Ludwig Hirsch: Als Meister schattseitiger Geschichten schuf er einige der originellsten Alben der österreichischen Popmusik.

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Das zeitlose Debüt von Ludwig Hirsch: "Dunkelgraue Lieder."

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Blumig formulierte Zärtlichkeiten konterkarierte er in sanftem Tonfall mit der grausamen Realität. Dabei lächelte er das unschuldige Lachen des Überbringers einer schlechten Nachricht: 'Tschuldigung, aber es muss sein. Dieser Kunstgriff durchzieht die Arbeiten des Liedermachers Ludwig Hirsch wie ein schwarzer Faden.

Er stieg in menschliche Abgründe hinab und kredenzte die von dort ans Licht gebrachten Abscheulichkeiten wie Punschkrapferln aus der Konditorei: Die Geigen jubilieren, während "Der Dorftrottel" von einer geifernden Meute erschlagen wird, die sich anschließend vor dem Herren auf die Knie wirft. Streicher umschmeicheln auch die Erinnerungen am Grab der "Omama", die zwischen Hitlerbild, Mutterkreuz und vollem Nachttopf ein herzloses Regiment führte – bevor sie an ihren dritten Zähnen erstickte.

Im Rahmen des Gedenkens anlässlich des hundertjährigen Bestehens der Republik widmet sich die Reihe "Zwickt's mi" Popmusik in Österreich. Einzelne Songs und Künstler, die die heimische Populärmusik geprägt haben, werden in Erinnerung gerufen und vorgestellt. Nicht die Vollständigkeit wird anvisiert, die Bedeutung zählt.

Kleine Kostbarkeiten

Dieser Eintrag widmet sich Ludwig Hirsch, dem großen Ludwig Hirsch. Sein Auftauchen in der österreichischen Popmusik Ende der 1970er-Jahre bescherte dem Land einen seiner besten und originellsten Erzähler. Hirsch schrieb keine Gassenhauer, seine Lieder waren kleine Kostbarkeiten aus dem Schattenreich. Detailverliebt sezierte er die Brutalität des Alttags. Mord und Totschlag umrahmte er mit Spitzendeckerln und Gardinen, legte den Finger in die Wunden einer unglücklichen Biografie ("Der blade Bua") oder ließ eine Geburtstagsüberraschung letal enden ("Das Geburtstagsgeschenk").

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Ein Dutzend Studioalben hat der 1946 in der Steiermark geborene und in Wien aufgewachsene Schauspieler und Musiker veröffentlicht. Alle haben sie ihre Momente und Höhepunkte, hier soll es aber um die ersten beiden Alben des 2011 gestorbenen Sängers gehen: Sein Debüt "Dunkelgraue Lieder" (1978) und das im Jahr darauf veröffentlichte "Komm großer schwarzer Vogel". Sie schlugen am heftigsten in die hiesige Musiklandschaft ein, bei "Zartbitter" (1980) war schon ungefähr klar, was einen erwartete.

An picksiaßen Elvis

Sein größter Hit gelang ihm 1983 mit "Gel', du magst mi". Das war eine Version von Elvis Presleys "Love Me", mit der er 14 Wochen lang in der Hitparade war. Gleichzeitig eine Liebeserklärung an den "picksiaßen Elvis" selbst, mit dessen Singles Hirsch die Jukebox auf seinem Bauernhof fütterte.

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"Dunkelgraue Lieder" – das war ein Titel wie ein Versprechen. Zu unschuldigen, aber mit nassen Zechen am Mollufer angesiedelten Liedern erzählte Hirsch seine Geschichten. Schon dass es aus seinen ersten vier Alben keine Singleauskoppelungen gab, verdeutlicht, dass seine Musik nicht auf den Sieg im Sprint schielte, sondern sich in seiner Gesamtheit als Album am besten entfaltete

Seine Lieder waren kleine Epen: Aufzeichnungen aus Kinderzimmern, der Peripherie und von tragischen Figuren. Stilistisch war ihm Leonard Cohen ein Vorbild, andererseits scheute er sich nicht vor dem Wienerlied, dessen Sarkasmus mit seiner Kunst bestens konvenierte. Hirsch spielte den L'amour-Hatscher ebenso souverän wie die Absackerballade im Espresso.

Allein sein Einstand mit der "Omama" paart ein individuelles Drama mit der Nachkriegsgeschichte Österreichs, wie man es vorher und nachher nicht wieder gehört hat.

woozla duzla

Das war nur bedingt radiotauglich, dennoch immens erfolgreich. Das Morbide geht in Österreich immer, vor allem, wenn es mit Humor kredenzt wird – und davon besaß Hirsch reichlich, wie "I lieg am Ruckn" beweist.

Andere Härtefälle federte er mit süßlichen Streichern ab und verlieh so seinen oft monströsen Geschichten eine groteske Lieblichkeit. Damit entlarvte er in "Der Dorftrottel", "Der Herr Haslinger" oder "Der Zwerg" die landesübliche Bigotterie. Seine Lieder sind von erschreckender Zeitlosigkeit, auch das macht ihn so besonders.

Ich habe Ludwig Hirsch 2008 kennengelernt. Damals erschien ein Boxset mit all seinen Alben. Aus diesem Anlass habe ich ihn zu einem musikalischen Blind Date geladen.

Peters Schlagerbox

Er musste Musik erraten und kommentieren. Ich traf einen höflichen, fast scheuen Mann, schlaksig und ein wenig nervös, weil er nicht genau wusste, was ihn erwarten würde. Es war dann sehr super, ihm schien es zu taugen, sein Händedruck zum Abschied fiel deutlich kräftiger aus als der zur Begrüßung. Er hat mich auf ein Konzert eingeladen: "Kumm afoch." Hab ich nicht getan, leider. Drei Jahre später beging er nach einer Lungenkrebsdiagnose Suizid. Der große schwarze Vogel hatte einen der besten Chronisten des Landes geholt. (Karl Fluch, 17.3.2018)