Die Ermittlungen zu dem Giftanschlag laufen weiter. Spionageexperte Anthony Glees kritisiert, dass Sergej Skripal erlaubt wurde, unter seinem Klarnamen in Salisbury zu leben und mit 200.000 Pfund Bargeld ein Haus zu kaufen.

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STANDARD: Herr Professor Glees, haben die britischen Geheimdienste versagt?

Glees: Das scheint mir auf der Hand zu liegen. Offenbar hat ja der Inlandsgeheimdienst MI5 nicht damit gerechnet, dass Sergej Skripal gefährdet ist. Das hat sich als Fehler herausgestellt.

STANDARD: Skripal spionierte einst für den Auslandsdienst MI6 und kam 2010 ins Land.

Glees: Was hat er in den siebeneinhalb Jahren seither gemacht? Ich glaube, dass darin die Lösung für den Mordanschlag liegt. Der MI6 jedenfalls scheint ja ebenfalls völlig sorglos gewesen zu sein. Man erlaubte ihm, unter seinem Klarnamen zu leben und mit 200.000 Pfund Bargeld ein Haus zu kaufen. Und das ausgerechnet in Salisbury!

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Glees: Salisbury wird ja jetzt als sicheres, kleines Provinzstädtchen dargestellt. Das ist kompletter Unsinn. Wer sich mit militärischer Aufklärung beschäftigt ...

STANDARD: ... wie Skripal das seit Jahrzehnten getan hat ...

Glees: ... für den stellt Salisbury einen Ort von höchstem Interesse dar. Nicht nur gibt es dort dauernd Truppenbewegungen wegen des nahe gelegenen Übungsplatzes. Ganz nahe bei der Stadt liegen auch das weltberühmte ABC-Labor von Porton Down und das ABC-Ausbildungslager der britischen Streitkräfte.

STANDARD: Wollen Sie also andeuten, das Anschlagsopfer Skripal sei weiterhin seinem Beruf nachgegangen?

Glees: Diesen Verdacht habe ich. Ich glaube, er hat weiterhin in der militärischen Aufklärung gearbeitet, und zwar nicht für Großbritannien. Die Versuchung muss gerade in Salisbury enorm gewesen sein. Verstehen Sie mich nicht falsch: Natürlich ist Skripal das Opfer und Wladimir Putins Russland mit hoher Wahrscheinlichkeit der Täter. Einen unumstößlichen Beweis scheint es aber nicht zu geben.

STANDARD: Sie üben Kritik an Premierministerin Theresa Mays Vorgehen. Warum?

Glees: May hat starke Worte benutzt und eine Art von Ultimatum präsentiert. In Wirklichkeit sagt sie Russland aber: Wir sind uns nicht ganz sicher, ob ihr verantwortlich seid. Ihr müsst uns darüber Auskunft geben. Das kommt als Zaudern rüber.

STANDARD: Was hätten Sie anders gemacht?

Glees: May hätte warten sollen, bis die Wahrscheinlichkeit wirklich an Sicherheit grenzt. Und dann sofort Sanktionen verkünden.

STANDARD: Welche Sanktionen schlagen Sie vor?

Glees: Mehrere Dutzend Diplomaten ausweisen, britische Konten von Putins Helfershelfern einfrieren, den TV-Sender Russia Today schließen, die Fußball-WM boykottieren, Aeroflot für mindestens sechs Monate die Lizenz entziehen. Die Russen demütigen uns, weil wir Schwäche zeigen. Das hat mit dem Brexit-Votum zu tun: Wir sind ja leider tatsächlich ein zerrissenes, geschwächtes Land. (Sebastian Borger, 13.3.2018)