"Wo soll ich mir Zeit nehmen?" Ärztinnen und Ärzte geben auch im STANDARD-Forum Einblick in ihren Arbeitsalltag.

Foto: https://www.istockphoto.com/at/portfolio/fangxianuo

"Als Mediziner will ich Zeit für den Menschen haben, der mir gegenübersitzt. Ich will ihm zuhören können und die Möglichkeit haben, seine Beschwerden und Ängste zu verstehen. In den letzten Jahren wurde mir jedoch suggeriert, dass Patienten im Krankenhaus hocheffizient abgearbeitet werden müssen, wie Produkte auf einem Fließband", schreibt Christian K. (Pseudonym, Name der Redaktion bekannt) in einem Userkommentar über seinen Arbeitsalltag. Und: "Als Arzt bist du eine Maschine. Je schneller ein Patient die Ambulanz wieder verlässt, desto geringer der finanzielle Aufwand, und desto weniger Ressourcen werden verbraucht. Wartezeiten entstehen dennoch: zu wenig Personal und zu wenige Behandlungsräume. Gespart wird nämlich auch hier. Fehler passieren dabei in zunehmender Regelmäßigkeit." Seine Kritik daran, Effizienzsteigerung über Patientenwürde zu stellen, ist auf großes Interesse bei der STANDARD-Leserschaft gestoßen. Auch in den Foren wurde rege diskutiert.

So entwickelte sich etwa folgender Dialog, in dem User "SteckenPferd" erklärt, er würde sich wünschen, dass Ärzte "sich die Zeit nehmen und die Menschen würdevoll wahrnehmen und behandeln", und ein anderer, "G. Bitte!", fragt, warum es keinen Aufschrei gibt. Poster "We're all mad here" antwortet mit einer Beschreibung eines Wochenenddienstes, stellt die rhetorische Frage "Wo soll ich mir Zeit nehmen?" und nennt ein Grundproblem: "Unsere Ambulanz ist mit Patienten gefüllt, die entweder nichts Chirurgisches oder nichts Akutchirurgisches haben."

Extreme Ärztearbeitszeiten

Fragen gibt es auch zur langen Arbeitszeit. Poster "Independent_" erinnert etwa an die Debatte über den Zwölfstundentag. Wie kann man bei noch längerer Arbeitszeit "topfit und belastbar sein"? Poster "malolikto" verwundert, dass derartige Arbeitszeiten gesetzlich erlaubt sein können.

"Auch ich habe mir den Beruf anders vorgestellt"

Posterin "zum fremdschämen" gibt an, Ärztin in Ausbildung zu sein. Auch sie müsse wie Christian K. "Fließbandarbeit leisten". Stichwort Effizienz: "Die Geschäftsführung wird so lange Personal einsparen, wie es irgendwie machbar ist", befürchtet sie.

Auch Poster "Klimperwimper" stimmt Christian K. zu: "Es ist so traurig, weil es so wahr ist." Er berichtet von einer Person mit Stoppuhr in der Aufnahme. Mittlerweile arbeite er als Wahlarzt "genau so, wie ich es mir immer vorgestellt habe".

Pro und kontra Effizienz

Poster "Got Your Nose!", Assistenzarzt für Anästhesie, erklärt, dass auch bei den Umbettzeiten zwischen Krankenbett und OP-Tisch Einsparungspotenzial gewittert wird:

"Wir trainieren ständig die Abläufe und versuchen auch die Kommunikation untereinander auf ein Minimum zu beschränken – noch schneller – noch effizienter", schreibt Poster "Redox01" und erklärt, warum das gut ist: "In der Notfallmedizin zählt jede Sekunde." Das Problem sei vielmehr der "ungelenkte Patientenstrom".

Mehr gut ausgebildete Allgemeinmediziner

Einen "Fehler im System" sieht Poster "Urban Fischer", "eine menschlichere Medizin" müsste möglich sein. Einen Hebel sieht er auch bei der Allgemeinmedizin. Diese sei Prävention und "reduziert Kosten gewaltig":

Poster "Bli999" ist Arzt und möchte unter den "österreichischen Bedingungen" nicht mehr arbeiten:

"Es gibt viele Missstände"

"Die Grundidee des Gesundheitssystems ist gut, die Umsetzung allerdings nicht immer", erklärt Poster "Cookie_":

Ein profitables Gesundheitssystem ist für Poster "pirx-o-mat" ein "Irrglaube".

Haben Sie sich das Arztsein auch anders vorgestellt?

Arbeiten Sie im Gesundheitsbereich und sehen sich auch als "Fließbandarbeiter"? Hatten Sie als Patient den Eindruck, dass der Arzt zu wenig Zeit für Sie hatte? Wurden Sie als Patient schon einmal effizient abgearbeitet, oder haben Sie ganz andere Erfahrungen gemacht? (sb, 16.3.2018)