Bundespräsident Alexander Van der Bellen lud zum Gedenkakt ...

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... in die Hofburg.

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Wien – Es war das Fräulein Kralicek, das einen Akt des Widerstands versuchte. Als am Morgen des 12. März 1938 brüllende Nazi-Schergen an der Tür Sturm läuteten, um "den Jud Stephan Heller" zum Straßenputzen mit der Zahnbürste zu verschleppen und Ehefrau Elisabeth ihres Schmucks zu berauben, hielt die Haushälterin entgegen: "Die Herrschaften empfangen nur nach Voranmeldung."

André Heller hat diese Geschichte zu ihrem 80. Jahrestag erzählt – und damit als Redner den einzigen kollektiven Lacher bei einem gedämpft angelegten Staatsakt ausgelöst. Applaus aus dem Auditorium war nicht vorgesehen am Montagvormittag in der Wiener Hofburg, obwohl sich das Bläserensemble des Radio-Symphonieorchesters einen solchen verdient hätte: Das offizielle Österreich hatte sich zum Gedenken an den "Anschluss" an Nazi-Deutschland versammelt.

Rede des Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen.
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Das deutsche Heer sei über Nacht gekommen, sagte Bundespräsident Alexander Van der Bellen, "nicht über Nacht kamen jedoch Verachtung für die Demokratie, Militarismus, Intoleranz und Gewalt". Auch 80 Jahre danach sei noch die ganze Aufmerksamkeit gefordert, um die Genese dieser Katastrophe zu begreifen: "Wie Väter zu Massenmördern werden, wie Nachbarn von einem Moment auf den anderen zu Volksfeinden erklärt werden konnten, wie es möglich war, dass Menschen Mozart hören und gleichzeitig den Gashahn aufdrehen."

"Diskriminierung ein erster Schritt zu Entmenschlichung"

Diskriminierung sei "der erste Schritt zur Entmenschlichung", warnte das Staatsoberhaupt, auch in der Demokratie zeige sich, "dass Rassismus und Antisemitismus nicht einfach verschwinden, sondern im Kleinen wie im Großen weiterexistieren". Es gelte, die Sinne zu schärfen, die Demokratie zu stärken – und nie Österreichs Mitverantwortung für die Gräueltaten des Nationalsozialismus zu unterschlagen: "Es gibt keine Entschuldigung für selbstverschuldete Unwissenheit, Relativierungen, Wegschauen."

Dass es "viel zu viele" Österreicher gab, die das NS-Regime unterstützten, sprach auch der Bundeskanzler an. "Opfer" seien jene gewesen, die Widerstand geleistet hatten, nicht aber die vielen Jubilierenden am Heldenplatz im März 1938, sagte Kurz: Erst spät habe sich Österreich dieser Verantwortung gestellt. Da jeder Mensch nicht nur für das Verantwortung trage, was er tut, sondern auch dafür, was er nicht tut, sei gegen jede Art von Intoleranz und Extremismus anzukämpfen – und natürlich gegen Antisemitismus: "Egal ob lange vorhanden oder gerade frisch importiert."

Rede des Bundeskanzlers Sebastian Kurz.
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Die Gedenkrede beim Festakt in der Hofburg hielt André Heller, der sich an das Schicksal seines eigenen Vaters nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten erinnerte. Auch er erinnerte daran, dass sich in den vordersten Reihen der Nazis nicht wenige Österreicher befanden, nicht nur Adolf Hitler selbst. Und auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs habe es "in den Köpfen der Menschen weiter gegärt" und hätten "Splitter und Balken" in der Gesellschaft weiterexistiert.

André Hellers Gedenkrede.
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Zu dem Staatsakt waren die Vertreter der Regierung, des Parlaments und anderer Gremien so gut wie geschlossen erschienen. Unmittelbar danach wurde am Heldenplatz, wo Adolf Hitler drei Tage nach dem Einmarsch den "Anschluss" verkündet hatte, eine Klanginstallation eingeweiht. (Gerald John, APA, 12.3.2018)

Klanginstallation am Heldenplatz ("Wien heute" von Sonntagabend).
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