Was bedeutet es, als Kind von Armut betroffen zu sein? Und wie wird in den Medien über Kinderarmut berichtet? Eine Studie hat die österreichische Berichterstattung untersucht.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Kinderarmut hat viele Gesichter und existiert auch in einem reichen Land wie Österreich. Laut Statistik Austria leben derzeit 289.000 Kinder und Jugendliche unter der Einkommensarmutsgrenze. Kinderarmut bedeutet nicht nur weniger Geld, sondern auch weniger Spielraum für Entfaltung.

Von Armut betroffene Kinder haben oft nicht die Möglichkeit, in der Freizeit mit anderen Kindern mitzuhalten: Ins Kino oder in den Zoo gehen, ein Musikinstrument lernen, ein Hobby haben, all das ist mit zusätzlichen Kosten verbunden. Zudem sind Kinder mit Armutserfahrung seltener in der Lage, Freunde und Freundinnen nach Hause einzuladen, weil es dort, wo sie leben, zu eng ist. 223.000 Kinder wohnen zudem in feuchten oder schimmligen Zimmern. Und das wirkt sich auch auf ihre Gesundheit aus.

Wer spricht über wen

Aber wie präsent ist der Lebensalltag sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher in der Gesellschaft? Welches Bild wird von den Lebensbedingungen armutsgefährdeter Kinder und Jugendlicher über die Medien vermittelt? Wer fragt danach, was es bedeutet, von der Mindestsicherung leben zu müssen? Und: Wer spricht hier über wen?

Eine Studie von Media Affairs untersuchte die Berichterstattung in österreichischen Medien. Neben den reichweitenstärksten überregionalen Medien des Landes – "Kurier", STANDARD, "Presse", "Krone", "Österreich", "Heute" – wurden auch deren Facebook-Kanäle in die Analyse einbezogen. Die Studie wurde von der österreichischen Armutskonferenz, einem Netzwerk sozialer Hilfsorganisationen, und der Volksanwaltschaft in Auftrag gegeben. Sie wurde von Juni bis August 2017 durchgeführt und im Rahmen der 11. Armutskonferenz im März präsentiert.

Fokus auf Defizite

Es zeigte sich, dass Kinderarmut in der Berichterstattung insgesamt wenig Aufmerksamkeit bekommt. Wenn es das Thema in die Schlagzeilen schafft, dann eher mit reißerischen Inhalten wie Jugendkriminalität. Die mediale Darstellung der Alltagsrealität sei "einseitig, selektiv und verzerrend", lautet der Befund von Maria Pernegger, Studienautorin und Geschäftsführerin von Media Affairs.

Auf Platz eins des Themenrankings landet Charity, also Wohltätigkeit für schwerkranke Kinder und Minderjährige mit Behinderungen. Wichtiges Detail: Es kommen dabei ausschließlich Kinder und Jugendliche ohne Migrations- oder Fluchthintergrund vor. Der Studie zufolge gibt es hier signifikante Unterschiede beim Themensetting: Wird in Medien die Herkunft der Kinder nicht erwähnt, bestimmen die Themen Charity und Kosten für Schule und Nachhilfe die Berichterstattung. Ist im Artikel von Migrations- oder Fluchthintergrund die Rede, dann stehen die Themen Jugendkriminalität und mangelnde Sprachkenntnisse an erster Stelle. Die derzeit viele Bereiche überlagernde Debatte über "Inländer versus Ausländer" mache auch vor Kindern nicht halt, sagt Pernegger gegenüber dem STANDARD.

Foto: Media Affairs

Talente der Kinder kommen kaum vor

Insgesamt würden die Boulevardblätter die Ergebnisse aufgrund ihrer hohen Reichweite viel stärker beeinflussen als die Qualitätszeitungen. Auch der Gendergap wirkt sich bereits im Kindesalter aus: In den untersuchten Medien sind Burschen medial wesentlich präsenter als Mädchen. Und: Berichte über sozial benachteiligte Kinder thematisieren in den seltensten Fällen die Talente und Potenziale der Kinder. Sie kommen der Studie zufolge in nur drei Prozent der Fälle vor. Stattdessen liegt medial der Fokus auf den Problemen und Defiziten der von Armut betroffenen Kinder.

"Medien schaffen Stimmung. Sie können eine politische Debatte befeuern – oder nicht", sagt Pernegger. Kinderarmut sei in jedem Fall ein Thema, das immer aktueller werde. Was es für von Armut betroffene Familien bedeutet, wenn die Regierung wie angekündigt die Mindestsicherung beschneiden will? Pernegger: "Es können sich Lebenswege dort gabeln, wo Eltern vor der Frage stehen, ob es machbar ist, dass ihr Nachwuchs eine weiterführende Schule besuchen kann oder Nachhilfestunden leistbar sind. Hier besteht die Gefahr, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien auf der Strecke bleiben – eine Schieflage, die sich im Erwachsenenalter fortsetzt. Den Sparstift bei den Kindern anzusetzen ist nachweislich kein nachhaltiger Zug." Im Bereich der Armutsbekämpfung gebe es in jedem Fall noch Luft nach oben, so die Studienautorin. (Christine Tragler, 20.3.2018)