Wien/Heidelberg – Die Bandbreite von Gehirntumoren reicht von relativ gutartigen Gewebsneubildungen bis hin zu aggressiven und kaum beherrschbaren Tumoren. Entsprechend unterschiedlich sind deren Charakteristika. Ein internationales Team unter Beteiligung von Wiener Wissenschaftern bietet jetzt eine genauere Klassifikation auf der Basis von sogenannten DNA-Methylierungsmustern an.

Die wissenschaftliche Arbeit zu dem Projekt mit Forschern von rund hundert Forschungseinrichtungen weltweit ist jetzt in "Nature" erschienen. Unter den Dutzenden als Autoren von "Nature" genannten Experten ist auch Matthias Preusser, Onkologe der Universitätsklinik für Innere Medizin I von Med-Uni Wien und AKH. "Bisher waren rund hundert verschiedene Formen von Gehirntumoren bekannt. Die Diagnose stützte sich vor allem auf die histologische Untersuchung durch Pathologen", sagt Preusser.

Doch bei einem gewissen Anteil dieser vor allem visuellen Begutachtungen gab es bisher nicht völlig aussagekräftige Befunde. Eine Tumortherapie mit Chirurgie, Strahlen- und medikamentöser Behandlung sollte aber möglichst zielgenau sein, um den optimalen Effekt bei geringen Nebenwirkungen zu erzielen.

82 verschiedene Typen identifiziert

Die Wissenschafter mit federführender Beteiligung von Experten des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) Heidelberg und der Heidelberger Medizinuniversität analysierten die sogenannten DNA-Methylisierungsmuster in Gewebeproben von Hirntumoren. Methylierung oder Nicht-Methylierung, das bedeutet das Anhängen oder Nicht-Anhängen von Methylgruppen an DNA-Bestandteile. Das entscheidet darüber, ob bestimmte Gene abgelesen oder auf "stumm" gestaltet werden. Dies wiederum kann die Charakteristik von Tumoren stark beeinflussen.

"Zunächst wurden diese Methylierungsmuster an rund 450 Genen an Zellproben von rund 2.800 Patienten bestimmt, von denen man bereits Gewebeproben besessen hatte, also retrospektiv", erklärt Preusser. Dabei hätte man 82 verschiedene Typen identifizieren können. "Es hat sich im Rahmen der Analyse herausgestellt, dass im Vergleich zu den histologischen Untersuchungen die Befunde in rund zwölf Prozent der Fälle falsch war oder überhaupt eine andere Tumorform gegeben war", so der Onkologe. "Falsch", das bedeutete, dass die Tumorzellen weniger aggressive oder aggressivere Charakteristika aufwiesen als vom Pathologen erkennbar.

Neue Erkrankungen identifiziert

Gleichzeitig aber wurden durch die Analysen aber auch einige völlig neue Hirntumor-Erkrankungen identifiziert, die in den bisherigen Klassifikationen nicht eindeutig zugeordnet werden konnten. "Nach der retrospektiven Analyse wurde dieser Ansatz auch innerhalb eines Jahres mit Gewebeproben von etwa 1.100 "neuen" Hirntumorpatienten erprobt. Dabei bestätigte sich, dass wiederum rund zwölf Prozent der herkömmlichen Diagnosen modifiziert werden mussten", erläutert Preusser.

Für die Patienten kann das erhebliche Bedeutung haben, weil sie sonst eventuell unter- oder übertherapiert würden. "In Österreich erkranken pro Jahr rund 300 Menschen an der bösartigsten Hirntumorform, an einem Glioblastom. Die Untersuchung half uns bereits bei einer Patientin mit einer atypischen Erkrankung und einem offenbar wesentlich bösartigeren Gliom als man es zunächst erwartet hätte", berichtet der Onkologe. Insgesamt werden jährlich rund 1.800 Neuerkrankungen an Hirntumoren registriert.

Der nächste Schritt sollte jetzt sein, zu bestimmen, ob die neue Klassifikation auch in der Therapie der jeweiligen Erkrankung mit zielgenaueren Behandlungen umgesetzt werden kann. Wissenschafter und behandelnde Ärzte haben in Zukunft darüber hinaus noch einen weiteren Vorteil. Im Internet wurde eine Plattform geschaffen, in welche die Methylierungsdaten aus Untersuchungen von Gewebematerial von Gehirntumoren eingegeben werden können. Zurück kommt dann ein Befund über die Klassifikation. Das System ist selbstlernend und soll als Service zur Verfügung stehen. (APA, 15.3.2018)