Wie eine nächtliche Oase für Benzin leuchtet diese Gasolin-Tankstelle aus lange vergangenen Tagen dem Autofahrer entgegen.

Foto: Ulrich Biene / aus dem Buch "Bewegte Zeiten – Gasolin", Delius-Klasing-Verlag

An die Hügel der Landschaft erinnert die geflügelte Tankstelle der Architekten Moneo Brock bei Madrid.

Foto: Ake Eson Lindman / Moneo Brock

Die kleine Tankstelle stammt von Jean Prouvé und ist auf dem Vitra-Campus zu bewundern.

Foto: www.vitra.com

Wirtschaftswunderflair verströmt die Gasolin-Tankstelle aus den 1960er-Jahren, die um einiges bezaubernder wirkt als die viel kältere aktuelle Tankstellenarchitektur.

Foto: Ulrich Biene / aus dem Buch "Bewegte Zeiten – Gasolin", Delius-Klasing-Verlag
Foto: Ollo/Istockphoto

Dieses Bild stammt aus dem Buch "Bewegte Zeiten – Gasolin" von Ulrich Biene, das im Delius-Klasing-Verlag erscheint.

Foto: Ulrich Biene / aus dem Buch "Bewegte Zeiten – Gasolin", Delius-Klasing-Verlag

Einmal in der Woche fuhr der Vater mit seiner roten Alfa Giulia zur Tankstelle. Auf dem Schild waren die weißen Lettern "Aral" auf blauem Grund zu lesen. In der Erinnerung leuchtet dieses Blau noch immer. Die Kinder saßen auf dem Rücksitz und blickten auf den Bodensee, der einen Steinwurf von der Tankstelle entfernt lag. Auch er leuchtete Aral-blau. Sie beobachteten die Ziffern auf der Zapfsäule, während sie weiß auf schwarz ganz undigital nach oben klackten. Manchmal ging der Vater der Aral-Tankstelle fremd, und zwar mit jener von Agip, deren Schild einen sechsbeinigen Hund zeigte. Die sechs Haxen stehen für die beiden Beine des Fahrers und die vier Räder seines Autos. Sagt man.

Zu Agip ging's, wenn das Auto wie von Geisterhand durch eine lange Waschstraße geschoben wurde. Die Brut durfte sitzen bleiben und freute sich am Schaum der Riesenbürsten, die sich wie Fabelwesen über den Wagen hermachten. Gleich neben der Tankstelle stand ein gläsernes Kabuff, in dem ein paar Trankler standen, rauchten und schwadronierten – oder vor sich hin schwiegen. Im Sommer wurde ein Stehtischchen vor dem Glaskobel für sie aufgestellt, in sicherem Tschickabstand zu den Zapfsäulen.

Ein Platz des Rituals

Die beiden Tankstellen haben sich mit ihren Tankwarten als Orte des Alltags eingebrannt, als ein Platz des Rituals, mehr als die Kirche, die Apotheke oder der Supermarkt. Schon damals vermittelte die Tankstelle, wenn auch unterbewusst, ihre Möglichkeiten. Und es war klar, eines Tages würde man selbst an einer solchen Säule stehen und den Zapfhahn in den Schlund des Tankes stecken, bevor der Sprit mit seinem charakteristischen Geräusch durch den Schlauch ins Auto gluckert.

Obwohl die Tankstelle einst als ein Symbol der Moderne auf die Welt kam, stellt sie einen ebenso praktischen wie nostalgischen Ort dar. Sie ist ein Ort der Begegnung, ein städtisches wie ländliches Orientierungsmerkmal. Früher war sie eine Gelegenheit zu telefonieren, noch immer ist sie Platz für Überfälle, ein Treffpunkt, ein Ort der kurzen Entspannung, manchmal einer des Stresses. Und sie ist ein demokratisches Reich. Sprit gibt's für den fetten Bentley ebenso wie für die klapprige Rostlaube. Am stillen Örtchen einer Tankstelle verschwindet die Vorstandsgattin genauso wie der Lastwagenfahrer.

Rückspiegel wegwerfen

Friedrich Liechtenstein – nennen wir ihn einfach Mediendarling – war für den TV-Sender Arte im Rahmen der Reihe "Tankstellen des Glücks" in einem alten Mercedes unterwegs und hat Tankstellen in ganz Europa besucht. Er nennt Tankstellen "die romantischsten Ort unserer Zeit". Für andere sind das vielleicht eher Ruderboote, von Seerosen umzingelt. Doch Liechtenstein hat recht. Die Tankstelle ist ein romantischer Ort. Irgendwann kommt sie, die nächste Tankstelle. Und die Sehnsucht wächst mit jedem Kilometer auf der Autobahn, bei dem das Warnlicht der Tankanzeige sein böses Rot leuchten lässt.

Jeder kennt die Ungeduld und das gute Gefühl, nach einem Kaffee in der Raststätte vollgetankt wieder Schwung zu holen und auf die Autobahn aufzufahren, die Stimmung, irgendwo an einer Tankstelle in der Pampa zu verweilen, mit der unbewussten Ungewissheit, diesen Ort vielleicht nur ein einziges Mal in seinem Leben besucht zu haben. Das besondere Licht einer gottverlassenen Tankstelle, die mitten in der Nacht wie ein Aquarium leuchtet. So bedeutungslos der kurze Aufenthalt scheinen mag, so essenziell ist er, denn ohne Sprit würde man von der Tankstelle nicht mehr wegkommen. Der Architekt Frank Lloyd Wright brachte die romantische Seite der Tankstelle, mehr noch, ihre freie Seele auf den Punkt, als er meinte: "Ich werfe den verdammten Rückspiegel aus dem verdammten Fenster, weil ich nicht wissen will, woher ich komme, sondern wohin ich fahre".

Symbol der Freiheit

Die Tankstelle ist noch immer ein Symbol der Freiheit, ein Leuchtturm und eine Insel für alle. Das schafft weder ein Flughafen noch ein Bahnhof, denn an diesen Orten kommt man nicht allein an. Auch verlässt man sie nicht allein. Es ist das Auto, das diese individuelle Beziehung ermöglicht. Der Zauber basiert auf einem Abhängigkeitsverhältnis zwischen etwas Statischem und der Bewegung. Gäbe es keine Autos, würde die Tankstelle nicht existieren. Und umgekehrt. Das Bindeglied heißt Asphalt, dieser multipliziert Individualität mit Mobilität.

Der Charakter dieser einzigartigen Orte hat sich auch immer schon in ihrem Erscheinungsbild gezeigt. Kaum ein alltäglicher Gebäudetypus ließ derart mannigfaltige Architekturlaunen zu. In dieser Welt wird eine völlig andere Formensprache gesprochen, und es ist erstaunlich, wie eine Immobilie, die ganz zweckmäßigen Bedürfnissen dient, eine so spezielle Ästhetik ausstrahlt. Vor allem in früheren Jahrzehnten begegnete den Autofahrern die Tankstelle in Formen, die an Schiffe, Kapellen, Ufos oder Gartenhäuschen erinnerten. Hinzu kommen all die Requisiten, die die Tankstelle zu Bühnen der Mobilität machen. Der Kübel mit dem Scheibenwischwasser, die Zapfsäulen, das Ding, mit dem man die Luft in die Reifen presst und das ein bisschen an einen Kuheuter denken lässt, die Kaugummis und Schokoriegel an der Kasse. Der Geruch nach Benzin und Öl bildet den olfaktorischen Rahmen dieses Bildes.

Von Mineralölkonzernen glattgebügelt

Seit langem von Mineralölkonzernen glattgebügelt, wurden die Tankstellen in ein formales Korsett gesteckt. Wie das Autodesign wurde auch die Gestaltung der Tankstelle zu einem Einheitsbrei. Und dennoch hat die moderne Tankstelle viel vom Zauber des Ortes behalten, wenn man ihn sich nur bewusst macht. Ihre Funktion ist noch immer dieselbe, sehen wir davon ab, dass sie heute nicht selten auch zum Supermarkt wird.

Bevor es zur weitgehenden Monokultur des Tankstellendesigns kam, haben sich viele große Namen am Objekt Tankstelle nicht nur versucht, sondern wahre Perlen dieser Gattung geschaffen. Frank Lloyd Wright entwarf die Lindholm Service Station, die 1956 in Minnesota gebaut wurde und 1985 ins National Register of Historic Places eingetragen wurde. Die Tankstelle, die immer noch in Betrieb ist, erinnert mit ihrem grünen Dach an eine Pagode.

Prouvé-Tankstelle bei Vitra

Jean Prouvé gestaltete mit seinem Bruder Henri eine der ersten seriell hergestellten Tankstellen, die in den frühen 1950er-Jahren für die Firma Mobiloil Socony-Vacuum gebaut wurde. Das freundliche kleine Gebäude besteht ganz in Prouvé-Manier aus Aluminiumelementen und Blechen, die von Bullaugen durchbrochen werden. Ein Exemplar ist heute auf dem Vitra-Campus im deutschen Weil am Rhein zu bewundern. Am liebsten würde man es zusammenklappen, mitnehmen und im Garten zuhause wieder zusammenbasteln.

Viel früher schon, nämlich 1936, entwarf Arne Jacobsen im nördlich von Kopenhagen gelegenen Küstenort Skovshoved eine Tankstelle im Auftrag von Texaco – ein viereckiger, mit weißen Fließen verkleideter Bau, dessen rundes, pilzförmiges Dach an das Raumschiff Enterprise erinnert.

Ausreißer gibt es noch: Auch jüngere Architekturbüros stürzen sich immer wieder gern auf die Tankstelle. Das spanische Architekturbüro Moneo Brock zum Beispiel brachte 30 Kilometer von Madrid entfernt eine Tankstelle in Form, die an das Gute-Laune-Design vergangener Jahrzehnte anschließt. Die bereits von weitem sichtbare A 1 Gas Station erinnert mit ihren geschwungenen Flügeldächern an einen Vogelschwarm und bettet sich in die hügelige Landschaft, als wäre sie hier von selbst gewachsen.

Die Mutterbrust zur Außenwelt

Auch in der Kunst findet die Tankstelle ihren Platz. Ed Ruscha, der diesem Ort ein Buch widmete, sagte: "Die Tankstelle, abgesehen davon, dass sie ein architektonisches Wunder darstellt, ist die Mutterbrust zur Außenwelt." Der amerikanische Maler Edward Hopper huldigt ihr unter anderem auf seinem berühmten Ölgemälde Gas aus dem Jahre 1940. Darauf ist eine Tankstelle an einer Landstraße mit drei roten Zapfsäulen, einem Tankstellenhäuschen und einem Mann im Abendlicht zu sehen. Auch romantisch!

Als erste Tankstelle der Welt gilt übrigens die Stadt-Apotheke im deutschen Wiesloch. Im August des Jahres 1888 benötigte Bertha Benz, die Ehefrau des Automobilerfinders Carl Benz, während einer heimlichen Ausfahrt neuen Sprit. Sie war auf das Leichtbenzin namens Ligroin angewiesen, das als Reinigungsmittel angeboten wurde. Das bekam sie beim Apotheker. Eine Gedenktafel erinnert daran.

Das Geschäft mit dem Kraftstoff

Schon bald wurde mit zunehmender Motorisierung erkannt, was für ein Geschäft hinter dem Kraftstoffhandel steckte. Es wurden Zapfgeräte entwickelt, die als Vorläufer der Benzinpumpen der 1920er-Jahre gelten. Später entstehen kleinere Bauten, sogenannte Tankkioske, Ahnen der Mobilitätsgeschichte, die schnell dahinbraust. 1935 gibt es in Deutschland bereits 59.000 Tankstellen für fast 800.000 Pkws, berichtet der Autor Ulrich Biene in seinem Buch "Bewegte Zeiten – Gasolin – Nimm dir Zeit und nicht das Leben!", das brandneu vom Delius-Klasing-Verlag herausgegeben wird.

Das Gegenteil der einstigen Tankkioske findet man heute im luxemburgischen Berchem, wo an einer Tankstelle angedockt wird, die als größte der Welt gilt. Hier kommen auf gut acht Fußballfeldern bis zu 25.000 Menschen täglich an eine der 51 Zapfsäulen. Bezahlt wird mittels Karte oder wie bei einer Mautstation an einem der Kassahäuschen. Den Tankwart gibt es auch an diesem Ort nicht mehr. Die Frage "Super oder normal?" verblasst hier ganz besonders zu einer akustischen Erinnerung. Dass es den klassischen Tankwart heute so gut wie nicht mehr gibt, sollte vor allem den Hollywoodstar Johnny Depp bekümmern. Der meinte auf die Gefahr eines Misserfolges: "Ich kann jederzeit wieder als Tankwart arbeiten."(Michael Hausenblas, RONDO, 15.3.2018)

Weiterlesen:

Rennbolide, Fluchtvehikel, Hochzeitskutsche

Chris Bangle: "1968 starb die Zukunft des Autos"