Wenn die Temperaturen steigen, dann bedeutet das für Karoly Mozes Arbeit. Vor allem Stammkunden sind es, die ihre Fahrräder zu Beginn der Frühlingszeit in seinen Shop im dritten Wiener Gemeindebezirk zum Service bringen. Lager, Bremsen, Schaltungen, Lichtanlagen – das alles wird von Mozes kontrolliert. Pro Jahr richtet er rund 250 Fahrräder her.

"Radfahren boomt", ist er überzeugt. Davon zeugt auch sein Geschäft in der Sechskrügelgasse. Lässt man ein Fahrrad dort servicieren, dann muss man einwilligen, es gleich am nächsten Tag wieder abzuholen. Schon jetzt bahnt sich der Fahrradreparateur seinen Weg nur noch durch einen schmalen Gang.

"Meine Hauptkunden sind Studenten oder die, die ältere, gebrauchte Fahrräder haben", sagt er und weist auf den Trend dieser Saison hin: Cyclocross-Räder. Dabei handelt es sich um robuste Rennräder, die auch auf unwegsamem Gelände gefahren werden können. Auch E-Bikes würden immer mehr nachgefragt.

Radverkehrsanteil stagniert seit Jahren

Radfahren boomt. Mozes' Aussage anhand von Zahlenmaterial zu untermauern fällt allerdings schwer. Österreichweite Daten werden nur unregelmäßig erhoben. Das Verkehrsministerium veröffentlichte Zahlen aus den Jahren 2013 und 2014. Dieser Studie zufolge erhöhte sich der Radverkehrsanteil am Modal Split von rund fünf Prozent 1995 auf 6,5 Prozent.

Modal Split? Geht es um Verkehrsstatistik, kommt man an diesem Begriff nicht vorbei. Man versteht darunter die Verteilung des Transportaufkommens auf die verschiedenen Verkehrsmittel. In Wien wird der Modal Split jährlich erhoben. Der Radverkehrsanteil stagniert dabei seit mehreren Jahren bei sieben Prozent. Andere Landeshauptstädte schneiden besser ab. In Salzburg und Bregenz liegt der Radverkehrsanteil bei 20 Prozent, in Innsbruck und Graz bei 17 bzw. 15 Prozent.

In Wien wird der Modal Split jährlich erhoben.
Grafik: Der Standard

"Große Lücken im Hauptradverkehrsnetz"

Die Zielsetzung der Stadt Wien, den Anteil des Radverkehrs von sieben auf zehn Prozent zu steigern, ist für Ulrich Leth, Verkehrsplanungsexperte der TU Wien, schwierig zu erreichen. "In Wien hat der Radverkehr eine große Konkurrenz in Form des gut ausgebauten öffentlichen Verkehrsmittelnetzes." In den Radstädten Europas wie Kopenhagen sei meist der Pkw-Anteil ähnlich wie in Wien, die Öffis würden jedoch weniger angenommen.

"Es gibt große Lücken im Hauptradverkehrsnetz", kritisiert Leth außerdem. Studien würden zeigen, dass nur etwa ein Prozent der Bevölkerung als "strong and fearless" einzustufen ist. Das heißt: Sie fahren mit dem Rad, egal welchen Bedingungen sie ausgesetzt sind. Etwa sechs bis sieben Prozent seien selbstbewusste Verkehrsteilnehmer, die das Rad nutzen, auch wenn die Infrastruktur nicht perfekt ist. Mit einer lückenlosen Radinfrastruktur könne man hingegen zwei Drittel der Bevölkerung erreichen. Hier hapere es oft am "Förderalismus" der Großstädte. "Bauvorhaben verzögern sich über Jahre wegen des Hick-Hacks um ein paar Parkplätze", sagt Leth.

Vassilakou: Jeder Radweg führt zu mittlerem Weltuntergang

Auch die für den Radverkehr zuständige Wiener Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) kritisiert die Verzögerungen: "Wir sehen uns derzeit mit einer Situation konfrontiert, in der jeder Radweg zu einem mittleren Weltuntergang führt. In dieser Stimmung den Radverkehr voranzubringen ist schwierig."

Vassilakou kündigt im Gespräch mit dem STANDARD an, dass die Fahrradwege im heurigen Jahr weiter ausgebaut werden. Zum Beispiel soll es einen Fuß- und Radweg an der Pragerstraße in Floridsdorf bis zur Stadtgrenze geben. Das Bauprogramm 2018 will Vassilakou aber erst beim Bikefestival Mitte April im Detail präsentieren. Der Fokus liegt aber offenbar auf den äußeren Bezirken. Innerstädtisch stehen kleinere Adaptierungen an, etwa Entschärfungen im Bereich Urania nahe Schwedenplatz, wo sich im Sommer viele Radfahrer auf einer kleinen Verkehrsinsel stauen.

Für Leth sind die kommenden Jahre interessant: "Durch den U-Bahn-Bau haben wir eine Chance, neue Leute für das Fahrradfahren zu begeistern." Während das Linienkreuz U2/U5 entsteht, würden Straßen gesperrt, auch die U-Bahn zum Teil unterbrochen. "Die meisten Menschen haben fixe Fahrzeuge, die sie bevorzugen. Erst bei einer Störung fängt man an, das eigene Mobilitätsverhalten zu überdenken und Neues auszuprobieren." Das habe man bei der Teilsperre der U4 zwischen Schönbrunn und Hütteldorf vor zwei Jahren gesehen. Damals habe es deutliche Zuwächse auf dem Wientalradweg gegeben.

Frei Fahrt: Für Radfahrer ist das in Wien nicht immer so. Autofahrer gegen Radfahrer wird so gerade in der Hauptstadt zur Glaubensfrage.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Zahl der Getöteten durch Radunfälle stieg

Die Zahl der Verletzten und Getöteten durch Radunfälle ist zuletzt gestiegen. 2016 gab es österreichweit 7331 Verletzte und 48 Tote. Zu Fahrradhändler Mozes werden viele Fahrräder nach Unfällen zur Reparatur gebracht. Die Besitzer tragen Schulter- oder Kopfverletzungen davon, wenn sie etwa von einer sich öffnenden Autotür überrascht werden. Mozes plädiert für eine Helmpflicht.

Verkehrsexperte Leth kennt den Fachbegriff für Unfälle dieser Art, nämlich "Dooring". Er führt sie darauf zurück, dass Mehrzweckstreifen unsicher sind. "Die Radler fahren zu knapp an den Autos. Das produziert Unfälle." Oft auch Schreiduelle – im Verkehr gehen die Emotionen hoch.

Ludwig will "faires Miteinander"

Autofahrer versus Radfahrer: Für viele ist das eine Glaubensfrage. Der Wiener Verkehrsforscher Hermann Knoflacher hat kürzlich im Spiegel für Aufregung gesorgt, als er sagte, Autofahrer seien keine Menschen. Wien habe die Autofahrer aber bereits "genervt". Man habe Straßen verengt und "systematisch Stau erzeugt". Nicht nur vom Boulevard wurde Knoflacher getögelt, auch die SPÖ war nicht begeistert.

Apropos SPÖ: Viele Fahrradbegeisterte blicken gespannt auf den designierten Bürgermeister Michael Ludwig, dem eine Vorliebe zum Autoverkehr nachgesagt wird. Die rot-grüne Stadtregierung ging ambitioniert an das Thema Radverkehr heran, was sich in der 2011 eigens gegründeten Mobilitätsagentur niederschlug.

Zum STANDARD sagt Ludwig: "Wien soll auch in Zukunft eine fahrradfreundliche Stadt sein." Viele Wiener seien aber auf ein Auto angewiesen. Ludwig will ein "faires Miteinander" aller Verkehrsteilnehmer. (Oona Kroisleitner, Rosa Winkler-Hermaden, 26.3.2018)