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Am Mittwoch endete die dreitägige Wahl in Ägypten. Ersten Prognosen zufolge kommt Abdel Fattah al-Sisi auf 92 Prozent der Stimmen. Das endgültige Ergebnis wird am Montag erwartet.

Foto: REUTERS/Mohamed Abd El Ghany

"Ich bin müde, Rami", sagte kürzlich ein ägyptischer Aktivist im Hinblick auf die Situation in Ägypten zu mir. Er selbst hat sich mittlerweile zurückgezogen und lebt ein Leben "an der Tür Allahs" – eine arabische Redewendung für "ein bescheidenes Leben führen". Dabei ist es nicht nur die Politikverdrossenheit, die aus ihm spricht. Diese zeigte sich schon an der geringen Wahlbeteiligung 2012 und auch heuer wieder. Damals wie heute wurden 500 Pfund (etwa 23 Euro) als Strafe für alle Nichtwähler ausgesprochen – ein Monatseinkommen für etliche Familien.

Es ist die Angst um seine Familie gewesen, die ihn zur Verstummung zwang. Zu Recht, wenn man an die rund 60.000 politischen Gefangenen denkt. Viele von ihnen sitzen ohne Prozess oder mit dem Vorwurf der "Verschwörung gegen die Nation", darunter auch einige meiner Freunde. Hier weiß man wenigstens, wo sich die Insassen befinden. Die neue Einschüchterungspraxis der Geheimdienste, sogenannte "enforced abductions", sieht solches Wissen um den Verbleib nicht vor. Hierbei werden Kritiker entführt. Amnesty geht von drei bis vier Entführungen täglich und etwa 1.500 dokumentierten Fällen aus. Die Dunkelziffer ist weit höher.

Klima der Angst

Immer wieder tauchen Leichen an Straßenrändern auf, die Körper überzogen von den Zeichen brutaler Gewalt. Der berühmteste Fall war der italienische Dissertant Giulio Regeni, der mit Folterspuren am 3. Februar 2016 gefunden wurde. Es scheint, als würden lediglich "prominente" Fälle die Aufmerksamkeit Europas auf die katastrophale Menschenrechtssituation im Land im Nil richten – und das, obwohl weltweit anerkannte Organisationen wie Amnesty oder Human Rights Watch regelmäßig Berichte vorlegen.

Es sind zum Teil Schauergeschichten. Das sollen sie auch sein – furchteinflößend. Es ist genau dieses Klima der Angst, das auch schon der langjährige Machthaber Hosni Mubarak pflanzte, jedoch längst nicht so brutal exekutierte, wie es heute der Fall ist.

Kaum jemand traut sich öffentlich seine Meinung zur Regierung zu äußern. Das beobachtet man nicht nur innerhalb der Familie und des Freundeskreises, sondern zum Beispiel auch in den vielen Videos von Straßenreportern, in denen die Befragten in die Kamera lachen und sagen, dass sie sich jetzt lieber nicht zu der Frage äußern werden, "sonst passiert etwas".

Es trifft aber nicht nur die einfachen Leute. Erst kürzlich wurde die ägyptische Popqueen Shirin Abdel Wahab verurteilt. Sie habe einem Fan gesagt, er solle lieber nicht vom Nil trinken, da er sonst krank werden könnte. Prompt wurden ihr die Konzerte in Ägypten verboten, und der Prozess gegen sie lief an.

Demokratischer Schein

Genau dieser Umgang mit Kritik und ähnliche Absurditäten ziehen sich durch die Präsidentschaftswahl. Ende 2017 machten die ersten namhaften Kandidaten Anstalten, kandidieren zu wollen. Länger als drei Wochen "im Rennen" hat es niemand von ihnen geschafft. Oberst Ahmed Konsowa wurde gar nach zwei Tagen seiner Kampagne von der Militärpolizei festgenommen und verhört. Sami Anan, ein Urgestein des ägyptischen Militärs, wurde wenige Stunden nach der Bekanntgabe seiner Kandidatur festgenommen. Ein anderer, Ahmed Shafik, der bei der Stichwahl zwischen ihm und Muhammed Mursi 2012 etwa 5,5 Millionen Stimmen ergattert hatte, zog sich nach massiven Einschüchterungen gegen ihn und seine Familie zurück.

Der letzte namhafte Gegner al-Sisis war der Menschenrechtsanwalt Khaled Ali. Er trat schon 2012 zur Wahl an und machte sich vor allem mit dem Rechtsstreit mit der ägyptischen Regierung einen Namen. Ali focht die 2016 getroffene Meeresgrenzenvereinbarung mit Saudi-Arabien vor dem Gericht an. Mit der Vereinbarung wurden die Inseln Tiran und Sanafir an Saudi-Arabien übergeben. Proteste gegen das "Geschenk an Salman" wurden brutal niedergeschlagen. Gegen Ali hatte man aber noch anderes in der Hand: eine Anklage vom September 2017 wegen "Beleidigung des öffentlichen Anstands". Der Prozess wurde aufgerollt, und Ali zog sich zurück.

Um den Schein einer demokratischen Wahl aufrechtzuerhalten, wurde Moussa Mustafa Moussa als "Gegner" von der ägyptischen nationalen Wahlkommission (NEC) am 8. Februar einberufen. Das ist jener Mann, der noch 2017 eine Kampagne mit dem Ziel gestartet hatte, für Sisi zu mobilisieren. Moussa gab am Dienstag seine Stimme ab. In einem Interview danach sagte er: "Ich konnte mich nicht zurückhalten, ich habe ihn (al-Sisi) gewählt."

Propaganda am Nil

Unterstützt werden diese Machenschaften vom propagandistischen Medienapparat und einer fast zur Gänze infiltrierten Kunst- und Kulturszene. Laufend werden neue Werbespots mit berühmten Schauspielern und Lieder von Sängern veröffentlicht, die von der Herrlichkeit des Landes und dem "Ra'is" (Anführer) schwärmen. Daneben werden auch besonders das Militär und die Polizei als Garanten des Friedens heroisiert. Erst kürzlich wurde ein Video aus einer Kairoer Schule geleakt, wo im Zuge des Hymnengesangs in der Früh (eine übliche Praxis in fast allen öffentlichen Schulen) auch dem Präsidenten und dem Militär gehuldigt wird. Darin sagt die Direktorin den Schülern, dass das Militär ein Verbündeter sei und die Soldaten jeden Tag für sie sterben. Die Mädchen müssen das dann nachsagen.

Aber wie steht die Bevölkerung zu dieser Propaganda? Neben dem beschriebenen Klima der Angst ist es vor allem der Kampf ums Überleben, der viele ägyptischen Familien nun beschäftigt. Nach der Entwertung des ägyptischen Pfunds haben sich Lebensmittel und Medikamente preislich mehr als verdoppelt. Das spüren alle. Aber selbst um diesen Überlebenskampf kümmert sich das freundliche Militär. Vielen Familien werden "Goodie-Packs" mit Reis, Öl und anderen Lebensmitteln versprochen, wenn sie den richtigen wählen, Ägyptens neuen alten Präsidenten. (Rami Ali, 29.3.2018)