Das Obst und das Gemüse aus dem Bioladen in Lienz schmeckt jetzt "um 60 Prozent besser". Das ist in einer Ausgabe des "Osttiroler Boten" im März zu lesen. Wir wissen zwar nicht, wie man Verbesserungen im Geschmack in Prozenten misst, aber eines ist fix: Es ist die Kraft der Sonne, die unserem Biozeugs das gewisse Plus verleiht. Die Sonne ist eine Scheibe aus Eiche oder Nuss, hat Rillen und misst 42 Zentimeter im Durchmesser. Auf den ersten Blick erinnert sie ein wenig an ein Jausenbrett, auf dem man in der Stube unter dem Herrgottswinkel mit einem scharfen Feitel Speck aus dem Villgratental schneiden möchte. Die Holzsonne ruht senkrecht auf einer hölzernen Säule. Das sei wichtig für die Erdung, sagt der Hersteller. Das heißt: Bei der Jause ist das Stück so nicht zu gebrauchen.

Zentralsonnen und Autoshampoos

Irgendwie an die Wand hängen dürfe man das Stück jedenfalls nicht, mahnt der Vermarkter des Teils. Das Impressum der Seite mit der schmucken Holzscheibe führt zu einer Gmbh, die in einem anderen und sehr nüchtern gehaltenen Webshop Kalk- und Schimmelentferner und ein Autoshampoo mit Lotuseffekt feilbietet. Auf der schmucken Webseite der Zentralsonne indes beantwortet das Unternehmen Fragen – auch kritische. Um nicht zu sagen, die Frage aller Fragen:

Hat die Zentralsonne etwas mit Esoterik zu tun?

Das Unternehmen hat den Mut, die Frage zu stellen, und muss nun weit ausholen: Nach einem Umzug mit seiner Firma – die mit den chemischen Reinigern – fühlten sich der Unternehmer und seine Lebensgefährtin lange Zeit am neuen Standort unwohl. Kosmische Strahlen, Wasseradern, Ozon – was mag der Grund gewesen sein? Man hielt es kaum noch aus im Haus, in der Verzweiflung ging man gar Scharlatanen auf den Leim, wie L. berichtet: "…wir besorgten uns erst Mal jedes am Markt erhältliche Produkt, jede erdenkliche 'Eso-Lösung' die 'Entstrahlung' und 'Harmonisierung' versprach. Geholfen hat es leider nichts. Außer natürlich den Herstellern. Zur 'Harmonisierung' ihres Bankkontos! Wütend und enttäuscht warfen wir also das letzte, sogenannte ‘Entstrahlungsprodukt‘ zum Fenster raus, hatten genug von dem ganzen Zeugs ..."

Man kann die Empörung gut nachvollziehen. 1.290 Euro brutto kostet die Zentralsonne auf dem Holzfuß, die Herr L. nun, nachdem der gröbste Ärger über esoterischen Entstrahlungshumbug verflogen ist, zur Entstrahlung feilbietet.

Sehr viel Forschung steckt in der Holzscheibe

Das ist viel Geld für den Festmeter Holz, relativiert sich aber, wenn man sich die Entwicklungskosten und die langwierige Forschung rund um "Wasseradern, Verwerfungen, Hartmann- und Currygitter" vor Augen führt. Und da reden wir noch gar nicht von der "…Antenne nach Georges Lakhovsky mit nicht geschlossenen Kreisen und abwechselnden Öffnungen". Die Lakhovsky-Kreise sollten das Kernstück der Holzsonne werden. Sie wird von L. "einmalig mit einer spezifischen Frequenz aktiviert und ist dazu bestimmt dauerhaft: störende Erdfelder von Wasseradern, Erdstrahlen und Verwerfungen störende elektromagnetische Wechselfelder technischer Herkunft von Stromleitungen, Trafos und Verbrauchern, hochfrequente elektromagnetische Wellen von Mobiltelefon, W-LAN, Bluetooth usw. auszugleichen und für uns verträglich zu machen." 

Ein Aufladen ist nicht nötig und nicht möglich. Müßig zu erwähnen, dass die magische Holzsonnenscheibe keinen USB-Anschluss hat. Für die kleine Entstörung zwischendurch und für unterwegs gibt es Sonnenamulette und ein Zentralsonne mit schlanken 20 Zentimetern im Durchmesser, die im Büro nicht ganz so dominant wirkt wie das große Jausenbrett. Allerdings ist die Wirkung hier spürbar kleiner: Während die große Scheibe "nachweislich 20 Meter" kreisum wirkt, strahlt die kleine Holzsonne um 599 Euro nur bescheidene 2,5 Meter im Radius. Der Preis pro Quadratmeter Entstörung fällt hier doch etwas saftiger aus.

Globuli und Zentralsonnentaschen, leider nur exklusiv

Der strahlenbelastete Sparefroh frohlockt vielleicht bei diesem Offert: Ein Gläschen Power-Globes-Globuli aus Saccharose mit gezählten 600 Kügelchen wandert um schlanke 36 Euro in den Warenkorb. Weiter geht die sonnige Schnäppchenjagd: Die "Zentralsonnen-Einkaufstasche" kostet ebenfalls 36 Euro, doch wird versprochen: "Unsere Einkaufstasche neutralisiert innerhalb von 15 Min. jegliche Strahlenbelastung von Lebensmittel und Getränken. Die Produkte bleiben dadurch deutlich länger frisch, bekommen einen besseren Geschmack und wirken weniger säurebildend." Leider hat der kaufwillige Sparefroh das Kleingedruckte überlesen: "Die Power-Globes Globuli und die flotten Taschen sind ausschließlich für Zentralsonnen-Besitzer erhältlich." 

Magische 15 Minuten – und der Zauber wirkt

15 Minuten, das dürfte so etwas wie die magische Zeit sein, nach der die diversen Sonnenutensilien zu wirken beginnen. Auch im Bioladen in Lienz – laut Osttiroler Boten der einzige Zentralsonnenhändler in Österreich – strahlt die Sonne nicht nur vom Holzgerüst. Auch sonnige Unterlegematten entstrahlen unsere Bioäpfel, Karotten und Zwiebel in – erraten – 15 Minuten.

Was wohl geschieht, wenn wir die Vegetabilien nun vom bislang einzigen Zentralsonnenhändler Österreichs just mit der Zentralsonnentragetasche nach Haus tragen: Quetschen sich die Bio-Blutorangen vor Freude und aus Übermut selbst aus? Und was zum Teufel geschieht, wenn man unbesonnen den zentralsonnengestärkten Salat mit Granderwasser wäscht? Werden die Interferenzen verrückt spielen, können wir diese Energie noch bändigen?

Nicht kombinierbar mit anderen Entstörungsgeräten

Die Power der Holzscheibe darf nicht unterschätzt werden. Wer in seinem Haushalt bereits ein anderes Entstörsystem installiert hat, dem verkauft das Unternehmen L. keine Zentralsonne. Da will man wohl auf der sicheren Seite sein. Verantwortung wird sehr groß geschrieben beim Zentralsonnen-Start-up und darum schließt dieser Blogbeitrag mit dem Disclaimer der Webseite des Unternehmens: "Die Gesundheit ist das Wichtigste, was wir besitzen und viel zu kostbar, um damit unseriöse Geschäfte zu machen. Bitte bestelle unsere Produkte nur, wenn du nach Durchlesen unserer Website auch wirklich von ihnen überzeugt bist." (Christian Kreil, 16.4.2018)

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