Eddie Hinton – Genie und Underdog. Er war erfolgreich, depressiv, später obdachlos und starb in Mutters Badewanne.

Zane Rec.

Musikfreaks kennen das Gefühl. Diese Euphorie, die einen angesichts einer Entdeckung beschleicht: Wie konnte ich ohne diese Musik bisher leben? Solche Momente sind selten, Eddie Hinton hat mir so einen beschert.

Dank gebührt Kollege Samir H-Punkt Köck. Der hat mir mal von Eddie Hinton erzählt, gut 20 Jahre dürfte das her sein. Ein paar Monate später stolperte ich über das Album "Hard Luck Guy", das damals gerade erschienen war. Die erste Überraschung war: Der Mann ist weiß. Das hatte ich entweder verdrängt, oder die Info war im Gespräch mit Samir nicht gefallen. "Hard Luck Guy" – allein der Titel versprach einen Typen, der interessant sein dürfte.

Mann im Schatten

Das hat sich erfüllt. Zumindest für mich, offenbar aber nicht für den Rest der Welt, denn Eddie Hinton blieb zeitlebens ein Mann im Schatten. Dabei ist es gut möglich, dass man ihm seit Jahren zuhört, ohne es zu wissen. Schließlich hat er für Gott Elvis und die Welt gespielt. Sogar eine Doku wurde über sein Leben gedreht, und Musiker wie Greg Dulli von den Afghan Whigs oder die Drive-By Truckers würdigten ihn in einer eigenen Tribute-Reihe, dennoch ist der mit nur 51 Jahren gestorbene Musiker weitgehend unbekannt geblieben.

Besagte Doku heißt "Dangerous Highways". Doch sie konnte keine Wirkung entfalten, denn Hintons Mutter verfügte, dass der Film nicht veröffentlicht werden darf, sie mochte ihn nicht. Seither setzt er im Regal seiner Schöpfer Deryle Perryman und Moisés González Staub an. Böse Mutter!

Eddie Hinton wurde 1944 in Florida geboren. Nach der Scheidung seiner Eltern zog er mit seiner Mom rüber nach Alabama; dort hörte und sang er schon als Kind Gospel, der Großvater war Prediger.

Von Elvis abwärts

In den 1960ern schossen in der Nachbarschaft Labels und Musiker wie Schwammerl aus dem Sumpf, Eddie got involved, wie man sagt. Er gründete ein paar Bands und wurde ob seines nicht zu übersehenden Talents Sessionmusiker im prosperierenden Fame-Studio in Muscle Shoals.

Dort schrieb und spielte Hinton Songs für die Größten ihrer Zeit. Elvis, Aretha, die Box Tops, Otis Redding, Herbie Mann, Waylon Jennings, Cher, Gerry Goffin, Percy Sledge, mit Sly & Robbie, Dusty Springfield ... Er war ein Haberer der Allman-Brüder, kannte Dan Penn und Donnie Fritts, und wann immer jemand einen fonky Gitarristen brauchte, läutete bei ihm das Telefon.

"Cover Me" wurde für Percy Sledge ein Hit – das hier ist Hintons Version seines Songs.
Barney USMC

Er verdingte sich erfolgreich zwischen Muscle Shoals, Memphis und Nashville. Daneben blieb wenig Zeit, seine eigene Karriere auf Schiene zu bringen. Dazu plagte Hinton eine Anfälligkeit für verbotene Substanzen und Schnaps, diese und Depressionen besorgten ihm später den Rest.

Der weiße Otis Redding

Dabei hatte er sich als Songwriter eine goldene Nase verdient: Hinton besaß mehrere Autos und ein Haus. Doch dann erwischte ihn ein Cop mit Gras. Hinton wurde dazu verurteilt, Alabama mit seiner Frau Sandra zu verlassen, wenn er dem Gefängnis entgehen wollte. Er willigte ein.

Erst 1978 erschien sein Debütalbum: "Very Extremely Dangerous" ist ein Soul-Album mit Rock-Vibe, den Hintons Stimme auf eine Art vorträgt, die ihm Vergleiche mit den Größten einbrachte. Für den legendären Atlantic-Records-Produzenten Jerry Wexler war er der weiße Otis Redding. Das hat was. Nicht nur, weil er auf dem Album "Hard Luck Guy" Reddings "Sad Song" coverte. Redding und Hinton waren befreundet. In den Linernotes des Albums schreibt Wexler, dass Zelma Redding, Otis' Witwe, Hinton sogar bat, ihren Söhnen das Gitarrespielen beizubringen. Otis hätte sich das gewünscht, Hinton hat es getan.

nonesuchfoxtrot

Jahrelang galt er as "next big thing", doch "Very Extremely Dangerous" kratzte bei seinem Erscheinen offenbar kein Schwein. Sogar Wexler ließ Hinton fallen. Sein Sound kam um zehn Jahre zu spät, und Capricorn, das Label, das sie schließlich veröffentlichte, ging kurz darauf Pleite. Das soll ihn gebrochen haben. Sein Vorsatz "I want to make a record that a black man would buy and he would be unaware that a white man had made it!" ging zwar locker auf, allein das Publikum war längst woanders.

Der Opener von "Very Extremely Dangerous" – pures Gold.
Shawn Petsche

Acht Jahre dauerte es, bis Hinton danach wieder ein Album veröffentlichte. Da war er obdachlos und lebte aus einem Plastiksackerl. "Letters From Mississippi" war ebenfalls kein Erfolg. Immerhin gab er nicht auf. In den frühen 1990ern erschienen "Cry and Moan" sowie "Very Blue Highway". Doch damals war Hinton weitgehend vergessen. Er war krank, aufgedunsen und sah mit seinen Elvis-Koteletten wie ein versoffener Redneck aus. 1995 starb er in der Badewanne seiner Mutter an einem Herzinfarkt.

Posthum erschien 1999 Hintons letztes Album: "Hard Luck Guy".
thegrooveisoutthere

Posthum sind einige Perlen aus Hintons Nachlass erschienen. Vor allem die Alben "Hard Luck Guy" und "Dear Y'all" sind Gold. Auch "Playin' Around" und "Beautiful Dream" haben ihre Momente.

Hinton mischte Soul, Country, Blues und Rock. Kein Song ist überinstrumentiert, er vertraute auf jene Ökonomie, mit der er als Studiomusiker dutzende Klassiker des Southern Soul eingespielt und geschrieben hatte. Seine Stimme war geschmiert vom Leben auf der Straße, vom Whisky in den Truck Stops und dem Sprit nächtelanger Sessions.

Frühstück im Bett

Dabei blieb Hinton sanft und zärtlich. Mit Donnie Fritts schrieb er "Breakfast in Bed", das auf Dusty Springfields LP "Dusty in Memphis" ein Hit wurde (und später für UB40). Auch poppig konnte er sein: "Choo Choo Train" von den Box Tops hat er mitgeschrieben.

Alben wie "Hard Luck Guy" und "Dear Y'all" offenbaren ein verwegenes Genie, das mit phänomenaler Lockerheit Albernheiten wie "Big Fat Woman", Rumpler wie "Every Natural Thing" oder wimmernde Balladen wie "Cover Me" ablieferte. Vor allem die Sammlung auf "Dear Y'all" macht staunen: Das sind eigentlich bloß Demos, doch klingen sie wie Klassiker.

uomoerrante

In den Linernotes von "Hard Luck Guy" endet Jerry Wexler mit einer Erinnerung an Hinton und Bob Dylan. Viel schöner kann man auf diese tragische Gestalt nicht zurückblicken.
Bitte sehr:

"A scene that always sticks in my mind is Dylan on the back porch of the Muscle Shoals Studio, trading licks on acoustic guitar with Eddie Hinton. They buddied up and for a while were unseparable. How strange and wonderful then, to remember Bob Dylan and Eddie Hinton as Soul-Brothers – two poets, one world-renowned, the other known only to a few friends, neighbors, and fans, both riveting artists, both brilliant." (Karl Fluch, 6.3.2018)