnen vorgestellt?

Schicklgruber: Nein, noch nicht. Wenn ich aber davon ausgehe, was ich über ihn gehört habe, dann denke ich, dass es eine gute Zusammenarbeit werden wird.

STANDARD: Worauf wollen Sie Ihren Arbeitsschwerpunkt legen?

Schicklgruber: Ich möchte mich auf die Sonderausstellungen konzentrieren. Und der zweite Schwerpunkt wird eine Veranstaltungsreihe werden, ab Februar eine ethnografische Filmserie, ab Mai ein Programm, bei dem außereuropäische Künstler aus Tanz, Musik, Lesungen, bildender Kunst und Literatur ins Haus eingeladen werden. Wir wollen uns generell in Zukunft auch als Ort für zeitgenössische Kunst außerhalb Europas positionieren. Das Essl-Museum hatte das früher ansatzweise, jetzt ist es geschlossen. Daran würden wir gerne anknüpfen. Mit unserer ethnografischen Expertise können wir kulturelle Hintergründe ausleuchten, die die Kunstmuseen vielleicht oft übersehen.

STANDARD: Gibt es etwas, das Sie sich kulturpolitisch wünschen würden?

Schicklgruber: Ja. Natürlich eine Erhöhung oder Indexanpassung der Basisabgeltung. Aber ich habe auch mit dem neuen Kulturminister Gernot Blümel noch nicht gesprochen. Ich lade ihn gerne ein, sich das Museum einmal anzusehen. (Stefan Weiss, 1.3.2018)