Neubau des Wien-Museums von Otto Wagner am Karlsplatz: Im Jänner 1910 sollte eine "Schablone", ein Eins-zu-eins-Modell, für eine Auftragserteilung sorgen, stattdessen wurde das Projekt fallengelassen.

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Otto Wagners Postsparkasse in Wien: "Alle modernen Formen müssen dem neuen Material, ...

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... den neuen Anforderungen unserer Zeit entsprechen ..."

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Heftige öffentliche Debatten, die sich über Jahre hinziehen. Verführerische Illustrationen der Befürworter, Unterschriftenlisten der Gegner. Standortdebatten zwischen Stadtzentrum und Stadtrand. Ein Wettbewerb, dem keine Bautätigkeit nachfolgt. Keine Frage: Der Neubau des Stadtmuseums war zwischen 1900 und 1910 die größte Architekturdebatte in Wien.

Nicht nur diese Aspekte, sondern auch die Fragen, wie man die "Gegend" Karlsplatz in den Griff bekommt, wie nah man der Karlskirche auf den Leib rücken darf und wie groß das Museum eigentlich sein soll, erinnern verdächtig an die Debatte der Gegenwart um den Neubau des Wien-Museums: Den Wettbewerb mit 274 Einreichungen gewannen 2015 Winkler/Ruck und Certov, passiert ist seitdem nichts, die Zukunft steht in den Sternen – zumindest bis zum vollzogenen Bürgermeisterwechsel. Geschichte, das wusste schon Karl Marx, wiederholt sich, zuerst als Tragödie, dann als Farce.

Epochale Tragik

Von epochaler Tragik war die Debatte der letzten Jahrhundertwende vor allem für den in ihrem Mittelpunkt stehenden Architekten: Otto Wagner. Immer wieder überarbeitete er seinen Entwurf, warb um die Gunst von Bürgermeister und Öffentlichkeit. Die ursprünglich drei Bauteile verschmolzen dabei zu einem Großprojekt. Im Jänner 1910 sollte schließlich eine "Schablone", ein Eins-zu-eins-Modell am Karlsplatz, für die endgültige Auftragserteilung sorgen. Stattdessen wurde das Projekt fallengelassen, und der Standort gleich dazu.

Es ist nicht nur aus dieser Geschichte heraus folgerichtig, dass die Ausstellung anlässlich des 100. Todestags von Otto Wagner in Oswald Haerdtls Bau von 1959 am Karlsplatz zu sehen ist. Das Wien-Museum verfügt schließlich über die weit größte Sammlung an Objekten aus dem Nachlass. Eine überwältigende Fülle an Zeichnungen, Modellen, Fotografien und Möbeln, die hier in solcher Pracht ausgebreitet wird, dass selbst 1000 Quadratmeter Ausstellungsfläche noch zu klein wirken.

Überwältigende Fülle

Ganz selbstreferenziell ist es auch das Modell des Stadtmuseums im Entwurf von 1903, das am Anfang steht. Ein weiterer Raum ist alleine dieser tragischen Projektgeschichte gewidmet. Es ist nicht das einzige Kapitel, in dem deutlich wird, welch brillanter PR-Agent in eigener Sache Otto Wagner war. Mit großem Aufwand erstellte Heliogravuren und Präsentationszeichnungen zur Verbreitung seiner Entwürfe in den Medien waren das eine, das selbstbewusste Vorpreschen mit Entwürfen für Bauten ohne Auftrag und Wettbewerb das andere. Der "letzte Architekt des 19. und der erste des 20. Jahrhunderts" (so die Beschreibung im Katalog) war auch der erste, der sich Massenmedien und Reproduktionstechniken zunutze machte.

Die von Eva-Maria Orosz und Andreas Nierhaus kuratierte Schau bleibt dabei eng an der Biografie Wagners und ist nicht thematisch, sondern streng chronologisch geordnet. "Wir zeigen auch den Kontext, aber wollen die Person nicht darin verschwinden lassen", sagt Andreas Nierhaus zum STANDARD. "Schließlich ist es die erste große Wagner-Ausstellung seit 1963, da halten wir es für legitim, sich ganz auf ihn zu konzentrieren."

Opulente Objekte

Die Kuratoren tun dies ohne Scheu vor der Opulenz des Objekts: Zeichnungen und Pläne, in deren Detailreichtum und Schönheit man sich verlieren kann. Modelle wie das seiner auch heute noch beeindruckenden Großstadtvision für das Wien der Zukunft oder das der Stadtbahn von 1898, das mit funktionsfähiger Lokomotive für Ohnmachtsanfälle bei Bahnfreaks sorgen dürfte. Lobenswert, dass die Ausstellung die Zeichnungen den Mitarbeitern zuschreibt, von denen sie angefertigt wurden. Nicht wenige von ihnen wurden später zu Architektenpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts: Josef Maria Olbrich, Joze Plecnik, Max Fabiani. Wagners Atelier war eine Architekturmaschine von unglaublicher Produktivität und Kreuzungspunkt der Bruchlinien.

Der Konflikt zwischen Monarchie und Moderne, zwischen 19. und 20. Jahrhundert, zog sich mitten durch Wagners Werk und Person: einerseits das Umwerben von Machtfiguren wie Bürgermeister Karl Lueger und Kaiser Franz Josef, andererseits die Verdammung des Historismus und die Forderung nach einem Nutzstil in seinem Werk "Moderne Architektur" von 1896. Auch das oft als minderwertig geltende und selten zu sehende Frühwerk wird in der Ausstellung nicht ausgespart, eine gute Entscheidung, denn erst so wird die Weite des biografischen Bogens hin zu den Meisterwerken wie der Wiener Stadtbahn, der Postsparkasse oder der Kirche am Steinhof deutlich.

Ausnahmsweise Genie

Mit dem Begriff Genie wird viel Schindluder getrieben, und in der Architektur hat er nur selten etwas zu suchen. Otto Wagner, das macht die Ausstellung in der Gegenüberstellung mit den Entwürfen seiner Konkurrenten erneut deutlich, ist eine Ausnahme. An Wagners Sinn für Proportion und die richtige Dosierung des Ornaments kam keiner seiner Zeitgenossen heran. Keiner wusste so gut, wie man Fassaden oben enden lässt, keiner baute so bequem zu gehende Stiegen. Gegen die muskulöse Sehnigkeit seiner Bauten, die Verwendung von Material und Konstruktion auf dem neuesten Stand der Technik und die unter Spannung stehende Balance von Horizontalen und Vertikalen wirken die Bauten seiner Konkurrenten oft wie kraftlose Soufflés, die unter der Last historistischer Ornamentik zusammensacken.

Ein dringend nötiges Korrektiv für die heutigen Wiener Architekturdebatten, in denen mit Begriffen wie Gründerzeit und Jugendstil herumdilettiert wird und Wagner von der Rolle des radikalen Neuerers in die Nostalgiefalle des "Früher war alles besser" hineinkippt. Wie würde Wagner heute ein Stadtmuseum am Karlsplatz bauen? Sicherlich nicht so wie 1902 oder 1910. Sondern als stolzes Feiern des Fortschritts.

Denn wie schrieb Wagner 1896: "Alle modernen Formen müssen dem neuen Material, den neuen Anforderungen unserer Zeit entsprechen, wenn sie zur modernen Menschheit passen sollen, sie müssen unser eigenes besseres, demokratisches, selbstbewusstes, ideales Wesen veranschaulichen und den kolossalen technischen und wissenschaftlichen Erfolgen sowie dem durchgehenden praktischen Zuge der Menschheit Rechnung tragen – das ist doch selbstverständlich!" (Maik Novotny, 11.3.2018)