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János Lázár hat Wien-Favoriten besucht und auf der Quellenstraße neben Zuwanderern nur mehr Pensionisten getroffen. Die "weißen, christlichen Österreicher" hätten dort "mehr Angst".

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Nach Ansicht Lázárs haben "Einwanderer die Kontrolle über diesen Stadtteil übernommen".

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Finanzstadträtin Renate Brauner (SPÖ) protestiert "aufs Schärfste" gegen die Vorwürfe.

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Budapest/Wien – Wien zeigt sich empört über das Video des ungarischen Kanzleramtsministers János Lázár. Die Wiener Wirtschaftsstadträtin Renate Brauner (SPÖ) meldete sich etwa via Twitter mit harscher Kritik. Als Stadträtin für Internationales und "stolze Wienerin" protestiere sie "auf das Schärfste" gegen die Darstellung ihrer Heimatstadt. "Wir sind verwundert und entsetzt, dass ein Politiker die Hauptstadt eines Nachbarlandes so herabwürdigt", kritisierte Brauner Lázár. Die Vorwürfe seien inhaltlich falsch und auf "traurige Weise fremdenfeindlich".

János Lázár hat auf seine Facebook-Seite ein Video gestellt, in dem er sich selbst in Wien zeigt, in einem Stadtteil mit sichtlich hohem Zuwandereranteil. Zu melancholischen Piano-Akkorden stapfen Frauen mit Kopftuch und Kinderwagen und dunkelhäutige Männer und Kinder durch die im Winterwetter graue und nasse Fußgängerzone in Favoriten. Mit sonorer Grabesstimme verkündet Lázár: "Diese Einwanderergemeinschaften haben das Stadtbild völlig verändert. Hier sind die Straßen sichtlich schmutziger, die Umgebung ist viel ärmer, und die Kriminalität ist viel höher. Die weißen, christlichen Österreicher sind von hier weggezogen, und die Einwanderer haben die Kontrolle über diesen Stadtteil übernommen."

Ivel Sore

Lázár postete das Video am Dienstagabend auf seiner eigenen Facebook-Seite. Regierungskritische Portale, die es entdeckten, bedachten es mit Spott und Häme. "Man sieht zu diesen Ansagen Wiener Straßenzüge von einer Sauberkeit und Ordentlichkeit, vor der jede beliebige ungarische Stadt vor Neid erblassen würde", schrieb etwa die Seite 444.hu. Wer genau hinsah, erkannte in dem angeblich "völlig veränderten Stadtbild", von dem Lázár in dem Video raunt, die Schriftzüge bekannter globaler Ketten, aber auch den der Bäckerei mit dem schönen österreichischen Namen Groissböck.

Unbewiesen blieb Lázárs Behauptung, er habe zwei "Migranten" gefragt, wie sie sich in Wien fühlen. Seine auf Deutsch gestellte Frage sei von ihnen nicht verstanden worden. Im Video ist die Szene nicht zu sehen. Am Mittwochvormittag verschwand der Clip von Lázárs Facebook-Seite. Wie der Minister schrieb, sei er von Facebook selbst gelöscht worden. Möglich, dass jemand das Video wegen seines rassistischen Inhalts angezeigt hatte.

Video wieder online

Facebook habe das Video "zensuriert und gelöscht", beklagte Lázár. Er forderte Facebook auf, das Video umgehend wieder einzustellen, da ansonsten sein "Recht auf Rede- und Meinungsfreiheit" beschnitten würde. Der Minister veröffentlichte den Screenshot einer Facebook-Mitteilung an ihn, aus dem hervorgeht, dass das soziale Netzwerk Beiträge entfernt, die Menschen etwa aufgrund ihrer ethnischen, nationalen oder religiösen Zugehörigkeit angreifen. Das Unternehmen reagierte und stellte das Video am Mittwochabend wieder online. Facebook begründete diesen Schritt laut Reuters mit dem Nachrichtenwert des Beitrags.

Kein Kommentar von Kickl

Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) wollte das Video nicht öffentlich kommentieren. Er freue sich, dass Österreich ein "ausgezeichnetes nachbarschaftliches Verhältnis zu Ungarn" habe, sagte Kickl am Donnerstag. Er "kenne dieses Video nicht, ich habe darüber gelesen". Es sei "eine gute Gepflogenheit, dass man Bemerkungen, selbst wenn sie einigermaßen undiplomatisch sind, nicht in der Öffentlichkeit weiter kommentiert". Er sei aber auch niemand, der sich in einem direkten Gespräch ein Blatt vor dem Mund nehme, sagte der Innenminister.

An ungarisches Publikum gerichtet

Gerichtet war das Video an das Publikum in Ungarn. Am 8. April wird dort ein neues Parlament gewählt. Lázárs Botschaft: Wenn die Opposition an die Macht kommt, werden die ungarischen Städte in 20 Jahren auch so aussehen wie das zur Drohkulisse zugerichtete Wien mit seinen Zuwanderern, die eine "Stadt in der Stadt" mit "No-go-Zonen" bilden würden.

Persönlich könne sie Ungarn nur wünschen, dass die Städte dort so werden, wie Wien – die Stadt mit der weltweit höchsten Lebensqualität, fügte Brauner hinzu. Auch Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) übersandte dem Minister mittels Facebook-Posting "wienliebe" und "favoritenpride". Der Bezirksvorsteher von Favoriten, Marcus Franz (SPÖ), versicherte wiederum in einer Aussendung: "Favoriten ist ein wunderschöner Bezirk, in dem die Menschen sehr gerne leben. Die Kritik an meinem Heimatbezirk ist überzogen."

Ungarischer Wahlkampf in Wien

"Der ungarische Wahlkampf hat in Wien nichts verloren", verwies die Wiener SPÖ-Landesparteisekretärin Barbara Novak auf die anstehenden Wahlen im Nachbarland. Nachdem die Partei von Viktor Orbán vergangene Woche im Zuge von Regionalwahlen eine verheerende Niederlage erlitten habe, scheine ihr nun jedes Mittel recht zu sein. Dazu zähle auch ein "völlig aus der Luft gegriffenes Schreckensbild über Wien-Favoriten" und das "Aufhetzen von Personengruppen".

Novak forderte eine Entschuldigung von Lázár – und sprach von den "ungarischen Freunden von Sebastian Kurz und Hans-Christian Strache". Man könne sich bereits ausrechnen, welch unanständige Methoden im kommenden Wahlkampf in Wien auf die Partei und die Stadt Wien zukommen werden. "Doch all jene, die sich solcher Methoden bedienen, werden in der SPÖ Wien einen erbitterten Gegner haben", versprach die rote Parteimanagerin.

Auch die FPÖ hat mit dem Kurzfilm keine Freude. Zwar hätten sich in den vergangenen Jahren unter der rot-grünen Rathauskoalition tatsächlich viele Dinge in die falsche Richtung entwickelt, befand der blaue Vizebürgermeister Dominik Nepp, aber das Video sei "unangemessen und im Sinne der an sich freundschaftlichen Beziehungen unter Nachbarländen nicht gerade ein Akt der Höflichkeit".

"Migrationsfrage" im Wahlkampf

Lázárs Chef, der rechtspopulistische Ministerpräsident Viktor Orbán, dürfte mit der Wiederwahl kein Problem haben, auch wenn die Opposition Morgenluft wittert, seitdem vor zehn Tagen ausgerechnet in Lázárs Stammland, der südostungarischen Kleinstadt Hódmezővásárhely, bei vorgezogenen Bürgermeisterwahlen der Oppositionskandidat haushoch gewonnen hat. Im Wahlkampf schlug Orbán bislang kaum ein anderes Thema an als die "Migrationsfrage".

Dabei schottet sich Ungarn konsequent und mit fragwürdigen Methoden gegen Flüchtlinge und Asylsuchende ab. Die wenigen Asylwerber, die Ungarn einen Antrag stellen lässt, verlassen das Land am Ende, weil es ihnen keine Integrationsperspektiven und keine soziale Unterstützung bietet. Eine xenophobe Stimmung gegen Zuwanderer zu schüren, die es im Land eigentlich gar nicht gibt, scheint Orbán immer noch die sicherste Bank zu sein, um sich die Macht für eine weitere Legislaturperiode zu sichern. (Gregor Mayer aus Budapest, APA, 8.3.2018)