In Hinterhöfen, an Gehsteigen oder in Erdgeschoßen versteckt: Die Wiener Tankstellen unterscheiden sich von der klassischen "Freisteller"-Tankstelle.

Foto: Stefan Oláh
Foto: Stefan Oláh
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Die Champion-Tankstelle ist mittlerweile verschwunden, und damit ist sie nicht allein.

Foto: Stefan Oláh

STANDARD: Woher stammt Ihre Faszination für die Wiener Tankstelle?

Stefan Oláh: Die hat mit dem Verschwinden dieser einzigartigen Architektur im Wiener Stadtbild zu tun. Begonnen hat es mit der Tankstelle am Wiener Schwarzenbergplatz. Als ich hinfuhr, um sie zu fotografieren, war sie bereits weg. Einfach so. Da wurde mir klar, dass ich mich mit dem Fotografieren beeilen müsste.

STANDARD: Was ist denn das Besondere an den Wiener Tankstellen?

Oláh: Sie sind nicht die klassischen "Freisteller", wie man sie von der Landstraße kennt. Aus Platzmangel wurden sie gerade innerhalb des Wiener Gürtels zu einem ganz speziellen Charakteristikum der Stadt. Es handelt sich um sogenannte Hinterhof-, Arkaden-, Spitz-, oder Gehsteigtankstellen. Sie kleben an Fassaden oder nisten sich in Erdgeschoßen ein.

STANDARD: Auf Ihren Tankstellenfotos sind keine Menschen zu sehen. Können Sie etwas von ihnen erzählen?

Oláh: Eine Tankstelle, ich sag nicht welche, diente wohl in erster Linie als Alibi. Man fuhr mit dem Auto hinein, tarnte sich mit der Tankstelle bzw. Werkstatt und besuchte in Wirklichkeit ein Rotlichtlokal im hinteren Teil der Location. Man gab mir dort zu verstehen, dass ich mich flott aus dem Staub machen soll. An einer anderen Tankstelle gab es einen Tankwart, der schon bei der Anfahrt eines Autos wusste, um wie viel Geld der Fahrer tanken würde.

STANDARD: Wie das?

Oláh: Er erkannte das am Zustand des Autos, am Wochentag und der Automarke. Als ich ihn daraufhin testete, fuhr ein älterer, leicht getunter Golf zur Tankstelle. Es war Freitagnachmittag, am Steuer saß ein junger Mann. Der Tankwart sagte: "Das ist ein typischer Zehn-Euro-Tanker." Ich fragte: "Wieso?" Er sagte: "Schauen S', das ist ein junger Bub, der kann sich gerade einmal das Auto leisten. Der holt nachher sein Mauserl ab, dann gehen sie zum Tanzen. Damit er sie abholen und heimbringen kann, tankt er nur zehn Euro." Er hatte recht.

STANDARD: Welche Stadttankstellen werden überleben?

Oláh: Jene, die Reifenservice, eine Garage und eine Werkstatt oder einen Shop anbieten, haben bessere Überlebenschancen, als die Tankstellen, an denen nur getankt werden kann. Ich denke, die werden von den Mineralölkonzernen in die Knie gezwungen, die das Geld selber verdienen wollen. Langfristig sollen die Leute draußen bei den Shoppingzentren tanken. Die ganze Sache mit den innerstädtischen Tankstellen legt natürlich auch den Gedanken an Immobilienspekulationen nahe.

STANDARD: Welche Wiener Tankstelle ist die schönste?

Oláh: Ich würde nicht von der Schönheit, sondern von einer Besonderheit dieser Orte sprechen. Da gab es zum Beispiel die Champion-Tankstelle hinter dem Parlament, in der der Tankwart die Autos auf einer Drehscheibe manuell gedreht hat, weil so wenig Platz war. Der Tankwart hat wie ein Bobfahrer am Start ausgeschaut. (siehe Foto, Anm.)

STANDARD: Diese Besonderheit bringen Sie unter anderem Architekturstudenten der ETH Zürich bei Exkursionen nahe. Wo führen Sie diese hin?

Oláh: Zum Beispiel zum Betreiber der Apollo-Tankstelle im siebten Bezirk, der schon als Kind viel Zeit dort verbrachte. Das war während der Besatzungszeit. Er erzählte mir, dass ein Panzer mit seiner Kette ein Stück vom Gehsteig herausgebrochen hat. Jeglichen Versuch, diese Stelle zu flicken, hat der Betreiber vereitelt, weil es für ihn ein Erinnerungsstück an diese Zeit ist. Ein Mahnmal, wenn man so will. Oder die Geschichte der Astoria-Tankstelle mit Hochgarage im achten Bezirk: Die gehörte zwei älteren Schwestern, die auf dem Dach der Garage einen Esel hielten. Umgeben von einem Urwald. Mitten in Wien.

STANDARD: Sie haben vor acht Jahren gemeinsam mit dem Kunsthistoriker Sebastian Hackenschmidt Tankstellen für ein Buch fotografiert. Warum trägt das Buch den Titel "Sechsundzwanzig Wiener Tankstellen", wenn Sie doch 36 fotografiert haben?

Oláh: Weil es in Anlehnung an das berühmte Künstlerbuch "Twentysix Gasoline Stations" von Ed Ruscha entstanden ist. Ruscha meinte, die Zahl 26 würde in Blockbuchstaben einfach toll aussehen. Bei ihm waren es auch keine 26 Tankstellen. Der Künstler war übrigens total begeistert von unserem Projekt. Er meinte zuvor, wir sollen uns damit beeilen, damit er es noch in die Hände bekommt. Das Buch ist mittlerweile so gut wie vergriffen.

STANDARD: Wie viele von diesen 36 Tankstellen gibt es heute noch?

Oláh: Zehn sind bestimmt verschwunden. Manche führen ein Schattendasein, zum Beispiel die kleine Tankstelle beim Burgtheater, die jeder Wiener kennt. Die steht zwar noch, ist aber seit Jahren nicht mehr im Betrieb. Der Tankwart hat mir seinerzeit erzählt, dass betuchte Damen ihr Auto zum Waschen bei ihm stehen ließen, um sich die Parkplatzsuche im ersten Bezirk zu ersparen.

STANDARD: Sie haben auch ein Buch über 95 Wiener Würstelstände herausgebracht. Sind Würstelstände mit Tankstellen verwandt?

Oláh: Mir geht es, wie gesagt, nicht um die Tankstelle oder den Würstelstand, sondern um die Eigenheit dieser Stätten. Zu dem Buch über die Würstelstände kam es nur, weil Sebastian Hackenschmidt im Tankstellenbuch geschrieben hat, wir hätten genauso gut Würstelstände fotografieren können. Aber zurück zu Ihrer Frage – es gibt schon eine Gemeinsamkeit: An beiden Orten wird Energie getankt, und auch die Architektur muss praktisch sein. Und beides sind Orte der Kommunikation. (Michael Hausenblas, RONDO, 9.4.2018)