Die Natur bahnt sich ihren Weg: Die vorgestellten Neuerscheinungen sind die ersten frühlingshaften Vorboten im blühenden Naturbuchboom.

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Maurizio Bettini, "Wurzeln. Die trügerischen Mythen der Identität". Aus dem Italienischen von Rita Seuß. € 16,50 / 160 Seiten. Kunstmann-Verlag, München 2018

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Emanuele Coccia, "Die Wurzeln der Welt. Eine Philosophie der Pflanzen". Aus dem Französischen von Elsbeth Ranke. € 20,60 / 192 Seiten. Hanser-Verlag, München 2018

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Robin Lane Fox, "Der englische Gärtner. Leben und Arbeiten im Garten". Aus dem Englischen von Susanne Held. € 32,90 / 464 Seiten mit Abb. Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 2018. Erscheint am 10. März

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Byung-Chul Han, "Lob der Erde. Eine Reise in den Garten". € 24,70 / 160 Seiten mit Abb. Ullstein-Verlag, Berlin 2018. Erscheint am 9. März

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Peter Henning, "Mein Schmetterlingsjahr. Ein Reisebericht". € 20,60 / 232 Seiten. Theiss-Verlag, Darmstadt 2018. Erscheint am 8. März

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Stefano Mancuso, "Pflanzenrevolution. Wie die Pflanzen unsere Zukunft erfinden". Aus dem Italienischen von Christine Ammann. € 24,70 / 256 Seiten mit Abb. Kunstmann- Verlag, München 2018

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"Hast Du Erfahrung mit Cornus sanguinea 'Midwinter Fire', einem Hartriegel, den ich vor drei oder vier Jahren noch nicht kannte, nun aber wünschte, Du könntest diese aus drei kleinen Sträuchern bestehende Gruppe am Eingang meines Waldgartens sehen? Vor einem Hintergrund aus kahlen, schwarzen Bäumen und Sträuchern, die mit Raureif überzogen sind, bilden sie einen Dunstschleier, der in seiner warmen Tönung an die verlöschende Glut eines offenen Feuers erinnert." Eine Frage, die eine lange Gegenantwort auslöst. Nun ist die 1923 geborene Beth Chatto, die dies formuliert, genauso wenig unbekannt wie der Fragenempfänger Christopher Lloyd (1921-2006). Im Gegenteil, beide zählen zu Englands bekanntesten Gärtnern und Gartenautorinnen nach 1945. The Beth Chatto Gardens in Elmstead Market in Essex sind gärtnerisch und gartenkünstlerisch ebenso interessant wie Great Dixter in Northiam, East Sussex, das Anwesen, auf dem Lloyd aufwuchs und dem er 50 Jahre lang vorstand.

Tradition und Inspiration

Ein um ein Vierteljahrhundert jüngerer Engländer, Robin Lane Fox, gerät, sobald er über Lloyd schreibt, ins Schwärmen und Bewundern. Dieser sei der König der Gartenschriftsteller gewesen, ein Meister besonnener Gartenpraxis. Wohl nur auf den britischen Inseln kann es sein, dass ein preisgekrönter Oxford-Akademiker, Althistoriker und Autor gelehrter Monografien über Alexander den Großen und den Kirchenvater Augustinus, wie Fox 40 Jahre lang "gardening correspondent" der Wirtschaftszeitung Financial Times ist. Nun liegt von ihm der Band Der englische Gärtner vor, das Original heißt etwas stimmiger Thoughtful Gardening.

Die 82 Kurzessays darin lesen sich amüsant, haben Geist, sind sehr ironisch, so wenn er sich erinnert, dass ihn 1970 der Chefredakteur mit einem "grünen" Probetext beauftragte, während auf dessen Schreibtisch Plastikblumen standen. Schon in der Einleitung schreibt Fox vom Vergnügen während des Schreibens. Vertieft man sich in die nach den Jahreszeiten geordneten, mit dem Winter einsetzenden Texte, die von Chrysanthemen, Deutzien, Seerosen, Ätna-Ginster, Säen, Wühlarbeiten und Wintergerüchen handeln, dann springt die Freude tatsächlich über. Hin und wieder kann Fox, dem 30 Jahre lang auch die Pflege der Gärten seines Oxforder Colleges oblag, als Traditionalist sanfte Anflüge von Arroganz nicht ganz verhehlen.

Enthusiast und Revolutionär

Im Gegensatz dazu ist der Florentiner Biologe Stefano Mancuso, 2016 hierzulande mit dem Preis für das beste Wissenschaftsbuch des Jahres ausgezeichnet, nicht nur ganz Enthusiast und ein ausnehmend guter Erklärer selbst schwierigster Sachverhalte. Sondern er ist als "Pflanzenneurobiologe" auch Revolutionär. Mit zahlreichen Beispielen führt er in Pflanzenrevolution vor, dass und auf welche Weise Pflanzen, von Mimosen bis zur Amazonas-Riesenrose, Konzepte für Energieversorgung, Anpassungsstrategien, Resilienz, Architektur, ja selbst für Problemreaktionen entwickelt haben. Welche dem Homo sapiens als Inspiration dienen könnten, wenn er denn wollte. Wissenschaftliche Aufklärung im besten Sinne ist das.

Um dem Garten, seiner Flora und Fauna auf die Spur zu kommen, ist es durchaus angeraten, ihn zu verlassen. Weil auch Pflanzen und deren Bestäuber mobil sind. Deshalb hat sich der Kölner Romancier Peter Henning auf den Weg gemacht. Seit 50 Jahren ist er Schmetterlingsforscher und -züchter. Als Intermezzo gönnte er sich ein Reisejahr auf der Spur seltener Falter. Seine Route führte ihn von Griechenland, Italien, Dalmatien und Zentralspanien nach Tirol, ins Engadin und in den Bayerischen Wald. Wieso aber will der Funke der Begeisterung nicht ganz überspringen? Ist das Manko hie und da fehlende sprachliche Finesse? Manchmal schreibt Henning arg altbacken. Da "knattert" ein Auto, eine Mortadella ist "schmackhaft", durch ein halb geöffnetes Fenster "wirbeln die vielfältigen Gerüche der Natur herein". Auch so mancher Dialog ist eher Didaktiklektion.

Das Gegenteil vom Trennenden

Was Wurzeln schlägt, kann sich nicht vorwärtsbewegen. Wirklich? Der klassische Philologe Maurizio Bettini aus Siena analysiert sie in einem kleinen Essay. Wurzeln stehen für Verankerung, "Heimat"-Gefühl. Wurzeln als trennendes Schlagwort der Politik: wir und sie. Identität aber ist, so Bettini, das genaue Gegenteil. Ein Zusammenfluss von vielem nämlich. Er plädiert für das Fluide, die Veränderung, für ein horizontales, sich vieles aneignendes Lebensprinzip. Dies ist, was den Menschen als Spezies auszeichne. Prägnant ist das, unaufgeregt und überzeugend. Eine zivile Streitschrift mit schönen Bezügen zu antiken Einsichten für unzivile Zeiten.

"Der Winter", so Robin Lane Fox, "ist für besonnene Gärtner eine willkommene Jahreszeit." Auch daher legt der koreanisch-deutsche Philosoph Byung-Chul Han in Berlin einen Winterblühergarten an. Er nennt ihn "Bi-Won", koreanisch für "geheimer Garten".

Drei Jahre arbeitete Han darin. Für ihn ist Gartenarbeit Meditation, Versenkung, Verweilen in der Stille. Gärtnern gerät ihm zum Hymnus. Han will den Garten reromantisieren. Er entdeckt im Garten Theologisches. Zum metaphysischen Ort wird er ihn, mit anderem Zeitverständnis, tieferem Denken.

Das für diesen Autor Typische kennt man aus früheren Büchern. Es sind: kurze Sätze. Ganz. Kurze. Sätze. Ohne Nebensatz. Auch dass er Schiller, Hölderlin, Rilke oder Heidegger einstreut, ist hinlänglich bekannte Manier. Nicht selten erscheinen einem diese Notate, Rapporte, Selbstverzauberungsaufzeichnungen und Tagebuchimpressionen eher wie eine Simulation von Tiefe. Da ist es dann nicht Poesie, sondern Poesiealbum: "Die Zeit des Gartens ist die Zeit des Anderen. Der Garten hat seine Eigenzeit, über die ich nicht verfügen kann."

Sich wieder erden

Emanuele Coccia, der an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris lehrt, geht in Die Wurzeln der Welt noch über Byung-Chul Han hinaus. Der Italiener legt nicht nur eine Theologie der Pflanzen vor, sondern hebt zu nichts Geringerem an als einer von den Pflanzen ausgehenden Kosmologie. In seinem Essay mit sehr langem Anmerkungsapparat argumentiert Coccia, die Pflanzen seien die "eigentlichen Macher unserer Welt", die Welt besitze die Konsistenz einer Atmosphäre, und die geeigneten Zeugen hierfür seien die Blätter. "Die Pflanzen zu denken bedeutet ein In-der-Welt-Sein zu denken, das unmittelbar kosmogonisch ist." Atmosphäre, Atmosphärisches, das Pneuma und die stete biologische Mischung und Vermischung haben es Coccia angetan. Sich an ausgreifenden Satzbögen ergötzend, beugt er sich über Blatt und Wurzel und Blüte und schwelgt in kosmischen Assoziationskreisen. Nicht selten balanciert er bei seiner Pflanzenwelterhebung auf einem schmalen Grat, gelegentlich gleitet er in seinem Wortgestöber in die Selbstparodie ab.

Nach solchen Höhenflügen dürfte es angeraten sein, sich zu erden. Und Beth Chatto zu folgen, die Christopher Lloyd schrieb: "Nachdem für die nächsten Tage weiterhin schlechtes Wetter vorhergesagt ist, habe ich den Montagmorgen in meinem Gemüsegarten verbracht. Ein harscher Wind hatte den Dunst für ein paar Stunden hinweggeblasen und die Wäsche getrocknet." (Alexander Kluy, 4.3.2018)