Welchen Grund gibt es, mich in der Nacht in den Hörsaal 42 der Hauptuni raufzuschleppen?

Foto: Miriam Hoffelner

Lehramtsstudierende werden Lehrerinnen und Lehrer. Die Mutigen, die ein Medizinstudium wagen, werden später Ärztinnen und Ärzte. Wirtschaftsstudierende wissen selten genau, was sie werden – also abgesehen von erfolgreich. Wie verhält es sich mit Studierenden der Anthropologie? Werden die dann später Anthropologinnen und Anthropologen? Oder jene im Fach Publizistik? Werden die alle Publizistinnen und Publizisten? Weiß überhaupt jeder Publizistikstudent im ersten Semester, was ein Publizist eigentlich ist? Und ist es überhaupt noch vertretbar, so etwas wie Germanistik zu studieren?

Gerade jetzt, wo bald Studiengebühren die ohnehin nicht gut bestückte studentische Geldtasche in eine erbarmungslose und anhaltende Diät zwingen werden. Da ist nichts mehr mit ausprobieren und der ausgefallenen Seine-Bestimmung-finden-Romantik an der Uni – dafür dürfen wir ja dann rauchen, und die Frauen dürfen sich wieder vermehrt hinterm Herd einrichten. Was für ein Tausch. Doch zurück zum Thema: Genau jetzt sollte man etwas studieren, das nach dem Abschluss Sicherheit bietet. Sicherheit alias Sicherjob, Sichergehalt, Sicheransehen und so weiter.

Allnächtliche Trübsal

Wenn ich also ohnehin keine rosige Zukunft vor mir habe, wieso soll ich dann überhaupt weiter Germanistik studieren? Und wenn ich sowieso aufhöre, gibt es dann noch einen Grund, mich jetzt in der Nacht – jeder, der sagt, 7 Uhr sei schon morgens, hat noch nie studiert – aus dem warmen Bett hinaus in den kalten Spätwinter bis in den Hörsaal 42 der Hauptuni zu schleppen? Der erste Schluck bei meinem Coffee-to-go macht mich zwar nicht wirklich optimistischer, erweckt aber immerhin langsam meinen Lebenswillen. Ich kann nun das nächtliche Wien genießen, nur ansprechbar bin ich noch nicht – ich habe aus gutem Grund nicht Lehramt inskribiert.

Alte Vorurteile und Klischees

Raus aus der Bim, rein in die Uni und rauf ins zweite Obergeschoß. Hörsaal 42. Vorlesung: "Mittelalterliche Literatur und Gender". Ich weiß, was Sie jetzt denken: Bitte was?! Oder: Wie war das mit Sicherjob?

Selbstbewusst kann ich sagen: Das waren auch meine ersten Gedanken. Als ich gerade anfangen wollte, im Internet Infos zum Studientausch Germanistik gegen Jus einzuholen, begann die Professorin zu reden. Wie sie es Sekunden zuvor geschafft hatte, ohne meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, den Hörsaal zu betreten, kann ich mir fast nicht erklären. Nun aber stand sie am Pult und war ab diesem Zeitpunkt die nächsten elf Wochen nicht mehr zu ignorieren.

Lydia Miklautsch ihr Name, laut ihre Stimme. So laut, dass sie jedes Mikrofon überflüssig machte. Und mit ihren Worten warf sie uns Studierende in eine Welt zwischen alt und modern, voll von Vorurteilen, uralten Geschichten und fest verhafteten Klischees. Wie die Beziehung der Geschlechter vor einem Jahrtausend funktioniert hat und wie viel davon bis in die heutige Gesellschaft zu verfolgen ist! Das alles steckt in den damaligen Schriften. Und ich dachte: Gott sei Dank gibt es diese Bücher. Gott sei Dank gibt es Menschen, die davon wissen. Gott sei Dank gibt es ein Studium wie Germanistik. (Miriam Hoffelner, 12.3.2018)